Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

518-520

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Kues in der Geschichte des Erkenntnisproblems 1977

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

517

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

518

ähnlicher Literatur dein Schluß förderlich sind, der Aufbau der
Schrift entspreche dem ,three-foId pattern' des homiletischen Synagogen
Vortrags, nämlich: 1. theologisch-lehrhafter Kingang (s. 1,1
bis 2,7), 2. ermahnender ethischer Hauptteil (s. 3,1-14,5), und Ii.
eschatologisch akzentuierter Ausblick (s. 15,1-182). Es spricht viel
dafür, daß dieses Schema größere Anwendung vor allem auch im
Frühehristentum fand (der Rez. hat dankbar das zum Hebräer -
brief Gesagte notiert!). So mag der Vf. auf der richtigen Spur sein,
wenn er vermerkt (S. 48): ,The probable soeiological setting was
the oral exhortation to an assembled Christian congregation. This
oral setting of the three-fold pattern, which may well have its rootfl
in.Judaism, undoubtedly exercised influence upou the written
eorrespondence of early Christianity'.

Der II. Abschnitt (S. 49-97) befaßt sich mit dem ,Quotation«
from authoritative sources', nämlich mit den Zitaten aus dem Alten
Testament, und der Evangelienüberlieferung, welch letztere
besonders eingehend untersucht sind, weil die Möglichkeit einer
vorsynoptischen Quelle, aus der geschöpft wurde, von Fall zu Fall
bedacht werden muß. In Auseinandersetzung mit verschiedenen
neueren Arbeiten (z. B. Köster und Bellinzoni) kommt der Vf. zu
scharfsinnigen Feststellungen. Abseitig ist indessen die Deutung
des Rückverweises in 19,1 auf das „Geschriebene". Mag auch
R. Knopf, der eine atl. Schriftlektion Jes 54-G6 vermutete, mit der
genauen Benennung der Kapitel zu weit gegangen sein, die nunmehrige
Deutung auf den 1. Klemensbrief ist noch entschieden
kühner (tr otz 1 Klem 03,2). Es ist geboten, die in sorgfältiger Ver-
gleichung erarbeiteten Ergebnisse zur Frage der verarbeiteten
Evangelientradition kurz aufzuführen.

Das Logion Kp. 2,4 bezeichne keine Übernahme von Mk 2,17
oder Mt 9,13, sondern entstamme einer- allgemeinen, in Umlauf gewesenen
Gemeindetradition (S. 591'.). Das Herrenwort Kp. 3,2 sei
nicht von Mt 10,32 (oder Lk 12,8) abzuleiten, auch nicht von Q,
sondern von einer davon unabhängigen Quelle (S. 01). Andererseits
weise das Logion Kp. 4,2 und 5 auf eine frühe Q-verwandte
Quelle. Sie könne mit jener Vorlage identisch sein, aus der Mt und
Lk ihren Stoff nahmen (S. 08). Desgleichen wird für Kp. 5,2 -4 eine
nicht-kanonische Quelle in Betracht gezogen, die sich stärker mit
Lk als mit Mt berührt habe (S. 70). Kp. 0,1 linde sich in gleicher
Gestalt Lk 10,3 und im Thomas-Ev., indessen bleibe offen, von
welcher Quelle es letztlich stammt (S. 71). Kp. 8,5 liegt zwar eine
Berufung auf das .Evangelium' vor, doch ist die erste Hälfte des
Spruches, was zu denken gebe, nicht kanonisch belegt. So rechnet
der Vf. mit einer nichtsynoptischen Quelle, die sich ebenfalls mit
Lk berührt haben kann (S. 73). Die Fassung des Spruches Kp. 9,11,
äußerlich eine Kombination von Mt und Lk, liegt auch im Ebioni-
ten- und Thomasevangelium vor. Sie werde daher von einer nichtkanonischen
Quelle abhängig sein wie 2 Klem, weil beide auffallenderweise
den gleichen Wortlaut haben (S.77). Kp. 12,2 und 0
beflitzt Parallelen im Ägypterev. und vor allem im Thoinasev.,
so daß die Abhängigkeit von jenem wenig wahrscheinlich bleibt,
eher schon eine solche von der den beiden Mitzeugen vorgegebenen
Quelle (S.77). Kp. 13,4 zeichne sich gleichfalls eine nicht-kanonische
, dem Lk-Ev. verwandte Quelle ab (S.78). Gegen H. Köster
wird vorgebracht, daß dessen Folgerungen betreifend ,legei' und
,eipen' (ho kyrios) nicht tragen (S. 81). Als größeres Ergebnis
schält sich heraus, daß der Vf. für diesen Sachkreis seinen Standort
näher bei Paulus als bei Justin hat (S. 79f.). Die Verwendung
einer älteren Herrenwortsammlung sei nicht auszuschließen. Uber
den Zweck der Zitate und literarischen Anspielungen heißt es
(S. 97): ,Most of the quotations found in 2 Clement serve an illustrative
and supportive funetion'. Außerdem wolle bedacht sein
(S. 90): ,Almost every chapter in the paraenetic section of 2 Clement
(chs. 3-14) begins with a major theme (1) which then carries
over into paraenesis (2). Following each of these parts one usually
linds either a quotation Ol a literary allusion'.

