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Ausgabe:

1977

Spalte:

499-500

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Goodblatt, David M.

Titel/Untertitel:

Rabbinic instruction in Sasanian Babylonia 1977

Rezensent:

Gerstenberger, Erhard S.

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499

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

5110

nacheinander der Friedhof der FrBr § (S. 19-00), die Funde aus
dem einzigen MiBr I-Orab (S. 61-67) sow ie die Gegenstände der
Grabanlagen der SpBl (S. 68-100) behandelt. Danach beschäftigt
sieh der Vf. in einem besonderen Kapitel mit den die anthropoiden
Sarkophage aufweisenden Gräbern und diesen Sarkophagen selbst
(S. 101 -160). Auf Indices der Gräber (S. 151-152) folgen schließlich
die die zweite Hälfte des Bandes ausmachenden „Illustration«
and Catalogue of tomb groups", die durch Nachzeichnungen bzw.
Photographien vorzüglich die Ausführungen des Textteiles verdeutlichen
.

Die exakte, sorgfältig prüfende Arbeitsweise des Vfs., der an der
University of London tätig ist, führt über die zusammenfassende
Aufbereitung von vor rund 50 Jahren gewonnenem und jetzt zwischen
zwei Kontinenten geteiltem Grabungsmaterial hinaus zu
Ergebnissen, die voll überzeugen. Nur zu einem Detail, nämlich
der Bezeichnung des Kopfschmucks der Philister, der Denyen und
der Tjekker als „feathered cap" (S. 138-139), sei daraufhingewiesen
, daß dieser eigenartige Kopfschmuck auf Grund der umfassenden
Untersuchungen des klassischen Archäologen K. Herbig (Jahrbuch
d. deutschen Arehäol. Inst. 55, 1940 S.58-89, bes. S.68) besser
als ein au« Schilfrohrblättern, die aufrecht stehend nebeneinander
auf einem kreisförmigen Band befestigt wurden, bestehender
Kopfaufsatz zu deuten ist. Und ebenso sollte auf die verlockende
Identifizierung der Denyen mit den griechischen Danaoi (S. 149)
besser verzichtet werden; die zwei „n" in Denyen (= Dnjn) verbieten
dieses eindeutig (vgl. U.Wileken, Griech. Geschichte :1962,
S. 53). Auf S. 6, 1. Absatz ist „sareophagus" zu schreiben; der
S. 121. Z. 20 v.u. genannte Buchtitel lautet „Der verzierte
Löffel".

Kostock Klans-Dietrich Bohunot

Goodblatt, David M.: Rabbinic Instruction in Sasanian Babylonia.

Leiden: Brill 1975. XVI, 322 S. gr. 8° = Studies in Judaism in
Late Antiquity, hrsg. v. J. Neusner, 9. Lw. hfl. 96,-.

Ich gestehe: Neugier hat mich bewogen, die Besprechung eines
Buches zu übernehmen, dessen Gegenstand vom eigenen Arbeitsgebiet
durch mehr als ein halbes Jahrtausend getrennt ist. Aber
sollte ein Blick auf die - aus alttestamentlicher Sicht - Nach-
geschiehte des Volkes Israel nicht anregend sein und vielleicht sogar
Rückschlüsse auf Vergangenes erlauben? Wie verhält sich z. B.
rabbinisches Lehren zu dem, was uns im AT als weisheitliche oder
prophetische Unterweisung begegnet? Wie „ergeht" es der Tora in
Babylonien besonders in jenem kritischen 3. Jh. n.Chr., als die religiös
tolerante Part herherrschaft durch die sassanidischen, zur
Staatsreligion tendierenden Perser abgelöst wird? (Vgl. J. Neusner
, A Historv of the Jews in Babylonia, Bd. II, Leiden 1966).

Wer Goodblatts übergründliohe und doch gut lesbare Studie vornimmt
, kommt in verschiedener Hinsicht und wohl anders als erwartet
auf seine Kosten. Er stellt, aufs neue erstaunt, fest, daß es
unter jüdischen Kollegen nicht nur immenses talmudisches Wissen,
sondern auch kritische Geschichtswissenschaft gibt. Der Vf. baut
nämlich systematisch das mittelalterliche und moderne Vorurteil
ab, als seien die aus dem 9./10. Jh. bekannten jüdischen „Akademien
" in Babylonien (vornehmlich die von Sura und Pumbedita)
bereits in dieser Form im 3. oder 4. Jh. n.Chr. gegründet worden.
Sein nicht unkritischer Lehrer J. Neusner hatte in dieser für die
Formierung des Talmud und damit der jüdischen Tradition überhaupt
wichtigen Frage noch festgestellt: ,,. . . it is entirely clear
that Tannaitic academies did exist in Babylonia not long after the
Bar Kokhba period, and that the famous schools of the early third
Century, Sura and Pumbeditha, had anteeedents at least a Century
old" (op. cit. Bd. I, 2. Aufl. 1969, S.157). Goodblatt ist anderer
Meinung. Kr analysiert in seinem ersten Kapitel (S. 11-43) vier
mittelalterliche Dokumente, in denen divergierende Nachrichten
über Entstehung und Gestaltung der babylonischen Lehrtradition
erhalten sind. (Hervorzuheben ist die ausführliche Zitation und
Kommentierung des sonst schwer zugänglichen Briefes, den im
Jahre 986 n.Chr. Rah Scherira, „Rektor" der Akademie von Pumbedita
, an eine nordafrikanische „Paten"gemeinde richtete: S. 19

