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Ausgabe:

1977

Spalte:

463-465

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lubac, Henri de

Titel/Untertitel:

Credo 1977

Rezensent:

Sparn, Walter

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

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freilich eine stärkere Beachtung auch allgemeinerer, zeitgeschichtlicher
Bezüge zu wünschen gewesen. Damit hätten
die durch sorgfältige Textinterpretationen und ideengeschichtliche
Durchblicke (Exkurse u. a. zu Lessings Patristik-
studien, Spinozismus, „drittes Zeitalter") gewonnenen Ergebnisse
u. U. noch deutlicher profiliert werden können.
Berlin Rudolf Mau

Lubac, Henri de: Credo. Gestalt und Lebendigkeit unseres
Glaubensbekenntnisses, übers, v. A. Schorn t u. H. U. v.
Balthasar. Einsiedeln: Johannes Verlag [1975]. 294 S. 8° =
Theologia Romanica, VI.

Der Essai „La foi chretienne" (1970) liegt nunmehr in
einer gekürzten Ubersetzung vor. Die Studie ist kein exegetischer
Kommentar zum Apostolikum, sondern die zielbewußte
, durch eine Fülle überlieferter und zeitgenössisser,
auch protestantischer Voten abgesicherte Analyse seiner
strukturellen Einheit: der Glaube an den trinitarischen Gott
ist der Glaube der Kirche.

Die Legende der Apostolizität wird einleitend als Stilisierung
des Tatbestandes gedeutet, daß das Apostolikum den
von den Aposteln überlieferten Glauben korrekt formuliert
(9-28). Im 2. Kap., „Die trinitarische Gestalt" (29-56), folgt
der Nachweis, daß ein organisches Ganzes vorliegt, dessen
Struktur dem christlichen Glauben selbst entsprechend
christologisch und, entfaltet, trinitarisch ist (30 f., 38 f.). Die
Einheit des Geglaubten wird im 3. Kap. auf die Offenbarung
, d. h. auf die .„ökonomische' Trinität" (57—94) und
durch sie auf das drei-personale Wesen Gottes zurückgeführt
: so gewiß Lehre von Gott immer nur durch und in
„Ökonomie" gegeben ist, sowenig darf sie sich auf die
Lehre vom Heil reduzieren: das Heil des Menschen ist eben
Gott (62 f., 67). Vf. verwirft darum die „rein funktionale"
Auffassung des Lutherschen pro me in der anti-objektivistischen
„Bultmannschen Philosophie" (Harnack, Ritsehl,
Feuerbach, 63 ff.); mit Barth, Bonhoeffer, Brunner, Cull-
mann, Schlink, Torrance, auch mit dem aus katholischem
Erbe lebenden Luther selbst (68 f.). Immerhin scheint schon
bei Luther die Tendenz zu einer immer subjektiveren Theologie
(70) deutlich genug angelegt, um ihr den „katholischen
Primat des Mysteriums", d. h. des Seins Christi bzw. Gottes
in sich, gegenüberzustellen, der den personalen, existentiellen,
subjektiven mit dem dogmatischen, ontologischen, objektiven
Charakter des Glaubens verknüpft (71 f., 104 f.). Das
4. Kap., „Glaube, Fürwahrhalten, Religion" (95—131) zeigt
an dem nur mit den drei göttlichen Personen verbundenen
Gebrauch von „credere in", daß der gelebte Glaube lange
vor seiner begrifflichen Reflexion trinitarisch war (99 f.;
51 f., 130 f.) und daß sein totaler Charakter notwendig Inhalte
, also ein Element von Objektivität und Autorität, bei
sich hat (107). Dies zeigt sich gerade darin, daß der christliche
Glaube die religiöse Natur des Menschen reinigt, verwandelt
, erfüllt (112 ff.); auch hier versichert sich Vf. der
Ubereinstimmung mit den Reformatoren, ja mit Bonhoeffer
und mit Barth in seinem „dogmatischen" Gegensatz zum idealistischen
und liberalen Immanentismus (116 ff., 250 u. ö.).

Die Einheit von Natur und Übernatur wie von Glaube
und Dogma ist also die Kirche. In den Kap. „Die glaubende
Kirche" (132—156) und „Der Glaubende in der Kirche" (157 bis
176) erläutert Vf. diesen seinen Ausgangspunkt. Die Kirche,
„an" die man freilich nicht glaubt (oder doch in kindlicher
Anhänglichkeit), ist der Ort der Fülle des Glaubens, das Ich,
das allein wirklich sagen kann: ich glaube an Gott (144). Beginnend
mit dem Bekenntnis des Petrus, in Rom sich sichtbar
zentrierend, ist sie die „Mutter" (mit Erasmus, Luther,
Calvin, Barth 137 f., 154 f., 189), durch die zunächst, in der
und mit der dann jeder Christ authentisch glaubt, ausdrücklich
oder implizit (148, 152; credere in Ecclesia 157). Dieser
inklusiven Funktion des „Organismus" Kirche entspricht
nur der Glaube, der gerade als „Verinnerlichung" der Wirkungen
des Geistes zunehmend kirchlich und katholisch
wird (151 ff., 171 ff.).

