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Ausgabe:

1977

Spalte:

447-450

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Calvinus Theologus 1977

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

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liches Leben ansehen. Es sind zum anderen Menschen, die
ein „gelehrtes Interesse an diesem wichtigen Dokument der
spätantiken monastischen Frömmigkeits- und Geistesgeschichte
haben" (S. 5). Damit dürften in erster Linie Studenten
gemeint sein, und ihnen ist dieses Werk für ihre Handbibliothek
in der Tat zu empfehlen, zumal die textkritische
Ausgabe Rudolf Hansliks seit langem vergriffen ist (eine
zweite, revidierte Auflage ist zur Zeit in Vorbereitung). Ein
besonderer Vorzug der Edition Steidles ist ihre Einleitung.
Steidle berichtet darin zunächst über das Leben Benedikts,
geht dann auf die Regula selbst ein, führt ihre Hauptquellen
auf, unter denen vor allem die Hl. Schrift sowie Augustin
und verschiedene andere altmonastische Regeln und Schriften
wie z. B. Johannes Cassians Conlationes und Institutio-
nes zu finden sind, vor allem aber die RM. Die Auseinandersetzung
über den Wert der RM für die RB wird kurz geschildert
. Die RM erfährt selbst eine nähere Beschreibung,
vor allem ihre handschriftliche Überlieferung wird skizziert,
ihre textliche Ubereinstimmung mit Passagen in der RB
wird aufgezeigt. Im Anschluß daran stellt Steidle die jeweilige
Eigenart der beiden Regeln heraus und gibt schließlich
einen Aufriß der RB nach inhaltlichen Gesichtspunkten. In
einer knappen Zusammenfassung der Textgeschichte der
RB werden die Hauptprobleme der neueren Forschung vorgeführt
und erneut die Frage nach dem Wert des Codex
Sangallensis 914 bzw. des Codex Hatton 48 gestellt. Und
schließlich bietet Steidle eine in ihrer Knappheit meisterhafte
Einführung in die Sprache der RB, die durchaus nicht
mehr dem klassischen Latein entspricht, sondern schon
monastische Eigensprache des 6. Jhs. ist, durchsetzt mit
mancherlei Barbarismen, die aber gleichwohl Beachtung
verdient, insofern sie am Anfang jenes Mittellatein steht, das
erst in unserem Jahrhundert durch eingehende Erforschung
seine Eigenart und Selbständigkeit gezeigt hat. Kurze Quellen
- und Literaturhinweise runden die knappe Einführung
ab. Gewiß wird man auch an dieser Regelausgabe Kritik anbringen
können, aber man behalte dabei doch im Auge, für
wen sie gedacht ist. Daß sie in erster Linie nicht für den gelehrten
Forscher, sondern für den aus dem Geist dieser Regel
Lebenden und dem ihm nahetretenden Studenten herausgegeben
wurde, das sollte nicht übersehen werden, falls
sich wieder ein Kritiker an die Arbeit machen sollte und
dem gelehrten Nestor der deutschen RB-Forschung, Basilius
Steidle, hier und da Fehler nachweisen möchte, wie es beim
Erscheinen der 1. Auflage wenig überzeugend Kassius Hallinger
unternommen hatte (vgl. K. Hallinger, Zur Edition der
Benediktusregel, ThRev 61 [1965] 1-8). Jedenfalls gebührt
Steidle das Verdienst, als erster im deutschen Sprachraum
eine RB-Ausgabe mit Übersetzung herausgebracht zu haben,
die auf den Ergebnissen der kritischen RB-Forschung der
letzten Jahrzehnte beruht und die RM als Quelle zur Textkonstituierung
mit heranzieht.
Treisbach Bernd Jaspert

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Neuser, W. H. [Hrsg.]: Calvinus Theologus. Die Referate des
Europäischen Kongresses für Calvinforschung von 16. bis
19. September 1974 in Amsterdam. Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins [1976]. X,
157 S. 8°. DM 25,-.

Dieses Buch ist nicht nur ein Buch. Es signalisiert den Beginn
einer neuen Organisationsform für die Calvinforschung
. Vieles Zerstreute muß gesammelt, latent Vorhandenes
ans Licht befördert, wesentliche Themen müssen gemeinsam
gefunden, Forschungsvorhaben im Gespräch geplant
werden. Das Erbe Calvins ist groß und immer noch
nicht ganz erschlossen (S. 74). Eine allen wissenschaftlichen
Kriterien gerecht werdende Biographie fehlt genauso wie

eine Gesamtdarstellung der Theologie, die alle in Monographien
dargetanen Entdeckungen seit 1938 (Erscheinungsjahr
der Erstauflage der verdienstlichen „Theologie Calvins" von
W. Niesei) berücksichtigt.

