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Ausgabe:

1977

Spalte:

503-506

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lange, Joachim

Titel/Untertitel:

Das Erscheinen des Auferstandenen im Evangelium nach Mattäus 1977

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

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endung teilzuhaben (219). Insofern hat Heb das apokalyptische
Selbstverständnis des Urchristentums bewahrt, das diese Welt
nicht von Gott trennt, und es in einen ganz anderen Sprachzusammenhang
übertragen (221). Dabei werden Leiden und Versuchung
als paideia verstanden. Durch Leiden und inbrünstiges Gebet hat
Jesus für sich Rettung vom Tod und die Vollendung erlangt (224).
So vermag er als der Hohepriester schlechthin für die im Reich von
Fleisch und Blut Lebenden einzutreten (226). Die Vollendung der
Gläubigen (c. 8) ist, wie Dey häufig feststellt, gegeben in Glaube
und Hoffnung. Das Selbstverständnis des christlichen Glaubens
besagt, daß Fleisch und Blut, Prüfungen und Versuchungen nicht
von Gott zu trennen vermögen (228). Die eschatologische Vollendung
kann dem Christen nicht mehr geben, als er jetzt hat (227).
In Glauben und Hoffnung ist er (wie Dey schon in c. 6 ausführte)
Gott nahe, ist er made like Hirn (204, weiterhin akzentuiert 213).

Die Arbeit scheint mir zuerst für die Philon-Forschung förderlich
zu sein. Hinter der Einsicht in die Austauschbarkeit der Mittlergestalten
und -attribute, deren Vielfalt weitgehend durch den Rück-
bezug auf alttestamentliche Texte bedingt ist, dürfte eine für die
Philon-Deutung überhaupt wichtige Gegebenheit stehen. In Teil II
scheint mir die These jedenfalls bedenkenswert zu sein, daß sich
Heb mit den Ausführungen zur Erhabenheit Jesu über die Engel,
Mose und den alttestamentlichen Hohenpriester gegen deren Hochschätzung
in bestimmten Kreisen des hellenistischen Judentums
wendet. Fragen kann man, wie weit insgesamt die Entsprechungen
zwischen Philon und Heb gehen. In c. 6 überträgt Dey z.B. den
Gebrauch von taxis bei Philon (D.: status, class 1189]) - im weiten
Rahmen der Vollkommenheitsaussagen - in die Deutung des Heb.
In Heb ist die Verwendung der Vokabel indessen durchweg von
Ps 110(109),4 abhängig und eng begrenzt auf Aussagen über die
Einmaligkeit der Person und des heilsamen Werkes des Hohenpriesters
Jesus (im Unterschied zum aaronitisehen Hohenpriesteramt
, 7,11b). Die Wendung „nach der taxis Melchisedeks" wird 7,15
ausdrücklich interpretiert durch „nach der Art M. s".

Vollends bedeutsam ist das Verständnis von Philon her für die
Vokabel „vollenden". In Heb wird die kultische Beziehung des
Verbs vor allem in 9,10; 10,1.11 offenbar; zum Substantiv s. 7,11.
Auch wenn an den betreffenden Stellen in Heb eine Anspielung auf
die LXX dem Wortlaut nach nicht sichtbar wird, ist zu fragen, ob
nicht die dort häufige Verwendung in kultischem Zusammenhang
auch hinter der in Heb steht:3 Jemanden fähig machen, sich Gott
zu nahen, in LXX (Ex 29 usw.) zu kultischem Handeln (auf Priester
bezogen) und entsprechend primär in Heb (in abgeleitetem
Gebrauch dann umfassender 10,14, vgl. 7,19). Dey zieht überhaupt,
auch für die Deutung von Einzelheiten in Heb, auf die er zu sprechen
kommt, in allererster Linie Philon heran; mannigfache Fragen
dazu können hier nicht weiter erörtert werden. Jedenfalls bietet
Dey einen konsequent durchgeführten Beitrag zur Auseinandersetzung
um das Verhältnis der Gedankenwelt des Heb zu der bei
Philon bezeugten.4

Halle/Saale Gerhard Delling

1 Über den himmlischen und den irdischen Menschen bei Philon äußert sich
Dey in c. I C (20-30).

* Zu dem Passus über Abraham (48-51) wäre Samuel Sandmei, Philo's Place
in Judaism: A Study of Conceptions of Abraham in Jewish Literature, New
York '1971, bes. 173-185 heranzuziehen gewesen.

• ThWNT VIII 81-84 und (zu Heb 7,11) 86f.

4 Auf die Literatur geht Dey nur in bestimmtem Umfang ein (vgl. O.A. 2).
Ronald Willinmson, Philo and tbe Epistle to the Hebrews, Leiden 1970, der z. lt.
über Logos und Hohenpriester, Melchisedek, Mose (409-491) handelt, begegnet
nirgends.

NEUES TESTAMENT

Lange, Joachim: Das Erscheinen des Auferstandenen im Evangelium
nach Matthäus. Eine traditions- und redaktionsgeschichtliche
Untersuchung zu Mt 28,16-20. Würzburg: Echter Verlag [1973].
573 S. gr. 8° = Forschung zur Bibel, hrsg. v. R. Schnackenburg
und J. Schreiner, 11. Kart. DM 42,-.

