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Ausgabe:

1977

Spalte:

493-494

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cornelius, Friedrich

Titel/Untertitel:

Jesus der Mensch 1977

Rezensent:

Lohmann, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

IUI

Cornelius, Friedrich: Jesus der Mensch in seinem religionsgeschicht-
lichen Zusammenhang. Aulen: Seientia Verlag 197!!. 221 S„
gr. 8°. K. Ldr. DM 45,-.

Der Verfasser, der auf eine Reihe (selbstzitierter) Veröffentlichungen
zurückblicken kann, beabsichtigt in dem vorliegenden
Buch, den Menschen Jesus und die Anfänge des Christentums aus
ihren religionsgeschichtlichen Zusammenhängen heraus zu verstehen
(2201.). Tn einem ersten Hauptteil (11-120) behandelt er

I. ,die Umwelt' (11-40), wobei er nicht nur im alten Israel und in
der jüdischen Gesetzesreligion, sondern auch im persischen Lichtglauben
und im griechischen Gottesgedanken gleichwertige Wurzeln
des Christentums siebt. Vor allem ineint er in Piaton einen
„der großen Vorbereiter der christlichen Predigt von der Liebe zu
allen, auch zum l'Vinde" erkannt zu haben. Das von ihm entwor-
fene neue Weltbild, ..nur verbrämt mit israelitischen Wendungen
der Sprache", läge auoh dem Christentum zugrunde (3(5). Es folgt

II. ,die Religionsmisehung der hellenistischen Zeit' (41-82), wobei
der Vf. besonders den Ursprung des dualistischen Weltbildes, die
Bildung neuer Nationen als erste geschichtliche Wirkung dieser
neuen Weltanschauung, das Schicksal der judäischen Bevölkerung
unter makedonischer Herrschaft, die Entstehung neuer untereinander
eng verwandter Religionen (Mysterien) und das Kindringen
des Dualismus ins Judentum behandelt. Unter der Überschrift

III. .Wegbereiter' befaßt sieb der Vf. mit den ,judäischen Sekten'
der Essener ( Leute von Qumran) und Pharisäer sowie mit den
Apokalyptikern, der Frömmigkeit im Zeitalter der römischen Bürgerkriege
(Astrologie, Weltzeitborcchnungen, Erwartungen eines
Hefrciorgottes usw.), wobei vor allem dem Stoiker Poseidonios
größte Bedeutung beigemessen wird, ferner mit den Anfängen der
Hermetik und mit dem Land Palästina um die Zeitenwende, das
von dem Gericbtsruf Johannes des Täufers aufgeschreckt wurde. -
In einem - seltsamerweise - kürzeren zweiten Hauptteil (121-178)
kommt der Vf. auf das eigentliche Thema seines Buches zu sprechen
und behandelt auf 56 Seiten (!) nach einer Vorbemerkung
über die Quellen (bes. Bevorzugung des Markus-, Lukas- und
Thomasevangeliums gegenüber den ,getrübten Quellen' des Matthäus
und Johannes) Jesu Herkunft und Jugend, Persönlichkeit,
Lehre und Wirksamkeil bis hin zu seinem Tod. Für den Vf. ist der
von hellenistischem Gedankengut- stark beeinflußte Jesus (213
Aiim.7) ein mit göttlichen Begnadungen ( — Visionen) begabter
.Mensch, dein ein Hlick „in eine über die gewöhnlichen Sinne hin-
ausliegende Welt." (9) gewährt ist, der von Gott die Gabe verliehen
bekommen hat , seine Liebe in Form der suggesl iven in Ägypten
gelernten - Heilkunst zu beweisen und dessen Machfgefühl über
die Kralle der Natur mit der Wellansicht der indischen Yogins
verwandt ist. Er ist ferner ein Revolutionär des Wortes, der sich
nicht als Gott, sondern als Gottes Knecht wußte und mit der Bezeichnung
Menschensolm nur andeutete, daß er der Messias sei.
Er predigte ein - mit dem Gottesreich, das nicht von dieser Welt
ist, identisches Ixd>cn in vollem Vertrauen auf Gott und daher
ohne Angst, Sorge und Selbstsucht. Er bekämpfte die Lehre der
Pharisäer, verwarf ihre Werkfrömniigkeit, mißachtete ihre Heini-
gungsbräuebe und kasuistischen Gesetzesbestimmungen und legte
stattdessen mehr Wert auf die Seele und ihre Beschaffenheit, auf
Empfang und Auswirkung der (lot.teskindschaft in sozialen Taten.
Anfangs noch vom nationalen Hochmut der Judäcr befangen, daß
seine Hotschaft nur für diese bestimmt sei, lernte er im universalistischen
Sinne umdenken. Von den Jüngern als bloßer Wundertäter
und politischer Messias mißverstanden, feierte er sein letztes
Mahl der Form nach in bewußter Anlehnung an die griechischen
Mysterien des Dionysos und starb unter Pilatus, der sich durch die

