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Ausgabe:

1977

Spalte:

472

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Dat Niee Testament 1977

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Seite 1

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471

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

472

u. E. hätte er von dem unvergessenen Oskar Pfister, an den
Joachim Scharfenberg im Geleitwort erinnert, oder auch
Ernst Jahn, Otto Haendler und anderen, noch stärker lernen
können und müssen, was es heißt, die weltanschaulichen Positionen
vieler Tiefenpsychologen theologischerseits zu hinterfragen
. Wir fürchten, daß Brunnert bei so manchem Leser
Ängste auslöst bezüglich eines vermeintlich unvermeidbaren
Substanzverlustes am Glauben, wenn man sich auf die
Tiefenpsychologie einläßt. Scharfenberg schätzt diesen Punkt
übrigens ganz anders ein, schreibt er doch im Geleitwort:
„Die hier vorgelegten Predigten scheinen mir vor allem den
oft geäußerten Verdacht zu widerlegen, daß eine psychoanalytische
Ausbildung notwendig zu einem Identitätsverlust
des Theologen als Theologe führen müsse" (S. 11).

Wir möchten unsere Kritik abschließend belegen an einem
absichtlich zusammenhängend zitierten Abschnitt der zweiten
von zwei innerlich zusammengehörigen Predigten zum
Thema Erotik, die wir trotz aller Kritik im einzelnen als im
ganzen durchaus gelungen und beachtlich betrachten. Es
heißt dort: „Ich bin fest davon überzeugt, daß unser Reden
von Gott und unser Gottesglaube weniger langweilig und
abstoßend, ja im Gegenteil viel anziehender und beglückender
sein würde, wenn wir die Vergnügen bereitende erotische
Ausdrucks- und Beziehungsmöglichkeit des Menschen
auch auf Gott übertragen würden und uns daher für ihn ehrlicherweise
nur soviel interessieren würden, als er uns wirklich
gefällt. Ein Gott, der uns Spaß macht, den wir bewundern
und verehren können, wird durch uns auch überzeugend
weiterempfohlen werden können als Gegenstand der
Verehrung und Quelle der Beglückung. Und Gott macht sich
äußerst attraktiv für uns, so daß wir wirklich an ihm Vergnügen
finden können. Alles Reden von Gott, das uns oder
andere belastet und einengt, das Angst erweckt oder bedrückende
Verpflichtungsgefühle und lähmende Schuldgefühle
hervorruft, handelt nicht von dem Gott, der in dem
Kinde Jesus Mensch und in dem hungrigen, durstigen und
geschundenen Nächsten unser Bruder wurde, dem zu helfen
aufgrund eines tiefverwurzelten menschlichen Bedürfnisses
ebenfalls Spaß macht. Jenes belastende und bedrückende
Reden von Gott ist vielmehr eine Form hierarchischer Manipulation
, selbstquälerischer perfektionistiseher Theologie,
die meint auch orientalisch-despotische Gottesvorstellungen
mit dem Bilde des Vaters von Jesus Christus harmonisieren
zu müssen, ist unverantwortliche Quälerei und Heuchelei."
Dazu wird in einer Anmerkung — zwei Anmerkungen haben
wir ausgelassen — noch erläutert: „Zwangsneurotiker
leiden an geistig-seelischer und religiöser Verstopfung und
halten an allem fest, was sie als Kinder einmal geschluckt
haben. Sie können das Brauchbare nicht assimilieren und
das Unbrauchbare wieder ausscheiden und wegwerfen. Sie
bauen perfektionistische theologische Systeme, in denen für
alles und jedes Platz ist, in denen dann der orientalischdespotische
Rächergott, der sich Menschen und Tiere zu seinem
Pläsier in einem Paradiesgarten hält, ihnen unverständliche
Befehle und unzutreffende Drohungen übermittelt
, sie einfach hinauswirft und schließlich ersäuft, neben
dem Gott erscheint, der der Vater von Jesus Christus ist,
ohne daß sie sich von nutzlosem Ballast früherer religiöser
oder geistesgeschichtlicher Überlieferungen trennen mögen.
Sie produzieren nichts Neues, sondern verhökern alte Ladenhüter
autoritärer Glaubenslehren und Moralvorschriften
und fühlen sich gezwungen, weiter im Sinne dieser Lehren
und Normen zu reagieren. Mit ihrem autoritären Reden von
Gott kultivieren sie eine sadomasochistische Quälerei. Sie
leben, psychologisch verstanden, über ihre Verhältnisse und
sind objektiv betrachtet Heuchler ... Sie sind die Totengräber
wahrer Liebe und Freude." (S. 247/248.)

