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Ausgabe:

1977

Spalte:

491-492

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament 1977

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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Theologische Litcraturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

492

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Beyerlin, Waller [Hrsg.]: Religionsgeschichtliches Textbuch zum
Alten Testament. In Zusammenarb. mit H. Brunner, H. Schmö-
kel, C. Kühne, K.-H. Bernhardt u. E. Lipiiiski- Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1975. 303 S. m. 15 Abb- »• Text> 4 Taf-
gr. 8° = Grundrisse zum Alten Testament. Das Altc Testament
Deutseh, Ergänzungsreihe, hrsg. v. W. Beyer,in» Kart.
DM 28,-.

Außerdem von Hugo Greßmann in 2. Auflage 192(1 herausgegebenen
Band ,,Altorientalische Texte zum Alten Testament", von
dem 1970 (bei W. de Gruyter, Berlin-West) bereits ein 2. Nachdruck
erfolgte, war bisher kein anderes deutschsprachiges Unternehmen
dieser Art greifbar. K. Galling beschränkte sich in seinem
„Textbuch" (2. Aufl. 1908) speziell auf die relevanten altorientalischen
Quellen zur Geschichte Israels. Nur die englischsprachige
Welt, besaß seit 1950 (letzte Aufl. 1969) ein dem „Greßmann" vergleichbares
Werk, das .1. B. Pritchard begründet hatte (Ancient
Near Kastern Texte Relating to the üld Testament) und noch
heute die umfangreichste Sammlung dieser Art ist. Wenn daher
\ . Beyerlin jetzt als 1. Band der neuen Ergänzungsreihe zum
„AT Deutsch" bei dem altbewährten Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
vorlegt, so darf dies ohne Zweifel als ein längst fälliges Unternehmen
begrüßt werden und bei allen Interessenten auf Zustimmung
stoßen. Die sachliche Notwendigkeit einer solchen Quellen-
Sammlung hat B. selbst treffend in seiner Einleitung zum Ausdruck
gebracht: „Niemai id kann heute noch wähnen, die religiösen Überzeugungen
, die sich in alttestamentlichen Texten ausdrücken, seien
auch ungeachtet der religiösen Bekundungen der altvorderorienta-
lisehen Umwelt befriedigend zu erfassen. Jeder, dem am Verständnis
des Alten Testaments und der in ihm bezeugten Religion liegt,
muß sieh der Aufgabe stellen, die außeralttestamentlichen Vergleichsmöglichkeiten
fruchtbar zu machen" (21). Über Zweck. Anlage
und Durchführung des somit vorgelegten Buches hat der
Hrsg. selbst referiert und die Grenzen einer solchen Arbeit deutlich
gemacht. Es kann nach dem Stand der Dinge nur eine Hinführung
in die Probleme bieten, die sich einer religionsgeschichtlichen
Betrachtung des AT ohne alle Voreingenommenheit stellen
und die sich seit dem berühmten „Babel-Bibel-Streit" immer wieder
in anderer Weise gestellt haben. Erschwerend kommt hinzu,
daß die Welt des alten Vorderen Orients heutzutage ein ungeheuer
weites, kaum noch zu überschauendes Eeld der Forschung geworden
ist. Der Leser wird es daher dankbar begrüßen, wenn ihm in
handlicher Form ein Überblick über eine Seite dieser Arbeit geboten
wird. Die S. 24 nur angetippten Fragen vergleichender Arbeitsweise
überhaupt sind, was den meisten Theologen nicht bekannt
geworden ist, ein Schwerpunkt religionswissenschaftlicher
Diskussion, die sich um die Stellung der Vergleichenden oder Sy-'
stematischen Religionswissenschaft gebildet hat. Es ist zu hoffen,
daß das neue Textbuch bei seiner Benutzung auch dazu führt, über
den Zaun in den kräftig gewachsenen Garten der Religionswissenschaft
zu schauen (vgl. u. a. ThLZ 90, 1971 Sp. 241 ff.; 98, 1973
Sp. 401 ff.).

B. hat eine Reihe ausgewiesener Fachleute gewonnen, die sicherlich
zum Erfolg des Buches wesentlich beitragen werden. Helmut
B ru nne r hat die ägyptischen Texte (29-93), Hartmut S c h m ö ke 1
die mesopotamischen (95-168), Cord Kühne die hethitischen (196
bis 204), Karl-Heinz Bernhardt die ugaritischen (205-243) und
Edward Lipiiiski die nordsemitischen aus dem 1. Jh. v. Chr. (245
bis 284) übersetzt, eingeleitet und leicht kommentiert. Die Auswahl
ist durch die Beziehung auf das AT und die religionsgeschichtliche
Relevanz der Quellen bestimmt, macht aber durchaus zugleich
wesentliche Züge der betreffenden Religionsbereiche deutlich
, was die sachkundigen knappen Einführungen nur noch unterstreichen
. Man kann daher ohne Zögern von einem religions-
geschichtlichen Lesebuch überhaupt sprechen. Der Wunsch
H. Brunners gilt mutati mutandis für alle Beiträge und sei hier
mitgeteilt: „Der Übersetzer wäre froh, wenn diese Texte in dem
Sinne wirkten, daß einerseits das AT durch Nähe wie Ferne zu
ägyptischem Glauben Profil gewänne, daß aber auch neues Interesse
für Ägypten geweckt würde, dessen Religion uns nicht so lern
steht-, wie es manch abstrus anmutende Formen auf den ersten
Blick scheinen lassen. Mögen sich viele Leser zu einem zweiten
Blick veranlaßt fühlen!" (31). Die Aussagekraft der Texte für das
AT wird in allen Abschnitten durch nähere Nachweise der betr.
Stellen deutlich gemacht und notßh dazu durch ein eigenes Bibelstellenregister
hilfreich unterstützt. Besonders der ägyptische Teil
verzeichnet sehr sorgfältig das Parallelmaterial.