• mstände zu einem Justizmord drängen ließ. Mit einem dritten
Hauptteil ,die erste Nachwirkung' (179-220), der sich mit der Ur-
gemeinde und Petrus, dem Herrenbruder Jakobus, dem Apostel
Paulus, dem Thomasevangelium und den Jesusbildern dernt.liehen
Evangelien befaßt, schließt das Buch ab. Petrus erscheint dem Vf.
als der eigentliche Urheber des Christentums, d. h. als der Begründer
des Glaubens an Jesus Christus. Er überraschte die anderen
Jünger mit der Auferstehungsbotschaft, ordnete die Ämter der
Gemeinde und schuf aus einer Sekte die Kirche. Unter dem Vater
der christlichen Theologie, dem streitsüchtigen und leidenschaftlichen
Paulus, für den nur Kreuzigung und Auferstehung in Betracht
kamen, wurde der Heiland zu einer unlebcndigen abstrakten
Gestalt. Zwar befreite er die Gemeinde aus der Enge des Judenchristentums
(Jakobus), setzte aber dafür an diese Stelle die Engherzigkeit
der Theologie, von der das Bild des Christentums bis
heute maßgeblich geprägt worden ist. - Die mitunter interessanten
Darlegungen des Vfs. werfen eine Fülle von Problemen auf und
geben zu ebensoviel kritischen Bemerkungen Anlaß, die in diesem
Rahmen unmöglich alle zur Sprache kommen können. Sicher ist
dem Vf. zuzustimmen, wenn er die Auffassung vertritt, daß man
Jesus erst, dann richtig verstehen kann, wenn man ihn in den religionsgeschichtlichen
Zusammenhang hineinstellt. Aber manches,
was der Vf. zur Darstellung bringt (z. B. S. 2211'.). trägt nicht unmittelbar
zum Verständnis Jesu bei und hätte zugunsten einer
ausführlicheren Begründung von nicht allgemein anerkannten Aussagen
(/,. B. der Gott der Griechen, Zeus, sei im Grunde genommen
der gleiche, an den auch Christen und Chinesen glaubten [30] j die
Vorstellung, Gott wohne in keinem Haus, das Menschenhände
bauen, sei arisch und nicht Judäisch' [189] u. a.) wegfallen können.
Einige Aussagen beruhen nicht auf Forschung, sondern auf Glaube
(„Maria erzählte, und ich glaube es ihr", S. 120), andere sind erdichtet
bzw. erschlossen (Jesus „begann auf den Tempelbodcn zu
schreiben - natürlich die stadtbekannten Sünden der Jtatsherren",
S. 168; vgl. auch S. 56 Anm. 9; S. 129 Ainti. 9) oder unzulänglich
begründet (■/.. B. die Zuweisung des Bergpredigttextes Mf 6,1-18
an Joh. d. Täufers, S. 116). Ferner finden sieh ungerechtfertigte
Abwertungen (z. B. Marx und Nietzsche als Nachsprecher der
Lehre der Sophisten, S. 35; Kennzeichnung des Romans von Euhe-
meros als „ein typisches Erzeugnis kolonialer Halbbildung", S. 60;
Rede vom greisenhaften Stil des Johannesevangelisten, S. 218
u. a.) sowie Absonderlichkeiten verschiedener Art (z. B. Verständnis
des Namens Magier als ,Hochwürden', S. 26; Jesus habe die
Söhne des Zebedaios als Dioskuren bezeichnet, S. 127; der Völkerapostel
sei unter dem Namen Paulus (/Kurz') in die Geschichte eingegangen
, S. 199; und beim Pfingstfest wären die ,Judäer' aus
allen Weltgegenden höchst verwundert gewesen, „die heimatlichen
Jodler des heidnischen [Bacchus] Kultus hier in der Stadt des
Jahweh zu vernehmen", S. 183). Zu letzterem Beispiel macht der
Vf. die Anmerkung: „Dies Jauchzen war eine übliche Sprache von
Indien bis zum Alpenraum. Das Jodeln unserer alpinen Volksgesänge
ist eine unmittelbare Fortsetzung - ich denke natürlich
nicht an dessen profane Nachahmung durch Sommerfrischler."
Ein Kommentar dazu - denke ich - erübrigt sich.

2ena Theodor Lohmans

ALTES TESTAMENT

Witasenralh, rlagia Hildegard 08B: Das Buch Itnili. Eine literatur-
wissenschaftliche Untersuchung. München: K.ösel-Verlag 1975.
419 S.. I Falttaf. gr. 8° Studien zum Allen und Neuen Tests
ment, hrsg. v. W. Richter und R. Schnackenburg, 40. Kart.
DM 5Ö,~.

Es handelt sich um eine von Wolfgang Richter betreute Dissertation
bei der Münchner Katholisch-Theologischen Fakultät. Den
Zweck gibt der Untertitel an: Die neue literaturwissensehaftliehc
Methode soll hier erstmals an einem ganzen, wenn auch kleinen
Buch des AT ausprobiert werden. Die Verfasserin hält sich dabei
streng an den „Entwurf einer alttestamentlichen Literaturt heorie
und Methodologie", den Richter unter dem Obertitel „Exegese als
Literaturwissenschaft" 1971 herausgegeben hat, bis hin zu den unüblichen
und unnötigen Um vokal isierungen bei der Transkription
der hebräischen Wörter.

Die Verfasserin hat sich keine Mühe verdrießen lassen, sie hat
sich in den Text förmlich hineingekniet und keine Ecke unaus-
gelcuchtet gelassen. Dazu ist eine Menge Literatur verarbeitet (das
llVz-^'tlB0 Literaturverzeichnis ist kein bloßes Schaufenster).
Den größten Teil des Buches (S. 75-314) nimmt die stilistische