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Ausgabe:

1977

Spalte:

475-478

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Mayr, Hans Oskar Anton

Titel/Untertitel:

Einheit und Botschaft 1977

Rezensent:

Mayr, Hans Oskar Anton

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

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auch die gegen weltliche Instanzen friedliche Reformation
wurde in Ländern mit altgläubiger Obrigkeit am Ende des
Bauernkriegs vollends ganz mit Aufruhr identifiziert und
mit der Revolution zusammen vernichtet, wie das schon sedt
1521 geplant und teilweise durchgeführt worden war. Nur
wo die Obrigkeit selbst wie Luther zwischen rechten Predigern
und Irrlehrern innerhalb der Reformation unterschied
, war für die ersteren eine erfolgreiche Weiterarbeit
möglich, die sich auch nach dem Bauernkrieg nicht auf
theologische Fragen beschränkte (Kap. 8).

Die Reformatoren verdeckten den für sie aus Existenzgründen
nicht voll klärbaren Zusammenhang zwischen Reformation
und Revolution häufig dadurch, daß sie dem Teufel
die Schuld daran gaben, daß aus der Reformation eine
Revolution hervorgegangen war (Anhang).

Im zweiten Teil meiner Arbeit habe ich das Verhalten von
gut 200 Geistlichen einzeln biographisch, je nach Quellenlage
kurz oder etwas ausführlicher, dargestellt. Der zweite
Teil ist regional gegliedert. Innerhalb einer Region sind
jeweils die Befürworter der gewaltlosen und der gewaltsamen
Durchsetzung des Evangeliums in einer Gruppe zusammengefaßt
.

Mayr, Hans O. A.: Einheit und Botschaft. Das ökumenische
Prinzip in der Geschichte des Christlichen Studenten Weltbundes
1895—1939, mit einem Ausblick bis zur Gegenwart.
2 Teile. Diss. Tübingen 1975. IV, 372 S. u. III, 249 S.

1. Die jetzt genau 80jährige Geschichte des Christlichen
Studentenweltbundes (World Student Christian Federation,
WSCF) war nur einmal, 1917, Gegenstand einer theologischen
Dissertation. In deutscher Sprache ist sie noch nicht geschrieben
. Dabei ist der WSCF wahrscheinlich der Strom
der ökumenischen Bewegung, welcher am meisten dazu beigetragen
hat, daß der ökumenische Rat der Kirchen 1938/48
zustande kam. Seine Geschichte ist paradigmatisch für die
Geschichte der ökumenischen Bewegung als Ganzer, er stellt
einen Minikosmos der Ökumene dar. Was seine „geistliche
Pilgerreise" besonders faszinierend macht, ist die Tatsache,
daß in ihm die beiden Grundanliegen der ökumenischen Bewegung
, das Streben nach Einheit und nach Erneuerung der
Kirche, „Sammlung" und „Sendung", von Anfang an beisammen
waren und bis heute nebeneinander vorangetrieben
werden. Das Sammeln zur Einheit und das missionarische
Ausbreiten der Botschaft geschah stets zugleich — nicht wie
in der „großen" ökumenischen Bewegung in getrennten Organisationen
, dem Weltkirchenrat und dem Internationalen
Missionsrat, die erst 1961 zur Integration kamen. Die daraus
resultierende ständige Spannung zwischen strengstmögli-
cher Treue zur eigenen Überzeugung und gleichzeitiger
Offenheit für die „anderen" wird in dieser Arbeit durch die
3 bzw. 5 Epochen der Bundesgeschichte hindurch verfolgt
Diese Spannung bestimmt auch den Lebensrhythmus der
Bewegung, der sich im Wechsel von Expansion und Retraite
in Schritten von jeweils ca. 4 oder 2mal 4 Jahren, durch die
wichtigsten Konferenzen markiert, vollzieht.

2. Der WSCF erwuchs aus der expansiven evangelistischen
Arbeit der (angelsächsischen) YMCAs und deren vitalsten
Abteilung, der Studentenfreiwilligenbewegung (SVM). Er
begann also in der streng christozentrischen und geistlichen
Einheit gleichgesinnter Evangelikaler. Innerhalb dieser forderten
die kontinentalen Studentenbewegungen, besonders
die deutsche DCSV, daß die Vielfalt der kulturellen, „völkischen
" Eigenarten respektiert werden müsse, damit die so
gewonnene Autonomie der Einzelbewegungen zur gegenseitigen
Bereicherung dienen könne. (Einheit in der Mannigfaltigkeit
, Interdependenz.) Es war John M o 11 s Geniestreich
, diesem Wunsch durch das Bundes-(Föderations-)
Prinzip Rechnung zu tragen und so die Bewegung zunächst
einmal echt inter-national zu machen. Diese Grundentscheidung
zieht dann eine theologische Pluralität nach sich. Die
„Erweckungs"frömmigkeit geht in ein „praktisches Christentum
" über. „Liberale" Kräfte treten hinzu. In einer

Christologie des „größeren Christus", des „lebendigen Christus
" wird diese Vielfalt kultureller und theologischer Art
zusammengehalten. Die Grundspannung findet ihren Ausdruck
in den Begriffspaaren: Wie ist „Weite" und „Tiefe"
zu verbinden ? Wie kann man anderen die Wahrheit in Liebe
sagen ?