Vergleicht man die Auswahl mit der älteren von Greßmann ■
gegenüber Pritchard liegt das natürlich völlig anders -, so fällt
einem natürlich nicht nur die Erschließung ganz neuer Bereiche
von Quellen, wie der sumerischen, hethitischen und ugaritischen
auf, sondern auch der Fortschritt in der Einzelforschung bei der
Bearbeitung, Ubersetzung und Erklärung der bekannten Dokumente
. Der Leser findet daher nicht nur eine Reihe der in den letzten
Jahrzehnten entdeckten Texte (u. a. auch die Propheten-
Sprüche von Mari), sondern zugleich auch den gegenwärtigen Edi-
tionsstand vieler oft zitierter altorientalischer Literatur. Von besonderem
Wert sind viele der im letzten Abschnitt wiedergegebenen
sog. nordsemitischen Inschriften, Graffiti und Siegel, die größtenteils
erst vor wenigen Jahren gefunden wurden, wie die punischen
Inschriften (in dem Zusammenhang wird auch des 1.1. molk i. S.
von „Votivopfer" gedacht), die von Karatepe, Pyrgi, Kerak, Teil
Arad usw. - hier ist wirkliches Neuland greifbar, wie in der hebräischen
Grabinschrift von Chirbet, Bejt Lej aus dem 5. Jh. v. Chr.
(267 f.). Ohne einen ebenfalls noch ausstehenden - Bilderatlas ersetzen
zu wollen, sind den Texten 15 Strichzeichnungen und vier
Tafeln beigegeben worden. (Kine umfangreiche Bilddokumenta-
tion zum AT werden die betreffenden Hefte der Groninger „Ioono-
graphy of Religions" bringen; s. ThLZ 97. 1972, 817f.). Ein Sachregister
hilft wesentlich den Inhalt des Bandes zu erschließen.

Ist so in Durchfuhrung und Anlage das neue Lesebuch durchaus
zu loben und als ein sehr hilfreiches Arbeitsinstrument nicht nur
für Studenten, sondern auch für „Fortgeschrittene" einzuschätzen
(eine Lizenzausgabe für die DDR ist empfehlenswert), so muß doch
eine Einschränkung im Hinblick auf die Auswahl der herangezogenen
Religionen gemacht werden. Ist die Weglassung des altsüd-
arabisehen Bereiches noch verständlich und auch vom Hrsg. begründet
worden, so bleibt desto verwunderlicher die Übergebung
Irans! War dieses seinerzeit schon Greßmann vorzuwerfen, so
hätte B. jetzt die Chance gehabt (auch gegenüber Pritchard), diesen
nun schon bei vielen Theologen traditionell gewordenen Brauch,
die iranischen Religionen zu übersehen, aufzugeben. Schließlich
hat Iran unbestreitbar wesentliche Beiträge zur Ausbildung der
israelitisch-jüdischen Gotteslehre und Eschatologio geliefert, die
zu dokumentieren man in dieser Auswahl eben vergessen hat. Als
Einwand wird wahrscheinlich auf die schwierige - chronologisch
und literarisch betrachtet - Quellenlago der iranisch-zoroastri-
schen Überlieferung verwiesen werden, aber dies Argument ist
nicht stichhaltig. Abgesehen von den altiranischen (altpersischen),
besonders achämenidischen Inschriften, die in einigen Beispielen
aufzuführen und für die at-liche Tradition (Deut.-Jes., Esra, Nohe-
mia) aufzuschließen, man hätte zuerst erwarten können, steht auch
die avestische und mittelpersische Literatur chronologisch keinesfalls
der israelitischen so entfernt wie die altorientalische, die ja
z.T. sogar weit vor der Entstehung Israels und seiner Literatur
belegt ist, also zeitlich weiter entfernt ist als die - einmal mit aller
kritischen Vorsicht geäußert - erst in nachchristlicher Zeit schriftlich
fixierte altzoroastrische Literatur, die nachweisbar aber mehrere
Jahrhunderte älter ist, ja einen gleichen Zeitraum umspannt
wie das at-liche Schrifttum. Vielleicht ließe sich diese Lücke bei
einer Neuauflage schließen.

Leipzig Kurl Rudolph