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Ausgabe:

1977

Spalte:

452-458

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Das Zeitalter der Aufklärung 1977

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

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drucksvollen Schilderungen des Einflusses des Calvinismus
auf Politik, Staatswesen und Kunst. Auch sonst konnte der
Grundsatz, Nieseis Bibliographie bis 1959 zu ergänzen, nicht
voll eingehalten werden. Wiederum fehlen wie bei Niesei
beispielsweise die wichtigen Artikel „Calvin" (W. Blankenburg
) und „Calvinistische Musik" (H. A. Bruinsma) in MGG
2, 653-666. 666-674.

Mit diesen Feststellungen ist bereits der Grundsatz der
größtmöglichen Vollständigkeit berührt, der nach der Einführung
(S. 14) für die Zeit zwischen 1972 und 1974 ohnehin
nur mit Einschränkung gilt. Was die Sparte „Various refor-
mers" betrifft, so hat sich die Bibliographie mit diesem
Grundsatz wahrscheinlich einfach übernommen. Hier kann
von Vollständigkeit keine Rede sein. Aber auch in den Sparten
, die sich mit Calvin und dem Calvinismus im engeren
Sinne befassen, fallen sogleich Lücken auf, die nicht nur
Literatur aus dem deutschen Sprachraum betreffen. Um jedoch
mit diesen zu beginnen: Es fehlen: die Ausgabe der
Reformatorenbriefe, EVA Berlin 1973 (S. 21); Johannes Calvin
I—III, ausgew. und übers, v. J. Rogge (= Quellen. Ausgewählte
Texte aus der Geschichte der christlichen Kirche,
Heft 29, I—III), Berlin 1964; G. W. Locher: Grundzüge der
Theologie Huldrych Zwingiis im Vergleich mit derjenigen
Martin Luthers und Johannes Calvins. Zwingliana XII, 7/8
(1967) 470-509. 545-597 (= ders.: Huldrych Zwingli in neuer
Sicht, Zürich 1969, 173—274) (die verkürzte englische Fassung
ist verzeichnet); die deutsche Fassung des S. 50 Sp. 1 angeführten
Aufsatzes von Oberman in der Festgabe Hanns
Rückert, Berlin 1966; die Ausgabe der S. 119 verzeichneten
Arbeit von J. Rogge, EVA Berlin 1965; der Art. „Marot"
MGG 8, 1666-1668 (P.-A. Gaillard); die Bände 6 und 7 der
Beza-Korrespondenz (S. 146); P. Jacobs: Die Gemeinde wird
mündig. In: Reformation in Europa, hrsg. von O. Thulin,
Berlin 1967, 69—104 mit der englischen Parallelpublikation;
die englische Fassung des S. 210 notierten Aufsatzes von W.
Nijenhuis in: ders.: Ecclesia Reformata, Leiden 1972, 188 bis
206; J.-C. Odier: Le „Notre Pere" dans la pensee de Luther
et Calvin, Diss. Bruxelles 1965. Ferner fehlen vollständig die
Literatur zu den reformierten Bekenntnisschriften generell,
einige Titel zum Weseler Konvent und die russischsprachige
Literatur. Aber vielleicht deutet diese (übrigens ergänzungsfähige
) Liste überhaupt das Elend der Bibliographierung in
unserer Zeit an?

Ab und zu sind Mängel in den Querverweisungen zu bemerken
. Daß das S. 194 verzeichnete Werk von G. von Polenz
ein Nachdruck ist, geht aus den Angaben nicht hervor. Bei
den S. 201 unter dem Namen von G. Anrieh aufgenommenen
Titeln handelt es sich um jeweils dieselbe Publikation, wobei
der eine Titel ein Sonderdruck ist.

Ein störender Schönheitsfehler des Buches sind die unzähligen
Fehler in Grammatik und Eigennamen, vor allem
in den deutschsprachigen Literaturangaben. Diese Druckfehler
sind mehr als Schönheitsfehler dort, wo sie den Gebrauch
der Bibliographie beeinträchtigen können. S. 48 letzter
Titel: der Titel des Sammelbandes lautet nicht: Calvin
und die Juden, sondern: Christen und Juden; S. 73 rechte
Sp. 1. Titel: der Verfasser heißt Bockwoldt; S. 116: der Verfasser
des 8. Titels heißt Keller-Hüschemenger (auch im
Register zu ändern!); S. 130: der Verfasser des 2. Titels heißt
Schweizer (nicht: Schweitzer) (auch im Register zu ändern!);
der Verlagsort des 2. Titels in Sp. 2 derselben Seite muß heißen
: Schwetzingen; S. 131: der Verfasser des 2. Titels in
Sp. 2 heißt Bäumer (auch im Register zu ändern!). Irreführend
und verwirrend sind die bibliographischen Angaben
S. 225 unter dem Autor Frost. Dem Rez. ist nicht klar geworden
, woher die häufig notierte Unsicherheit bezüglich des
Erscheinungsjahrs einer Publikation stammt. Es läßt sich
sehr oft, wenn nicht aus dem Titelblatt, so doch aus dem
Impressum ablesen.

