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Ausgabe:

1977

Spalte:

439-441

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The minor agreements of Matthew and Luke against Mark 1977

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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439

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 6

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(Eine Schwierigkeit sei jedoch am Rande bemerkt: das Erfüllungszitat
Sach 11, 13 ist stärker vom masoretischen Text
als von LXX beeinflußt. Wie kommt der griechisch schreibende
Mt zu diesem Zitat? S. geht darauf nicht ein; vgl. auch
91 ff. zu Mt 26,31). — Die Ergebnisse zur Theologie des Redaktors
sind weniger einheitlich und bringen nichts wesentlich
Neues (christologische Konzentration auf Vorherwissen
und Gehorsam Jesu — dem untergeordnet: exemplarische
Einheit der Jünger mit Jesus; ermöglichte Universalisie-
rung des Heils seit der Passion, da Israel den Messias verwarf
und sich schuldig machte).

Einige Schwierigkeiten der redaktionsgeschichtlichen
Grundthese hat auch S. nicht ausräumen können: Das Problem
der Zitate wurde schon erwähnt (mit S. wird man dabei
die Annahme einer vormatthäischen Zitatensammlung
für unbegründet halten dürfen). Die Mt'Lk-agreements in
26, 68 u. 75 möchte S. auf textkritischem Wege erklären: im
ersten Falle sei in frühester Textgeschichte bei Mt mit Lk
harmonisiert worden, im zweiten bei Lk mit Mt. Für beide
Fälle gibt es aber keine Textzeugen. — Zwei Besonderheiten
bleiben unerklärt: Woher kennt Mt den Namen des Hohenpriesters
„Kaiaphas" (vgl. Joh 11,49; 18,13)? Die Bezeichnung
hagioi für gerechte vorchristliche Juden (27, 52) ist einmalig
in Mk/Mt. S. erklärt diesen singulären Sprachgebrauch
nicht (315). Diese Schwierigkeiten nötigen freilich noch nicht
zur Annahme von Sondertraditionen. — An einer Stelle wird
S. der Mk-Vorlage nicht gerecht: Mt 27, 47—49 verdeutliche
die bei Mk unklare Passage vom Elia-Mißverständnis. Der
den Essigwein reichende Soldat wird bei Mt von den Umstehenden
abgehalten: „do not give him wine — let us see
if Elijah will help him instead" (301; vgl. dort Anm. 1). In
der Tat versteht Mt so, aber das ist das gleiche Mißverständnis
der sehr prägnanten markinischen Aussage, das bei S.
vorliegt. Bei Mk reicht der Soldat den Essig als lebenverlängerndes
Reizmittel, um den Tod für einen Eingriff des
endzeitlichen Elia hinauszuzögern. — Auffällig sind zahlreiche
Versehen und Druckfehler: Kapitel- und Verszahlen
stimmen oft nicht (z. B. 226; 227 Anm. 3; 281; 329); in einem
Zitat von 3Vz Zeilen finden sich 7 Fehler (179 Anm. 3; vgl.
214 Anm. 2; 304 Anm. 3 von 303); bei Nepper-Christensen,
141 ff., findet sich keine besagte „large number of authors..."
(147 Anm. 2); 154 fehlt Anm. 6 im Text.

Wichtiger sind Schwächen, die die ganze Anlage der Arbeit
betreffen: Man vermißt eine Behandlung der Gesamtstruktur
der matthäischen Passionsgeschichte. Nur andeutungsweise
und verstreut findet sich etwas zum Aufbau (50;
120 mit Anm. 1; 218). Unbefriedigend ist, daß die Untersuchung
mit Mt 27, 56 abbricht, obwohl dort kein formaler
Einschnitt zu erkennen ist. Kap. 28 dürfte kaum von Kap.
26—27 zu trennen sein, und schon 27, 55 f., ja sogar Vers 52 f.,
leiten zu Kap. 28 über. — Die Hauptschwäche liegt im kommentarartigen
Aufbau des Buches: ungewöhnliche Detailliertheit
verwischt den Blick für das Wesentliche. Häufige
Wiederholungen (durch den ursprünglich separaten Anhang
noch vermehrt) und breite Darstellung auch nebensächlicher
Details bewirken einen viel zu großen Umfang. Freilich sind
diese Mängel mit dem Hauptvorzug verbunden: einer schwer
zu überbietenden Detail-Analyse der matthäischen Redaktion
in Mt 26,1 — 27, 56 mit wertvollen Einzelbeobachtungen.
Die Hypothese vom Fehlen jeglicher Sonderquellen und
-traditionen in der matthäischen Passionsgeschichte ist damit
ein gutes Stück weiter bewiesen.
Münster Gerhard Sellin

Neirynck, Frans: The Minor Agreements of Matthew and
Luke against Mark with a Cumulative List, ed. in Colla-
boration with Th. Hansen and F. van Segbroeck. Leuven:
University Press [1974]. 330 S. gr. 8° = Bibliotheca Ephe-
meridum Theologicarum Lovaniensium, XXXVII.
bfr. 800,-.