So richtig es ist, die Freude an Gott pointiert hervorzukehren
, so problematisch ist doch die Aufforderung, uns ehrlicherweise
nur soviel für Gott zu interessieren, als er uns
wirklich gefällt. Hier wird das Ringen mit dem verborgenen,

uns rätselhaften, ja erschreckenden Gott, der dennoch unser
Herr ist und bleibt, allzu sehr verharmlost und verniedlicht.
Und so gewiß es äußerst wichtig ist, daß wir unseren Dienst
am Nächsten nicht nur aus dem Gefühl der Pflicht heraus
tun, sondern alle natürlichen Strebungen der Solidarität und
Hilfe in uns aktivieren, um auch Freude am Helfen zu empfinden
, so muß man doch nüchtern genug bleiben, um zu sehen
, daß viele notwendige Hilfe innerhalb und außerhalb
der Kirche nur deswegen geleistet und auch durchaus zureichend
geleistet wird, weil ein stark ausgeprägtes Pflichtgefühl
das natürliche Streben zu helfen stützt und vertieft. An
Albert Schweitzer, den Brunnert zweimal zitiert, wird dieses
enge Ineinander von Pflicht und Befriedigung im Helfen
anschaulich. Wenn die Dinge günstig laufen, ist Pflicht sehr
oft die Wurzel und sind Glück und Befriedigung die Frucht
des Dienstes. Und was die Anmerkung betrifft, so wirkt sie
u. E. anachronistisch angesichts jener ausgezeichneten Interpretationen
der Urgeschichte, die heute weitverbreitet sind.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß man diese Predigten
sicher vielfach recht kritisch lesen muß, daß sie aber doch
vor allem gewürdigt werden müssen als ungemein anregend
und in vieler Hinsicht ausgesprochen hilfreich und weiterführend
. Wir wünschen ihnen viele aufmerksame Leser.

Druckfehler: Anmerkung S. 258, Z. 12 v. u.: einzelnen
Menschen statt einzelne Menschen.

Berlin H. H. Jenssen

Muuß, Rudolf t: Dat Nice Testament plattdüütsch. Breklum:
Breklumer Verlag [1975]. 514 S. 8". Lw. DM 19.50.

Das Sonntagsevangelium plattdeutsch. 3. Aufl. Hrsg. von
der Arbeitsgemeinschaft plattdeutscher Pastoren in Niedersachsen
1975. 83 S. 8°. DM 4,-.

Die plattdeutsche Übersetzung des Neuen Testamentes ist
nach dem Tod von Rudolf Muuß von vier Sachverständigen
auf die mittelholsteinische Mundart umgestellt, mit der Begründung
, sie würde in ganz Niederdeutschland leicht verstanden
. Das wird richtig sein. Somit wird ein guter Weg
gegangen. Es ist zu wünschen, daß dies Neue Testament
weite Verbreitung im niederdeutschen Sprachraum findet.
Auch die neuen hochdeutschen Übertragungen sollten es
nicht übersehen, sondern sorgsam zu Rate ziehen, weil viel
von ihm zu lernen ist. Lange Satzperioden wie in Rö 1, 1 ff.
sind noch stärker als in der „Guten Nachricht" durch kleine
Hauptsätze ersetzt. Die „Gute Nachricht" hat Luthers „fasten
" in Mt 4. 2 mit „nichts gegessen" wiedergegeben; Muuß
sagt richtiger: 40 Tage und Nächte „eet hei meist nix". Die
plattdeutsche Sprachgestalt des neuen „Muuß" ist u. E. vorbildlich
. Natürlich bleiben Fragen offen. Warum wird Lk 8,
27 u. ö. von „Dämonen" gesprochen? Was soll hier das
Fremdwort? Der Mecklenburger Ernst Voß sprach in seiner
Übersetzung von 1929 von „Düwelsgeist". Das ist gewiß vorzuziehen
, und „Muuß" könnte gewiß folgen, weil Mt 4, 1
ungehemmt vom Düwel geredet wird. Wir haben mit großer
Genugtuung gelesen, daß „Muuß" von dem heute fast verfemten
Wort „Seele" reichen Gebrauch macht. Die neuen
Bibelübersetzer sollten nicht weiter dazu beitragen, das urdeutsche
und im geistlichen Gebrauch weiter unentbehrliche
Wort „Seele" nicht vollends zu verdrängen. Wir bedauern,
daß Erich Faschers temperamentvolle kleine Schrift „Seele
oder Leben" (Berliner Hefte zur Förderung der ev. Kran-
kenseelsorge 7), 1960, die nötige Beachtung nicht gefunden
hat. Jetzt sei auf einen anonym erschienenen Aufsatz „Leben
— Seele — Seelsorge" in der „Zeitschrift für Theologie
und Kirche" 1975, S. 461 ff. verwiesen.

Zu der dritten Auflage „Das Sonntagsevangelium Plattdeutsch
" ist unsererseits Neues zu unseren Besprechungen
in ThLZ 100, 1975 Sp. 392 f. nicht hinzuzufügen. Wir beglückwünschen
die rührige Arbeitsgemeinschaft plattdeutscher
Pastoren zu ihrem verdienten Erfolg.

Rostock Gottfried Holt?.