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Ausgabe:

1977

Spalte:

506-509

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bousset, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Hauptprobleme der Gnosis 1977

Rezensent:

Elsas, Christoph

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Theologisohe Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

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so aus, daß sich der Höhepunkt und Schluß des neuen Buches,
Mt 28,18-20, beschreiben läßt als Neubearbeitung bzw. „Neuauflage
" von Mt 11,27/Lk 10,22 unter Einbeziehung von Motiven
aus Mk (z. B. exusia).

Als „Schlüssel" zum ganzen Buch erschließt 28,16-20 wesent-
liohe Szenen und Texte (in der Weise der „inclusio", S.492ff.):
Schon 1,23 sagt, wer hier in Jesus „mit euch" sein will; die satanische
Herausforderung in 4,8-10 wird nun antithetisch beantwortet
; vor allem wird die „Programmatische Rede" 5,1-7,29 als
.Mittelpunkt der „Sache Jesu" (S.501f.) aufgegriffen und zum Inhalt
der Arbeit der Jünger gemacht; der Bogen zur Offenbarung
des Sohnes am Ende der Galiläa-Zeit (17,1-8) wird geschlagen; die
Vollmaehtsfrage der Gegner Jesu (21,23) wird eschatologisch beantwortet
.

Die Vollmachtsaussage des Erhöhten (28,18b) wird von L. -
m. E. zu Recht - nicht als seine kosmokratorische Machtergreifung
verstanden (die bleibt nach Mt dem Weltende beibehalten; die auf
Ps 109,1 LXX zurückgreifende Inthronisationsvorstellung wird
von Mt wohl auf die Parusie bezogen, S. 227-237), sondern als die
Eehrvollmaeht, kraft welcher Jesus auf Eiden lehren konnte - und
nun durch seine Jünger weitergeben lassen wird -, was „im Himmel
" gilt, d.h. dem Willen Gottes gemäß ist (S.96-149). Demgemäß
weist L. die verbreitete These ab, Mt 28,16-20 habe gedanklich
etwas mit Inthronisation, formal etwas mit dem Schema
des „altorientalischen Inthronisationsrituals" zu tun (S.242-245
und 349-352); positiv bezieht er sich (S.351ff.) auf die Formbestimmung
als „Amtliches Dekret" (durch Malina NTSt 17.
1970/71, 87-103), der auf 2.Chr 36,23 als literarisches Vorbild
(Buchschluß!) hingewiesen hatte (daß fürMt der alttestamentliche
Kanon tatsächlich mit den Chronikbüchern endete, scheint mir aus
23,35 hervorzugehen, wo der erste und der letzte biblische Blutzeuge
genannt werden - zu S. 354).

Wie das Wort des Erhöhten, so ist auch die Szenerie (28,16-28a)
Ergebnis der literarischen Arbeit des Mt: Galiläa - durch Mk 16,7
vorgegeben - ist der Ubergangspunkt von Jerusalem weg zu den
Heiden hin (S.358-391); der „Berg" ist gewählt in Korrelation zu
5,1; 15,29-39; 17,1-8 und (antithetisch) zu 4,8-10 (S.392-446;
ebenda S.440-445 macht L. wahrscheinlich, daß Mt keine Mose-
Jesus-Typologie beabsichtigt, weil sie Jesus christologisch „unterbietet
") ; der „Zweifel" einiger (V. 17b) verdankt sich nicht einem
angeblichen Erzählschema vom „Osterzweifel", sondern nimmt
Bezug auf die mt. Szenen vom Kleinglauben, womit Mt nicht
Wahrnehmungs- bzw. Identifizierungsschwierigkeiten (so etwa
14,26), sondern die Gehorsamsschwäche des Jüngers meint (14,30f.)
die ihn und das ihm Aufgetragene gefährdet (S.474-482; vgl. 340
bis 342).

Für die Christologie des Mt scheint mir wichtig und überzeugend
die These, daß der Menschensohntitel (im Sinne der Bilderreden
von äthHen) für Mt der eigentlich „gültige" christologische Titel
"st und daß von der Mensehensohn-(!hristologie auch solche Texte
««•prii«t sind, in denen er gemäß der synoptischen Konvention,
wonach er nur in indirekten Selbstaussagen Jesu vorkommt -
nic ht ausdrücklich gebraucht wird, so in 11,25-30 und eben in
2S.I.S 20. Ebenso, daß die von Mt stark in die ihm vorliegenden
Texte eingebrachte Herr-Anrede eben die Anrede an den „Men-
schensohn" von Seiten der Glaubenden ist - für Mt heißt das je
länger je mehr: der Heiden (beginnend in 8,6). Andererseits sind
nach L. die Titel Christus und Davidssohn diejenigen, unter denen
Jesus dem Volk Israel als der Heilsbote entgegentrat und von ihm
angenommen werden wollte (S. 128 usw.); sie gelten für Mt nach
der definitiven Ablehnung Jesu durch Israel gewissermaßen als
»Ufl« Kurs gesetzt: vgl. 22,41-46 für „Davidssohn" und 26,63 f. für
-.Christus" (S.81-89; 122-130; 227-229). Die exegetische Prüfung
einzelner Mt-Stellen daraufh in, wieweit sie der hypothetischen
Marc-Christologie entsprechen (S.218-223), scheint mir freilich ein
methodischer „Anachronismus" zu sein, der darin zutage kommt,
daß sich L darüber wundern muß, daß mit der Herr-Anrede in
Mt 8,2 die Proskynese verbunden ist (S.54 und 220): Selbst wenn
die Herr-Anrede bei Mt ihre Wurzeln dort hat, wo L. sie sucht,
"mtaßt Kyrios für Mt weit mehr als ,marc' (was L. natürlich auch
w''iß, S.222 usw.). Worum es ihm geht, ist die Abwehr der These,

die Kyrios-Titulatur rücke bei Mt die Menschensohn-Christologie
in den Schatten - und insoweit ist ihm jedenfalls zuzustimmen.