Eine Dissertation aus der Schule von Et. Schnackenburg nimmt
man mit guten Erwartungen zur Hand, und man wird - trotz des

abschreckenden Umfang« von etwa 500 Textseiten für 5 Verse1
aufs Ganze gesehen auch nicht enttäuscht. Ks handelt sieh weil
mehr um eine Studie zur Theologie bzw. Christologie des MI. als
etwa zur Entwicklungsgeschichte der Ostererzählungen oder der
Ostervorstellungen. Das ergibt sich ganz folgerichtig daraus, daß
Lange den Schluß des MtEv, dem die Untersuchung gilt; mit Recht
als literarischen Text rein redaktioneller Herkunft und eben deshalb
als „Schlüssel" zum MtEv überhaupt liest. Dieser Ansatz ist
nicht neu (L. bezieht sich vornehmlich auf die Arbeiten von Michel,
Trilling, G.Barth, Vögtle, Bornkamm), und die eigentlich neuen
Erkenntnisse bezichen sich mehr auf das MfKv als Ganzes als
speziell auf diesen Text.

Trotzdem geht die Untersuchung in den zwei Hauptteilen
streckenweise in ermüdender Breite - dem Text von Mt 28,16-20
nach, zunächst den „Worten des Auferstandenen (Mt 28,18b-20)"
(Teil I, S.22-354), erst dann der Szenerie (Teil H: „Die Begegnung
mit dem Auferstandenen [Mt 28,16-18a]", S.355-486). Hier wird
jeweils zunächst der Text in seine Einzelmotive bzw. Wendlingen
aufgelöst, deren Bezüge zu anderen Passagen des MtEv dann herausgestellt
werden. Das geschieht sehr fleißig und sauber und
eigentlich in allen wichtigen Punkten überzeugend, wenn auch
vieles ohne Schwierigkeiten komprimierter hätte dargeboten werden
können. Zu wichtigen Einzelergebnissen siehe später. Im
Teil I folgen dann einige Abschnitte zur Christologie des Mt, in denen
das eigentlich Entscheidende dieser Arbeit geschieht. - Das
Buch schließt mit „Zusammenfassung und Schluß" (S.487-507),
Verzeichnis der Abkürzungen (S.öllf.) und Literaturverzeichnis
(S.513-536), in dem man nichts Wesentliches vermissen wird
außer vielleicht R.H.Füller, The Formation of the Resurrection
Narratives, London 1972 (vgl. ThLZ 99, 1974, 430-433) - wahrscheinlich
erst nach dem eigentlichen Abschluß der Arbeit erschienen
- und dem Aufsatz von E. Schweizer, Gesetz und Enthusiasmus
bei Matthäus, in seinen „Beiträgen zur Theologie des Neuen
Testaments", Zürich 1970, 49-70 (s. unten).2

Man sollte meinen, daß nunmehr die Diskussion darüber, ob Mt
in 28,16-20 (und auch in 28,9f.; S. 370-384) Erzähltraditionen von
Ostererscheinungen benutzt habe oder nicht, endgültig abgeschlossen
werden kann: Der Nachweis ist schlüssig erbracht, daß die
Szenen ganz und gar von Mt „redaktionell" gestaltet, d.h. also
schriftstellerisch geschaffen sind, natürlich unbeschadet dessen,
daß Mt sich dabei einzelner - besonders christologischcr - Motive
aus anderen Traditionen bedient hat. Übrigens reflektiert L. nicht
den traditionsgeschichtlich eben doch auffälligen Sachverhalt, daß
demzufolge in den matthäischen (syrischen?) Gemeinden „fünfzig
Jahre danach" offenbar keine Erzählungen von österlichen Erscheinungen
des Erhöhten umliefen, allenfalls eine von Mt kritisch
bearbeitete Erzählung des Auferstehungsvorgangs (28,2-4). Das
würde zu L.s These passen, daß die matthäischen Gemeinden vor
allem die Tradition der Gemeinden von Q weiterführen (aber viele
Forscher bezweifeln ja heute, daß CJ überhaupt so etwas wie den
vollständigen Traditionsschatz einer bestimmten Gemeindegruppe
darstellt). Das bedeutet übrigens nicht, daß Q keinen „Osterglauben
" kennte; dazu s. Sp. 505.

Nach L. setzt also Mt die Tradition von Q fort, jedoch unter der
veränderten Bedingung, daß die Mission der Gemeinde von Q im
wesentlichen auf Israel ausgerichtet war, während nun Mt das Geschehen
des Jahres 70 als Gottes endgültige Gerichtsantwort auf
Israels Unglauben deutet. So erwartet er nicht mehr das Herzukommen
der Heiden zu dem - gläubig gewordenen - Israel, sondern
sieht - leidvoll genug - Israel als von Gott verstoßen an,
während die Jesusbotschaft nun direkt und geradezu exklusiv zu
den Heiden hingeht (Walkers These von Mts Sicht der Heilsgeschichte
wird also voll übernommen). L. greift den Gedanken
von Wiickens und Hoffmann auf, daß in dem Logion Mt 11,27/
Lk 10,22 der eigentliche Gstcrtext von Q vorliege, der sich einem
Ostererlebnis nach Art des von Paulus in Gal l,15f. berichteten
verdankt: Einer im Verstehenshorizont jüdischer Apokalyptik begriffenen
und ausgelegten „Offenbarung" des getöteten Jesus als
des lebendigen, himmlischen Menschensohns, als der „entscheidenden
eschatologischen Person" (S.495f.). Diese Menschensohn-
christologie (die auch in Q schon den Irdischen einbezieht) übernimmt
Mt von Q; auf der literarischen Basis des MkEv baut er sie