3. Als nächstes treten andere konfessionelle Traditionen
in die Reichweite des WSCF ein: Anglikaner, Lutheraner,
Orthodoxe. Um diese Verschiedenheiten zu bewältigen, werden
nebeneinander zwei Konzepte versucht: Das eine versucht
, die Unterschiede zu „transzendieren", d. h. sie zugunsten
einer allen gemeinsamen Minimalbasis als unwesentlich
beiseite zu lassen. Dies entspricht dem Einheitsprinzip
der Missionsbewegung und ihrer Edinburgher Konferenz
von 1910, es bewährt sich so lange, als nur einzelne Christen
aus anderen Konfessionen in den als solchem „evangelisch"
bleibenden Bund eintreten. Das andere versucht durch
„Komprehension" die Reichtümer der verschiedenen Traditionen
einfühlend zu verstehen und in eine umfassende
Synthese einzubeschließen, wobei die Unterschiede zur gegenseitigen
Bereicherung fruchtbar gemacht werden. Durch
diese Entscheidung wird der Bund inter-denominationell.
Dieses Prinzip bewährt sich, wo man Konfessionen als Ganze
im Blick hat, es entspricht der Idee der Faint-and-Order-Be-
wegung. Es kommt vorerst nur zwischen Anglikanern und
Evangelikaien in der britischen Mitgliedsbewegung zur
praktischen Geltung. Bei diesem Stand der Entwicklung
wird durch den 1. Weltkrieg eine Zwischenbilanz gezogen.

4. Nach dem Krieg wird die Problematik des fast unbegrenzten
Hereinnehmens aller christlichen Vielfalt sichtbar:
In diesem Prozeß ist die einigende Mitte, der gemeinsame
Kern fast verlorengegangen. Erfolglos wird nach einer gemeinsamen
Christologie gesucht, eine tragfähige theologische
Basis angestrebt. Von der Treue, mit der solche „Durststrecken
" überstanden werden, gibt H.-L. Henriod ein
Beispiel. Der Wunsch einer Mehrheit im Bund, Einheit durch
gemeinsames Verfolgen derselben (theologisch verstandenen
) säkularen Ziele zu gewinnen, also durch gemeinsame
„Orthopraxis" (z. B. Verpflichtung zum Pazifismus), wird
von einer Minderheit nicht akzeptiert. Die Gesamtheit gibt
dieser Minderheit nach: Die sozialethischen und politischen
Entscheidungen werden für alle Mitglieder frei gelassen.
Damit erweist sich auch eine „Einheit im Dienst", wie sie die
Stockholmer Bewegung für Praktisches Christentum anstrebte
, als unmöglich. Erfolgreich formuliert wird aber das
„interkonfessionelle" Prinzip: Gegenseitige Bereicherung
der konfessionellen Traditionen, Maximal- statt Minimalökumenismus
(Tissington Tatlow). Im Gespräch mit den
Weltreligionen wird die Grenze des Relativismus erreicht:
Die Frage wird gestellt, ob auch die Mannigfaltigkeit der
verschiedenen religiösen Einstellungen in der Einheit des
Bundes Platz haben können. Vorherrschend ist in diesen
Jahren eine Politik des „Sowohl-Als-auch" (John Mott).

5. Dann kommt 1928/29 die Wende: Karl Barths Theologie
, von einer jungen, die absolute Wahrheit suchenden
Generation begeistert aufgenommen, stellt die einigende
Botschaft heraus: W. A. Visser't Hooft und Pierre
M a u r y treten an die Spitze dieser Entwicklung. Die Alternative
von Minimal- und Maximalökumene wird überwunden
durch einen dritten Weg, der Einheit „unter dem einen
Ruf": Die Einmaligkeit (uniqueness) Christi begründet die
umfassende Einigkeit der Kirche (universality). In ihr wird
jetzt Konfessionstreue als die notwendige Vorbedingung,
nicht als Hindernis für eine ökumenische Offenheit zu verstehen
gelernt. Die neue Botschaft findet ihren Ort in der
Kirche: Einheit kann nur Einheit der Kirche sein. Diese Gemeinschaft
der Wahrheit lebt aus dem Wort der Offenbarung
, die „biblische Erneuerung" prägt den WSCF (Suzanne
de Dietrich) — sie wendet sich auch zur Welt: in Uni-
versitäts- und Weltmission und im Dienst der Kirche an der
Welt: Ihr muß gesagt werden, daß sie „keine anderen Götter
" verehren darf. Auf diesem Konsensus entsteht der ökumenische
Rat, vollzieht sich die Konvergenz der verschie-