Von manchen Nebenergebnissen, die kaum zur Wirkung kommen
werden, weil man sie in diesem Buch nicht suchen wird, sei
noch eines erwähnt. Unter den ethne versteht L. mit Recht die
Menschheit, soweit sie nicht jüdisch und noch nicht christlich ist
(S. 248-304). Das hat Konsequenzen für das Verständnis von Mt
25,31 40: j. sieht auch hier unter den „Heiden" die NichtChristen
(und zwar ausschließlich der Juden), die vom Weltenrichter daraufhin
befragt werden, wie sie sich gegenüber Jesu „Brüdern", also:
seinen Jüngern als Boten seiner Lehre, verhalten haben (S.295 bis
301 und 377-379); er erneuert damit (vgl. G. Haufe, 1964) die m. E.
einzig mögliche Exegese in schlüssiger Weise. - Auch zu Mk 9,2-9/
Mt 17,1-9 finden sich ausgiebige traditions- und redaktions-
geschiehtliohe Erörterungen (S.415-430).

Insgesamt: L. legt eine Arbeit vor, die man zu den wichtigen
redaktionskritischen Studien zu Mt zählen muß, weil sie über den
im Titel genannten Text hinaus wesentliche Aspekte zur Gesamtinterpretation
des MtEv beiträgt. Die gewonnenen Ergebnisse
müßten noch vermittelt werden mit den „Ortsbestimmungen ' der
Gemeinde des Mt, wie sie etwa von E. Käsemann oder E. Schweizer
(s. oben) versucht werden: zwischen Enthusiasmus und Gesetzlichkeit
(das Thema wird S.321 f. bewußt nur angetippt).

Naumburg ITIkolaui Walter

' Hin Teil dieses Umtänns gehl freilich nuf das K.....<> des raumfressendsn

(Iiier übri«cns sehr »anliefen) Schrcihmascliinensatzcs. Alier es sei doch die lütte
erlaubt, exegetische Dissertationen dieser Art, Cur die Veröffentlichung erheblich
zu straffen. Hiiehmarkl und Leser sollten doch nicht mit denjenigen l'artien
belastet werden, in denen der Autor vor seiner Fakultät nachweist, dafi er l'aeh-
gerecht exegetisch zu arbeiten versteht. Den Nutzen halte aiillcr Verlan, Kanter
und l.eser nicht zuletzt der Autor seihst: den wirklich neuen Erkenntnissen wäre
bessere Wirkung gesichert.

• Gleichzeitig erschien: It. Kratz, Auferweckiing und Befreiung. Eine Studie
zur Passions-und Ailferweckiingstheologie des Matthäus, Stuttgart 1!I7:J. Seither
außer Aufsätzen (z. Ii. von C. H. Qlblln.ln NTSt 21, 21)74/75. 40(1-420) vor allein
J. E. Alsup, The Post-Restirrection Appearanee Storles of the Qotpel-Traditlon,

Stuttgart 1978 - dem Buch geht es freilich, im Unterschied zu dem liier angezeigten
, vor allem um die Tiaditlonsgeschichtc der Ostererzählnngen.

Hoiisset. Wilhelm: Hauptprobleme der Gnosis. Neudruck der l. Auflage
von 1907. Göttingen: Vandenhoeck <fc Ruprecht [1973].
VI, 398 S. gr. 8^ - Forschungen zur Religion und Literatur des
Alten und Neuen Testaments, hrsg. v. W. Bousset, u. H. Gunkel,
10. Lw. DM 68,-.

Das vorliegende Buch ist von ebenso großem Interesse für die
Problemgeschichte der Theologie und allgemeinen Religionsgeschichte
wie für die spezielle Beschäftigung mit dem Phänomen
Gnosis. Ks ist der Neudruck eines Klassikers der Forschung von
1907. Darüber hinaus ist es in vielen Fragestellungen noch heute
aktuell, auch wenn schon allein die eigentliche Erschließung der
mandäischen Quellen sowie die Entdeckung neuer mittelpersischer
, koptischer und griechischer Manichäismustexte und der
Bibliotheken von Qumran und Nag Hammadi einiges an Modifikationen
hinzugebracht hat.

B.s Absicht ist es seiner forschungsgeschichtlichen Einleitung
zufolge, gegen die insbesondere von Harnack vertretene Beschränkung
des Interesses an Gnosis auf deren kirchengeschichtliche Bedeutung
klar zu machen, „daß es der allgemeinen und vergleichenden
Religionswissenschaft zusteht, das grundlegende Verständnis
der (inosis anzubahnen" (9). Hatte Harnack ab 1886 das tendenzkritische
Geschichtsbild der Tübinger Schule F.C.Baurs von urchristlichen
Parteien dadurch aufzuheben gesucht, daß er allen
Einfluß des Hellenismus auf das Urchristentum leugnete und ihn
erst dem Gnostizismus als der späteren Stufe, der einer christ liehen
Religionsphilosophie, zuordnete, so hatte der Baur-Sehüler Pflei-
derer 1887 als der Vater der religionsgeschichtlichen Theologie in
Deutschland das Uschristentum konsequent als Produkt einer
Entwicklung im Zusammenhang der Religionen seiner Zeit dargestellt
. Und die darauf aufbauende ..Beligionsgeschichtliche
Schule" hob das entsprechend im Kontext der Ueligionsmischung
gesehene Urchristentum vom Evangelium Jesu ab, um zu fragen,
ob die letztlich nicht im Evangelium, sondern im Hellenismus oder