Der „Europäische Kongreß für Calvinforschung" vom 16.
bis 19. 9. 1974 (s. dazu ThLZ 100, 1975 Sp. 318-320) wollte
den genannten Sachstand ansprechen und erste Schritte hin
auf neue Konzentration tun. Die Lutherforschung hat ihren
längst eingeführten und bewährten Internationalen Kongreß
. Der Berichtsband über die letzte Zusammenkunft in
St. Louis liegt vor (Rez. in ThLZ 101, 1976 Sp. 443-447). Eine
ähnliche Publikation bezieht sich nun auf den Calvinkongreß
in Amsterdam. Der Titel kennzeichnet die beabsichtigte
Akzentsetzung. Abgesehen von einem Abriß über den
„Stand der Calvinforschung", der allerdings auch die Arbeiten
zur Theologie Calvins in den letzten Jahrzehnten
vorrangig anspricht, ist ausschließlich „Calvinus Theologi-
cus" in den Mittelpunkt gerückt worden, gerade auch im
Zusammenhang einer Würdigung calvinischer Voten zur
Bewältigung der geistigen Situation „gegen Ende des
20. Jahrhunderts" (G. W. Locher).

Der Berichtsband enthält die sieben Referate. Sie sind
allerdings um einen z. T. umfänglichen Anmerkungsapparat,
der im mündlichen Vortrag fast ganz fehlte und die Quellen-
und Literaturbelege enthält, erweitert und auch sonst im
Text an manchen Stellen modifiziert. Eine englische Zusammenfassung
erfolgt jeweils am Ende der deutsch- oder französischsprachigen
Beiträge. Wilhelm H. Neuser, Herausgeber
des Bandes und in vieler Hinsicht auch Initiator und
Organisator der Tagung, setzt dem Ganzen ein kurzes —
vielleicht zu kurzes — Vorwort voran. Es wäre u. U. angezeigt
gewesen, den ,Sitz im Leben' für die Neugründung und
Weiterführung eines institutionalisierten Internationalen
Kongresses aus dem Status quo der Bemühungen um den
Genfer Reformator noch etwas ausgedehnter zu charakterisieren
. Mindestens als Ermessensfrage wäre zudem einzubringen
, ob man bei künftigen Berichtsbänden über die Referatmitteilungen
hinausgehen und die wesentlichen Teile
von Berichten und Diskussionsbeiträgen einbeziehen sollte.
Diese wären u. U. für nichtteilnehmende Kollegen aufschlußreich
und könnten sich aus der Arbeitsweise weiterer
Tagungen unkompliziert ergeben.

G. W. Locher eröffnete mit einem Festvortrag zum Thema:
„Reformation als Beharrung und Fortschritt". Er spannte
den Bogen weit von Calvins Reformationsverständnis bis zu
heutiger Frage nach perseverantia, constantia und progres-
sus. Reformation ist nicht Beharrung auf „Standpunkten",
„vielmehr das bewegte, ja abenteuerliche Einhalten eines
Weges" (S. 3). Der Blick auf „Quelle und Ziel" (S. 5) ist für
den Weg der Kirche entscheidend. Das Wissen um den „theo-
zentrischen Dynamismus" (J. Bohatec), um das göttliche
Werk der Reformation, bringt den Menschen in die heilsame
„Unruhe um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft
" . In diesem Zeichen war die „Calvinian Reformation"
jahrhundertelang kultur- und zivilisationsprägend. Die
„wirkliche Krise des Calvinismus" besteht in der Krise um
die Ausrichtung der Botschaft selbst (S. 7). Dem Zeugnis
heute fehlt weithin der durch Pluralismus in Kirche und
Gesellschaft gesprengte Bezugsrahmen, der im „Geist von
oben" (S. 12), im „pneumatologische(n) Konnex", in der
Theologie Calvins gegeben war und ist. Von hier aus sind
Fragen zwischen „Tradition und Moderne" (S. 13) aufzunehmen
. Weder im Pluralismus noch im irgendwie sonst
verstandenen „Zeitgeist oder bei der Mehrheit" (S. 14)
möchte Calvin nach Lochers Verständnis die Christenheit
angesiedelt wissen, sondern „im Gewirr der Offerten und
Programme" bei dem Wissen und Glauben der fortgesetzten
Gabe und Aufgabe der Reformation, um „per mediam de-
sperationem" (S. 15) hindurchzubrechen, und zwar einzig
und allein mit der wortgehorsamen Evangeliumspredigt.
Formal und inhaltlich schließt W. H. Neuser (Theologie des
Wortes - Schrift, Verheißung und Evangelium bei Calvin)
an Lochers Ausführungen an. Man fühlt sich spontan an E.