bis 33). Das Ergebnis: the early medieval sourees project

back into the Sasanian period iusti tut ions oft he Islam ic era" (S.40).
„Undoubtedly there were rabbinic schools in towns like Xehardea,
Sura, and Pumbedita during the Sasanian period. Hut they were

not called yeshivot or metivata. And more importantly, they were
not organized like the institutions of the Islamie era whieh did
bear the latter names" (S.41). Die jüdische (le.schichtswissenschaft
jedoch, so Goodblatt, fällt bis heute auf diese mittelalterliche Rückprojektion
herein; ihr unterlaufen noch immer vier grundlegende
methodologische Fehler: „They are oredulity, the failure to ana-
lyze sourees, saying more than the sourees Warrant, and ignoring
the evidence in sourees" (S.59).

Nun muß sieh zeigen, ob der Vf. es besser kann als seine Vorgänger
. In zwei großen Abschnitten untersucht er die relevanten
talmudisehen Bezeichnungen für die babylonischen Lehrinstitutionen
(S.63 -196) und die Verbal formein, die auf das höhere Tora-
studium hinweisen (S. 199-259): Eine gewaltige, lexikalisch-konkordanzmäßige
und formgesehichtliche Aufgabe, die er, soweit ich
das beurteilen kann, mit mustergültiger Klarheit löst.

Der babylonische Talmud verwendet für die Lehrinstitutionen
in Babylonien weder die mittelalterlichen technischen Begriffe
j'Sibä oder nV'tibtä (hebr. bzw. aram. = Akademie) noch die
augenscheinlich in Palästina gebräuchlichen Bezeichnungen bet
hammidräs oder be midrasä (hebr. bzw. aram. = Lehrhaus).
Typisch babylonisch ist vielmehr der Ausdruck be räb, „Haus des
Kabbi"; es kann der Eigenname des Lehrers folgen. Daß damit ein
struktureller Unterschied des l^hrsystems deutlich wird, dürfte
klar sein: „Be nudrasha literally means ,house of study'; be rav,
,house of the master' .. . . ,house of study' would be an institution
whioh transeend« its principals. . . . By contrast, ,house of the
master' eannot exist without the master. . . . The latter terni seems
to denote what I call a ,disciple circle', i.e., a group of students
taught by the master in Iiis home" (S. 119). Die konzentrierte Verwendung
der Namensformel be Räb X im babylonischen Talmud
(besonders für die Rabbinen Jismael, Jannai und Rab) und die
völlig andere Terminologie im palestinensischcn Talmud (vgl. Tabellen
S.127f.) unterstreichen dieses Ergebnis. „The formula pre-
ferred by BT ( = babyl. Talmud) may reflect the way rabbinic Instruction
was organized in Babylonia. . . . (it) witnesses to the im-
portance of the schools/disciple circles ... in the transmission of
rabbinic tradition in Sasanian Babylonia" (S. 141). - Die ergänzenden
Wortfelduntersuchungen zu kafla (halbjährliches Tora-Seminar
?) und pirqä (akademische, vielleicht öffentliche Vorlesung?)
bleiben in der Schwebe, berühren das Zentralthema aber auch nur
am Rande (S. 155-196).

Gibt es möglicherweise andere Indizien für die Existenz von
,,Akademien" im Babylonien der Parther und Perser? Die Verbalformeln
„vor Rab X stehen (bzw. sprechen, rezitieren)" und die
verschiedenen Spielarten des Ausdrucks „vor (bzw. hinter) BabX
sitzen" können das gewonnene Bild nur bestätigen: Die Lehrveranstaltungen
der angegebenen Zeit sind in Babylonien noch
klein, privat und verraten nichts von einem „akademischen"
Schulbetrieb mit womöglich Hunderten von Studenten. (Vgl. die
Wendung jäsab lipne z.B. in Ez8,1; 14,1; 20,1 usw.).

Und der Ertrag der Fleißarbeit Goodblatts? Seine sauberen
literar- und formgeschichtlichen Analysen sowie statistischen und
lexikalischen Untersuchungen korrigieren des bisherige Bild von
der rabbinischen Tradition in Babylonien. Die Unterweisung in
Kleingruppen, die ein persönliches Meister-Lohrling-Verhältni«
gestatten, hat sieh seit der alttestamentlichen Zeit durchgehalten
(vgl. Elias, Jesaja, Jeremia als „Lehrmeister"). Zum andern:
Goodblatts Arbeitsweise imponiert; kritische Exegese bewährt sich
auch in der Anwendung auf außerbiblische Texte. Zum dritten:
Diese neue Untersuchung antiker jüdischer Lehr- und Lerninstitutionen
ist über die judaistische Forschung hinaus wichtig für die
Geschichte der Pädagogik. Die Zählebigkeit der persönlichen Unterweisung
und der Lehrdiskussion im engsten Kreis sollte uns im
Computerzeitalter zu denken geben. Ethik kann man nicht in
Lernlabors studieren.

Sao Leopnldo, Brasilien Erhard Orstcnlicrgcr