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Ausgabe:

1977

Spalte:

466-467

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Benedikt, Prinzipien christlicher Moral 1977

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

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sachen (109) und subjektiver Willkür, unbedenklich nur für
ein reduziertes hermeneutisches Differenzbewußtsein. Gewiß
, im „Innern des Kreises" (202) hat die frappante Unmittelbarkeit
zur gesamten Tradition, in der die „Totalität"
und die „Substanz" des Glaubens (187, 198 u. ö.) identisch
überliefert wird, ihr Recht. Abweichungen vom integralen
Glauben können aber schließlich nur hamartiologisch erfaßt
werden (70, 122 ff. u. ö). Die Feststellung, daß heute auch
das katholische Bewußtsein erschüttert sei (285), muß, die
unmittelbare Inklusivität der Kirche vorausgesetzt, am
Ende unbegriffen bleiben.
München Walter Sparn

ETHIK

Duchrow, Ulrich, Huber, Wolfgang, u. Louis Reith: Umdeu-
tungen der Zweireichelehre Luthers im 19. Jahrhundert,

hrsg. in Zusammenarb. m. K. Eichholz, T. Fabiny, K. Hertz
u. K. Hungar. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd
Mohn [1975]. 111 S. 8° = Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte
, hrsg. v. G. Ruhbach unter Mitarb. v. G. A.
Benrath, H. Scheible u. K.-V. Selge, 21. Kart. DM 16,80.

Dies ist ein sehr instruktiver Band aus der nützlichen
Reihe „Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte". Die
Literatur über die Zweireichelehre Luthers vermehrt sich
zwar dauernd, aber fast durchweg handelt es sich dabei um
historische Arbeiten, die an der präzisen Erfassung des von
Luther im 16. Jh. Gemeinten interessiert sind, oder um sozialethisch
orientierte Arbeiten, die nach der Tauglichkeit
des Modells der Zweireichelehre für die gegenwärtig anstehenden
gesellschaftlichen Entscheidungen fragen. Dabei
wird von den Befürwortern des Modells der Zweireichelehre
immer wieder behauptet, daß Skepsis und Vorwürfe
gegen sie aus einem Mißverständnis des von Luther Intendierten
herrühren und die Wirksamkeit für die Gegenwart
beeinträchtigen. Wie es jedoch zu diesen Mißverständnissen
gekommen ist und wo einschneidende Veränderungen an
Luthers Gedanken vorgenommen worden sind, ist bisher
wenig untersucht worden. Die Herausgeber legen nun ein
Quellenheft vor, in dem sie Texte aus dem 19. und dem beginnenden
20. Jh. gesammelt haben, an denen solche Veränderungen
und Umdeutungen deutlich werden. Kurze,
prägnant formulierte Einleitungen und ausführliche Anmerkungen
helfen dem Leser, die ausgewählten Abschnitte
in einen Zusammenhang zu stellen und den roten Faden der
Argumentation zu erkennen. So ist das Quellenheft auch
didaktisch gut gelungen.

Den größten Raum nimmt die Darstellung der Diskussion
in der deutschen Theologie ein. Zwei Traditionsstränge
kommen zu Wort: die konfessionell-lutherische Theologie
und die liberale Theologie des 19. Jhs. Texte von Stahl, Vil-
mar, Kliefoth, Harleß und Theodosius Harnack belegen, wie
die Rede von den zwei Reichen als Unterscheidung von Natur
- und Heilsordnung modifiziert wird. Vor allem bei Vil-
mar führt das zu einer scharfen Trennung, daß die Kirche
mit den „Welthändeln" nichts zu tun habe, nur mit den
Privatpersonen. Eine wichtige Rolle spielt dann Chr. E'.
Luthardt, der in die Ethik Luthers die Trennung zwischen
Gottesreich und Wellreich im Sinne einer Trennung von
Innerlichkeit des Christentums und äußerem Leben hineininterpretiert
hat.