.,So lange noch vermutet werden kann, daß ein Rest von
Ubereinstimmungen zwischen Mt und Lk gegen Mk in den

von Ihnen übernommenen Mk-Stoff besteht, der nicht erklärt
werden kann ohne die Annahme einer literarischen Abhängigkeit
zwischen Mt und Lk selbst oder mit einer anderen
Grundlage als dem uns vorliegenden Mk, so lange ist die
Erforschung der synoptischen Frage behindert und eine endgültige
Lösung aufgeschoben." So beurteilte man die Frage
vor einem halben Jahrhundert (C. H. Turner, JTS 25, 1924,
377). Das nützliche Arbeitsinstrument, das F. Neirynck und
seine Mitarbeiter uns hiermit in die Hand geben, bietet auf
der Basis einer Leuvener Dissertation von Theo Hansen
(1969) eine umfassende fortlaufende Liste aller Ubereinstimmungen
zwischen Mt und Lk gegen Mk in positiver wie
negativer Hinsicht nach dem Text der Aland-Synopse und
nötigen Verweisen auf textkritische Überlieferungsvarian-
ten (55—195). Die Verfasser verweisen bei jeder Stelle zugleich
auf die Autoren, die sich bisher im Laufe der Forschungsgeschichte
von Wilke (1838) bis Boismard (1972) dazu
geäußert haben, und darauf, welche Erklärung sie gegebenenfalls
vorschlugen. Diese Verweise sind durch eine sorgfältige
Darstellung der komplexen Forschungsgeschichte
(11—48) vorbereitet. Die Absicht, mit dieser vollständigen
Ubersicht eine unparteiische Beschreibung des Phänomens
als umfassendes Arbeitsmittel zu geben (9), ist verdienstvoll
und in seiner Ausführung hervorragend verwirklicht.

Um einen Uberblick über vergleichbare und gleichartige
Abänderungen im Zusammenhang zu gewinnen, bietet der
dritte Teil des Buches ein Register von 35 häufiger wiederkehrenden
stilistischen Abweichungen literarischer Art
(197—288 A Classification of Stylistik Agreements with com-
parative Material from the Triple Tradition) in drei Sachgruppen
: Konjunktionen und Satzstruktur, Gebrauch von
Verbformen, Wortstellung — Wortverwendung und Vermischtes
. Auf diesen Klassifikationskatalog wird bei den
betreffenden Stellen der voranstehenden fortlaufenden Liste
durch entsprechende Verweisziffern gegebenenfalls aufmerksam
gemacht, was seine Brauchbarkeit erheblich erhöht
.

In welcher Richtung der Autor die Lösung des Problems
der „kleinen Übereinstimmungen" sieht, bleibt nicht zweifelhaft
. Die Registertabelle schließt mit den Ubereinstimmungen
der Satz- und Perikopenumstellungen der Großevangelien
gegenüber Mk (287 f.). Zu dieser Frage hatte
sich der Autor schon entschieden in seinem Aufsatz „The
Argument from Order and St. Luke's Transpositions" ETL
49, 1973, 784—815 geäußert. Man ist dankbar, daß djeser Beitrag
hier erneut als Anhang abgedruckt ist (291—327). Er
bietet sowohl ein Beispiel zur methodischen Auswertung
und Auswertbarkeit der vorher ausgebreiteten Materialsammlung
als auch einen Beleg dafür, daß Forscher, die den
Wert sprachstatistischer Phänomene und quantifizierbarer
Methoden für die Exegese hoch veranschlagen, damit noch
nicht der Gefahr erliegen müssen, die Stimmen zu zählen,
statt zu wägen. In methodologischer Hinsicht trifft sich Neirynck
hier mit Morgenthaler: „According to Morgenthaler
the valid argument from order is not Statistical but should
be based upon the redactional explanation of the divergeh-
ces between the gospels" (306 Anm. 45, vgl. 301). Daß die
schriftstellerische Art der redigierenden Evangelisten bei
der Lösung der Frage der meisten minor agreements positiv
veranschlagt werden muß, hatte Neirynck 1972 auch schon
am Beispiel der Verklärungsgeschichte gezeigt (Festschrift
J. Schmid, 253-266; vgl. ThLZ 99, 1974 Sp. 331). Im Interesse
der lohnenden methodischen Fragestellung „in the same
line of redactional interpretation" of „the minor agreements
" (48) hätte man sich gefreut, wenn auch dieser Beitrag
diesem Bande beigegeben worden wäre. Der Autor wie
der Leser wird aus einem solchen Wunsche nicht zuerst die
Unbescheidenheit des Rezensenten, sondern seine dankbare
Zustimmung herauslesen können. Die Zeit dürfte nicht weit
sein, wo man nicht mehr nur von einer ..redactional interpretation
", sondern einer „redactional Solution" des Problems
der „minor agreements" wird reden können. Dann
hätte sich im wesentlichen das bestätigt, wofür P. Wernle