Der III. Abschnitt (S. 98-181) untersucht nach xMaßgabe des
Jhree-fold pattern' den Inhalt, den religiösen Hintergrund und die
Verkündigungsabsicht des Briefes. Man ist vor allem dankbar, daß
der Vf. in reichem Maße die gnostischen Originaltexte von .Nag
Hamadi zur Verglcichuug beigezogen hat, so daß sich hier von Fall
zu Fall wirklich neue Aspekte ergeben, wobei die zentralen Sachkreise
der Gemeindesituation des 2 Klem, der bekämpften Irrlehre
, der gnostisierenden Einflüsse und des eschatologischen
Standorts im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

Das Ergebnis lautet (S. 179): ,'l'he primary characteristic of this
group's false teaching (10,5) is that they carried the pendulum too
far in the direction of a realized eschatology. It is an eschatological
misunderstanding which sees baptism as the essence and complet-
ion of salvation. The central purpose of 2 Clement is to correct this
Inisinterpretation, together with its false understanding of the
present and future life of the Christian'. ,ln this attempt to deal
with this Situation, the author of 2 Clement carried the pendulum
too far in the direction of the futurity of salvation. Perhaps he feit
that only such an intense stress on the themes of future judgement
and reward could bring the enthusiasts of bis congregation to their
correct sense.'

Der Bez. ist der Meinung, daß der Vf. in der Klarstellung des
geistigen Hintergrunds der Schrift und der sie prägenden Strömungen
den richtigen Weg beschritten hat. Ob er in der Konkretisierung
mancher Sachverhalte nicht zu weit gegangen ist, möchte
man zu erwägen geben. Die oben abgelehnte Grundthese des
Buches belastet zumindest von Fall zu Fall das Ergebnis.

Zum Schluß noch einige Bemerkungen, die Einzelergebnisse betreffen
. Ist die Rekonstruktion des in 1,4-8 vermuteten ,hymni-
schen Bekenntnisses', das der 2. Klem übernommen habe, überzeugend
(S. 103ff.)? Seine Einarbeitung nach einem, wie die Interpretation
geht, massiven Satz der , Wiedergutmachung' (1,3) ist
keineswegs glaubhaft! Der Rez. hält es für wahrscheinlicher, daß
der Eingang mit der thematischen Leitfrage: ,Welche äi>ttuta&iu
sollen nun wir ihm geben?' auf einen atl. Sehrifttext Bezug nimmt,
der von dem Lösegeld handelte, das Christus vor Gott entrichtet
hat (also z. B. Jes 53, daher dann auch die Bedeutsamkeit von
Jes 54,1!). Für Kp. 0 fällt überdies die Betonung der Taufe auf,
deren esebatologische Dimension zur Sprache kommt. Kp. 7 unterstreicht
die sittliche Kampfsituation des getauften Christen
(S. 128 f.). Uber den Vf. hinaus wird man bedenken, ob die Passagen
nicht klarer Beweis für einen allgemeinen Büß- und Taufgottesdienst
sind, in dem das breite Spektrum der katechumenalen
Unterweisung, das die Homilie bestimmt, zuerst ihren Platz haben
konnte. Der Vf. hat m. E. diese katechumenale Ausrichtung der
Homilie, die das freudige Bekenntnis 3,1 ff., die guten ,Werke' 4,3,
den rechten, Weg' 5,7, den, Willen' und die,Gebote Gottes' betont
0,7; 8,4; 10,1, zum Schaden einer angemessenen Gesamtkonzeption
unterschätzt.

Wir fügen noch an, daß zwei Exkurse (S. 182-200) der Erhellung
des Hintergrunds von 1,4-8 und der Rolle von Jesaja 54 in Kp. 14
gewidmet sind. Beigegeben ist außerdem eine ausführliche Bibliographie
(S. 201-214) sowie gründliche Stellen-, Wort-, Sach- und
Autorenregister (S. 215-240).

Neuenclet telsau August Strobcl

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

[Nikolaus von Kues:] Nikolaus von Kues in der Geschichte des
Erkenntnisproblems. Akten des Symposions in Trier vom 18. bis
20. Oktober 1973. Hrsg. v. R. Haubst. Mainz: Matthias-Grünewald
-Verlag 1975. 287 S. gr. 83 = Mitteilungen und Forschungsbeiträge
der Cusanus-Gesellschaft, 11. Kart. DM 40,-.

Das Symposion, dessen Akten nun vorliegen, hat auf beachtlieh
hohem Niveau sich eines in sich geschlossenen Themas angenommen
. Wohl ließen die Referate und die sich an sie anschließenden
Diskussionen Meinungsverschiedenheiten erkennen, doch gelang es,
strittige Fragen einer Klärung näher zu bringen, so ob N. bei seinen
theologischen Fragen, seinen Fragen nach Gott, die Antworten
bereits vorausgesetzt habe oder nicht (u. a. 212, 225, 202). Wyller
kann in seinem Hiskussionsbeitrag dann als opinio communis herausstellen
, daß „die Auffassung des Cusanus, daß man schon durch
das Fragen nach Gott Gott voraussetzt, klar herausgestellt worden
" ist (202). Das gilt ebenso für ein Problem, das Hinske so formuliert
: „Die Philosophie muß sich zunächst einmal auf den