Aber nicht nur das konfessionelle Luthertum hat diese
Interpretation vertreten und in das 20. Jh. weitergetragen:
sie ist auch von der liberalen Theologie bis hin zu Juristen
und Soziologen verbreitet worden. Das Quellenheft bringt
Belege aus Schriften der Theologen A. Ritsehl, W. Herrmann
und E. Troeltsch sowie Äußerungen von dem Juristen
Rudolph Sohm und den Soziologen F. Naumann und Max
Weber. Der sie verbindende Aspekt ist der Respekt vor der
•.Eigengesetzlichkeit" des ökonomischen und politischen Lebens
, mit der die Religion der Liebe und Innerlichkeit im
Christentum nicht vermischt werden dürfe. Das führt bei
Max Weber zur Trennung von Gesinnungsethik (die nicht
nach dem Erfolg fragt) und Verantwortungsethik (die gerade
die Folgen bedenkt), bei Troeltsch zur Unterscheidung
zwischen der (rein und radikal christlichen) Ethik der Person
und der (natürlich-vernünftigen, nur relativ christlichen)
Ethik des Amtes, bei Naumann zur Feststellung einer doppelten
Moral im staatlichen und im kirchlichen Leben. Indem
man sich dafür auf Luther beruft, erscheint solche
Trennung und doppelte Moral als Sinn der Zweireichelehre.
Die Herausgeber stellen mit Recht heraus, daß dabei ein
doppeltes Mißverständnis vorliegt: einmal ist bei Luther
die Liebe kein Phänomen der bloßen Gesinnung, sondern
ein reales gesellschaftliches Verhalten; zum anderen wird
der für Luther konstitutive Zusammenhang von Liebe und
Vernunft übersehen und das politische Ethos auf Ausübung
der Gewalt reduziert.

Außerdem werden in dem Quellenheft noch Texte aus
Ungarn, den Vereinigten Staaten von Amerika und aus der
Missionsgeschichte des heutigen Namibia abgedruckt, die
parallele Umdeutungen der Zweireichelehre zum Inhalt haben
. Der Einfluß der deutschen Theologie des 19. Jhs. ist dabei
unverkennbar. Besonders provozierend wirken auf den
heutigen Leser die missionsgeschichtlichen Texte aus dem
Anfang des 20. Jhs., in denen zwar einerseits zwischen Mission
und Kolonisation ein Trennungsstrich gezogen werden
soll, andererseits es aber heißt: „Es ist der Mission sehr angenehm
, daß sie den Politikern, Handelskreisen und sonstigen
Kolonisten damit einen Dienst erweisen kann" (Pastor
Paul, Bremen 1904). Die Texte zum Herero-Aufstand 1904 05
lassen schmerzlich erkennen, wie hier eine böse Praxis noch
durch eine schlechte Theorie gestützt wird.

Leipzig Joachim Wtebering

Ratzinger, Joseph: Prinzipien Christlicher Moral, unter Mitarb
, v. H. Schürmann u. H. U. v. Balthasar. Einsiedeln:
Johannes Verlag [1975]. 93 S. 8° = Kriterien, 37.

In den drei Beiträgen geht es um die Berechtigung der Moraltheologie
, auch weiterhin von Prinzipien der christlichen
Moral zu sprechen und bei der Antwort auf gegenwärtige
Herausforderungen von letztgültigen Wertungsmaßstäben
auszugehen. Der zentralen Studie von Ratzinger sind zwei
Referate beigefügt, die H. Schürmann und H. U. von Balthasar
auf einer Sitzung der Internationalen Theologenkommission
im Dezember 1974 gehalten haben. Alle drei Autoren
sind vom Fach her keine Moraltheologen und äußern sich
darum nicht zu Detailfragen.

Joseph R a t z i n g er untersucht unter dem Titel „Kirchliches
Lehramt — Glaube - Moral" (S. 41-66), ob die Alternative
zwischen Orthodoxie und Orthopraxie zu Recht besteht
und wie das christliche Proprium auf dem Gebiet der
Moral zu bestimmen ist. Das kirchliche Lehramt hat in der
Nachfolge der Apostel die Funktion, die apostolische Mahnung
als maßgebliche Tradition jeweils für die neue Situation
zu entfalten (nach einer Formulierung von Heinrich
Schlier). Die Praxis des Glaubens ist unlösbar verbunden
mit der Wahrheit des Glaubens, und erst von daher ergibt
sich die Möglichkeit, kritisch zur Vernunft Stellung zu nehmen
, in Assimilation oder in Negation des als vernünftig
Behaupteten zu gemeinsamen moralischen Entscheidungen
zu kommen.

„Die Frage nach der Verbindlichkeit der neutestament-
lichen Wertungen und Weisungen" ist Thema der Skizze
von dem Erfurter Neutestamentier Heinz Schürmann
(S. 9—39). Sowohl die unbedingt verbindlich geltenden Forderungen
, die sich aus Verhalten und Wort Jesu ergeben,
als auch die meisten apostolischen und urkirchlichen Weisungen
sind so formuliert, daß sie auch heute verbindlich
sind. Nur für einige „partikuläre sittliche Weisungen im
engeren Sinne" (genannt werden die Unterordnung der Frau