Der Struktur des Credo folgend, begründet das 7. Kap. die
subjektive und objektive „Einheit des Glaubens" (177—210)
aus der Einheit seines Prinzips, dem als solchen „göttlichen"
Glauben der Kirche (178, 184). Es setzt den Institutionalismus
des bloß autoritativen Glaubens und seine progres-
sistische Gegenspiegelung in bloß wissenschaftlicher Kompetenz
oder bloß horizontalem Dialog ins Unrecht (179 ff.;
140 f., 174 f.). Weil die objektive Einheit des Glaubens, nicht
nur die des Dogmas, sondern zugleich die des Mysteriums
(192), weil diese „umfassende Wirklichkeit" also ein Kreis
ist, geschlossener Raum und ewig in sich vollendete Totalität
, ist auch der Fülle des Credo nichts hinzuzufügen. Vom
geschichtlichen Fortgang der Offenbarung kann keine Rede
sein, wohl aber von der Fruchtbarkeit des Symbolum in der
zeitgenössisch antwortenden Entfaltung seiner objektiven
Implikationen und in der zeitlosen Vertiefung ins Mysterium
(194 f.) bis hin zur negativen, apophatischen Theologie
(206 f.). Die „Entwicklung" des Dogmas vollzieht nicht die
Assimilation an eine gegebene kulturelle Situation („Helle-
nisierung"), sondern verwandelt das kulturelle Instrumen-
tar durch und für den christlichen Glauben (199 f.). Das
8. Kap., „Sprachliche Neuschöpfung" (211—234), erläutert
dies an der semantischen und syntaktischen Evolution, in der
das Neue des Christlichen sich sprachlichen Ausdruck verschafft
. Das 9. Kap., „Der Aufschwung des Glaubens" (235 bis
257), zieht die Konsequenz im Blick auf die spirituelle Dynamik
der Realisierung des Glaubens: er ist immer als (freilich
unendlicher) Weg zu Gott verstanden worden, in dem
die geheime Bewegung, die dem Geschöpf als solchem innewohnt
, verwandelt und erfüllt aufgenommen wird (236,
243). Das 10. Kap. über „Glaube und Glaubensbekenntnis"
(258—286) rechtfertigt abschließend die Notwendigkeit der
„Objektivierung" des existentiellen Aktes im doxologischen
und personalen „Bekenntnis" einerseits, im gemeinschaftlichen
und abgrenzenden „Symbolum" andererseits (273).

Ein eindrucksvoll katholisches Buch! Seine spirituelle
„Lebendigkeit" und sein Wille zu dogmatischer und institutioneller
„Gestalt" sind zugleich eine kontroverstheologische
Lektion, die im negativen wie im positiven Bezug den
Abstand zur protestantischen Theologie deutlich erkennen
läßt. In dem „ekklesialen Horizont" (148), dem die Nouvelle
Theologie sich so entschlossen einfügt, verabsolutieren sich
gewisse Probleme sichtlich weniger fatal; v. a. die „künstlichen
" Antithesen von Existentiellem und Objektivem, von
Geschichtlichkeit und Metaphysik, von Freiheit und Institution
usw. (64, 1221, 262; zu deren eigener dogmatischer
Motivation z. B. 111, 124 A. 100). Andererseits ist die Verkürzung
der abgewiesenen Funktionalisierung auf einen
„Subjektivismus des Heils" nicht akzeptabel, zu schweigen
von dessen Zuschreibung zu Luther und Hegel(!). Hier
scheint die Maritainsche These vom reformatorischen Ursprung
des als solchen destruktiven Prinzips der Subjektivität
ungeklärt weiterzuwirken (250; 70 f., 249 f.). Umgekehrt
dürfte die Aneignung der ekklesiologisch interpretierten
protestantischen Theologie, v. a. der Dogmatik Barths,
berechtigten Bedenken begegnen. Die Wurzel der Differenz
wird sichtbar, wenn Vf. keinen Zweifel daran läßt, daß das
katholische Denken Dialektik und Antithese deshalb weniger
liebt, weil es der fldes ex auditu eine nur pädagogisch-
instrumentelle Rolle zuschreibt (152), dagegen den gelebten
Übergang von Natur zu Übernatur für möglich hält (121; 72,
119); weil es eine radikale Differenz zwischen Geschichte
und Natur folglich nicht annimmt (243 f.; 60 f., 124 f., 194 f.,
203 f.). Der „Primat der objektiven Wirklichkeit" (71) ist
mittelbar gewiß christologisch, in erster Linie jedoch theo-
ontologisch begründet — die Figuren des Kreises und des
Aufstiegs zum anziehend Bewegenden illustrieren dies deutlich
genug. Die Problematik der theologischen Fassung von
Ontologie überhaupt, einschließlich der Geschichtlichkeit
und Subjektivität von Sein, verkürzt sich daher auf die Alternative
zwischen objektivem Sein, gar Offenbarungstat-