Das Unternehmen dieser Bibliographie ist sehr zu begrüßen
. Die Grenzen sind durch die aufgezeigten Mängel gezogen
.

Leipzig Ernst Koch

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Kupisch, Karl: Kirchengeschichte. IV: Das Zeitalter der Aufklärung
. V: Das Zeitalter der Revolutionen und Weltkriege
. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer [1975].
160 S. u. 152 S. 8° = Kohlhammer Urban-Taschenbücher,
Bd. 171/72. Kart, je DM 8,-.

Nunmehr liegen auch die letzten beiden Bände der Kirchengeschichte
des Westberliner Historikers K. Kupisch vor.
Bd. IV stellt zunächst den Verlauf der Reformation im nichtdeutschen
Sprachbereich vor, der offenbar aus Platzgründen
in Bd. III ausgespart geblieben war, behandelt darauf die
Zeit des 30jährigen Krieges und die Entwicklung „vom Zeitalter
des Glaubens zur Herrschaft der Vernunft" und
schließt mit der Epoche der Großen Französischen Revolution.
So kann Bd. V mit dem Beginn des 19. Jhs. einsetzen, womit
die entscheidende politische und kirchliche Zäsur nach der
niedergeschlagenen Revolution und dem mit ihr sich seinem
Ende zuneigenden Zeitalter der Aufklärung schon äußerlich
gut hervorgehoben wird. Nacheinander werden hier das
Zeitalter der Restauration, die in sich freilich recht vielgestaltige
Zeitspanne von Hegel bis zu Bismarck, der folgenreiche
Abschnitt deutscher Geschichte „von Versailles zu
Versailles 1871-1919" und die Zeit bis zum Ende des 2. Weltkrieges
abgehandelt. So ergeben sich die Jahre 1830, 1870
und 1919 als Grenzscheiden der Unterteilungen dieser ereignisreichen
Epoche neuer deutscher (Kirchen-)Geschichte.
Ku. gibt vor, mit dem Ende des Hitlerfaschismus seine Darstellung
abzuschließen, da es noch nicht möglich sei, über
die neueste deutsche Kirchengeschichte seit 1945 Verbindliches
zu sagen. Nach dieser Absicherung beleuchtet er dann
aber doch auf 22 Seiten noch die kirchliche Zeitgeschichte
der jüngsten Vergangenheit in einem „zeitkritischen Essay"
und fällt dabei recht polemische, in ihrer Respektlosigkeit
wohltuende und durchweg sachlich richtige Urteile.

Auch in diesen beiden Büchern versteht es Ku., den Leser
zu fesseln. Dabei wird eine angesichts des geringen Umfangs
der Taschenbücher erstaunliche Fülle von Material vor dem
Leser ausgebreitet. Prinzipiell begrüße ich, daß der Leser
nicht mit allgemeinen Behauptungen abgespeist, sondern
wirklich informiert wird. An einigen Stellen aber wird er
durch einen zu großen Reichtum an Personen- und Ortsnamen
verwirrt; diese sollten nur dann erscheinen, wenn
sie für das Verständnis des behandelten Phänomens erforderlich
sind. Gelegentlich wünschte man, der Autor würde
noch etwas tiefgründiger Wesen und Problematik des Gegenstandes
erörtern, statt daß man fast in einem Meer von
Fakten ertrinkt. Fehlender Bereitschaft zu eigener Wertung
kann man Ku. indes keinesfalls beschuldigen; er sagt eindeutig
Ja oder Nein, ohne in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen
, und weiß seine Urteile stets zu begründen. Politische,
Ideen- und Kirchengeschichte sind auch in diesen beiden
Bänden gut miteinander verbunden; das macht die Darstellung
nüchtern und realistisch. Die gesellschaftlichen Implikationen
kirchlicher Ereignisse und Entwicklungen treten
meist plastisch hervor. Daß die spezifisch soziologischen Aussagen
auch hier zuweilen an einer gewissen Unschärfe leiden
, verwundert nicht, denn daran kranken fast sämtliche
Publikationen der nichtsozialistischen Welt. Der Revolutionsbegriff
ist zu allgemein und verwaschen gebraucht, so
daß letztlich jede gravierende Veränderung materieller oder
geistiger Bedingungen als revolutionär gekennzeichnet wird.
Aus der Unsicherheit westlicher Autoren in ihrer gesellschaftswissenschaftlichen
Diktion erklärt sich wohl auch ein
logisch so unsinniger Satz wie dieser: „Kapitalismus und
Sozialismus wurden Kampfstile der modernen Gesellschaft"
(V62). Das aber kann nicht verdecken, daß gerade Bd. V in
seiner kritischen Grundtendenz durchweg überzeugt und
dem Leser eine gute Wegweisung für sein eigenes Verständnis
der neueren KG vermittelt; man wünscht, daß alle Kirchenhistoriker
die Bereitschaft Ku.s besäßen, sich gründlich