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Ausgabe:

1977

Spalte:

390-391

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Die Kirche im Gespräch der Kirchen 1977

Rezensent:

Brück, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

390

sui generis" beschrieben (S. 81). War die erste Moderne die
Sternstunde für die liturgisch gebundene Kirchenmusik, so ist
die 2. Moderne für Söhngen die große Stunde für eine nicht
an die engen Schranken liturgischer Tradition gebundene
»geistliche Musik".

Söhngen gibt seiner Studie den Untertitel .eine Streitschrift".
Dieser Untertitel gilt dem Anfang der Studie, in der Söhngen
gegen Adorno und H. H. Eggebrecht an der geschichtlichen
Sendung und der künstlerischen Eigenständigkeit der deutschen
Musik- und Kirchenmusikbewegung der Jahre 1920 bis 1950
festhält. In ihrem Fortgang hört die Studie freilich auf, eine
Streitschrift zu sein, weil Söhngen im Unterschied zu Adorno
nicht in parteilicher Einseitigkeit argumentiert, sondern mit
der Differenzierung in Kirchenmusik, geistliche Musik und
weltliche Musik das Ganze einer die Grenzen der Immanenz
überschreitenden Musik in der Kirche, am Rande der Kirche
und außerhalb der Kirche zu fassen sucht1. Dieser zunehmend
enzyklopädische Charakter der Studie wird illustriert durch
eine Fülle plastischer essayistischer Vergleiche und Zitate aus
der Theologie-, Philosophie-, Kunst- und Musikgeschichte. Wiewohl
sich der Leser gern Söhngens ganzheitlicher Schau einer
Musikästhetik des 20. Jahrhunderts anschließen möchte, wird
er doch zwei kritische Anfragen nicht unterdrücken können i

1. Wird sich Söhngens begriffliche Unterscheidung von erster
und zweiter Moderne durchsetzen? Oder wird der Trend zu
einer .Restituierung von Tonalität", wie ihn Söhngen in der
jüngsten Phase postserieller Musik beobachtet, wie er aber
auch von der jüngeren Komponistengeneration der DDR zu
vermelden ist, in die Fußtapfen von Bartök und Strawinski
zurücklenken? Ob nicht Schönberg und Strawinski - entgegen
der Systematik in Adornos Philosophie der neuen Musik- - als
zwei Pole des einen Zeitalters der Musikgeschichte anzusehen
sind, die gleicherweise unser musikalisches Denken und Fühlen
in Kirche und Welt bestimmen, bleibt abzuwarten.

Söhngens Unterscheidung von Kirchenmusik im engeren
Sinne und geistlicher Musik ist zuzustimmen. Müßte nicht aber
in der Anwendung der beiden Kategorien auf das große
Repertoire religiöser Kompositionen der Vergangenheit und
Gegenwart großzügiger verfahren werden, als es Söhngen tut?
Ist nicht der Bereich der für den liturgischen Haushaltsbedarf
der Kirche geeigneten Kompositionen aus der Vergangenheit
und aus der jüngsten Gegenwart weit größer, als wir das mit
unseren liturgischen Wertmaßstäben von 1950 wahrhaben
wollten? Es gibt in der Geschichte der Musik vielmehr Gezeiten
, die für die Entstehung gültiger kirchenmusikalischer
Werke glücklich waren. Wir entdecken soeben aus der Feder
des durch Jahrzehnte vergessenen Felix Mendelssohn-Bartholdy
Psalmenkompositionen und biblische Spruchmotetten, die im
Sonntagsgottesdienst musiziert, den liturgischen Strukturen
der Tradition unerwartete neue Kraft und Wärme verleihen3.
Wir erinnern, um nur ein Beispiel zu nennen, an Johannes
Brahms' Motetten „Warum ist das Licht den Mühseligen gegeben
" und „O Heiland reiß die Himmel auf", die beide in
ihrer Anlage einen Beitrag zur Theologie des Gottesdienstes
darstellen und in der abendländischen liturgischen Tradition
wurzeln. Ist es nicht auch ein Stück Untertreibung, wenn
Söhngen Krzysztof Pcndereckis große Lukas-Passion unter der
Kategorie der geistlichen Musik aufführt? Von diesem avantgardistischen
Werk muß doch gesagt werden, daß es über das
persönliche Bekenntnis seines Komponisten hinaus mit und in
der römischen Liturgie polnischer Observanz lebt und verstanden
werden will. Söhngen spricht im Blick auf die neueste
Phase der Geistcsgcschichte von der „Krise des Gottesdienstes",
er spricht nicht von der Gewinnung neuer Dimensionen des
Gottesdienstes in der Gegenwart. Ob nicht bei einem über die
Grenzen von Agende I hinaus geweiteten Gottesdienstverständnis
auch die Stilgrenzcn einer für den Haushaltsbedarf der
Kirche bestimmten Musik geweitet werden müßten?

Magdeburg Eberhard Schmidt

1 Noch weit differenzierter iit die Gliederung der postseriellen Musik, die
Sohngen In seinem Aufsatz -Die moderne Musikentwicklung und die Kirchenmusik
" vornimmt, in .Musik und Kirche', Kassel 1971 S. 281-290.

! Theodor Adorno gibt seiner .Philosophie der neuen Musik", Tübingen 1949,

die anfechtbare Gliederung: 1. Schönberg und der Fortschritt, 2. Strawinski und
che Restauration. Dazu siehe Söhngens kritische Stellungnahme S. 28.

> Söhngen weist selbst auf S. 29 darauf hin, dafj die .Psalmen und Motetten
Felix Mcndelssohn-Bartholdys heute in zahlreichen Gottesdiensten fröhliche
Urständ zu feiern beginnen".

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

Die Kirche im Gespräch der Kirchen, ökumenische Themen,
ausgewählt und eingeleitet vom ökumenischen Institut
Berlin. Einführung, verbindende Texte und Dokumentation
wurden bearb. v. J. Althausen, K.-D. Behm, R. Bodenstein,
W. Schültke u. E. Schülzgen. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
(1975). 268 S. 8°. Lw. M 10,50.

Die ersten beiden Sätze der Einführung geben den Hintergrund
an, zu dem dies Buch seine Beziehung hat: „Die ökumenische
Bewegung hat in den letzten zwanzig Jahren auch
in den Kirchen in der DDR an Bedeutung gewonnen. Die Vollversammlungen
des ökumenischen Rates der Kirchen, des
Lutherischen Weltbundes und anderer kirchlicher Weltorganisationen
sind in immer breiterem Maße ausgewertet worden"
(S. 5/6). Die eigentliche Aufgabe wird in der Anregung nötiger
Studienarbeit gesehen, die schon einer der großen Pioniere
der ökumenischen Bewegung, J. H. Oldam (1874-1969) als
„Grundlage aller Tätigkeiten und Funktionen des Ökumenischen
Rates der Kirchen" bezeichnet hatte. Eine Intensivierung
der Beziehung zwischen den Mitglicdskirchen in der DDR
und dem Ökumenischen Rat liegt im beiderseitigen Interesse
und wird gerade auch vom ökumenischen Rat selbst wachsend
erbeten. Unter diesem Gesichtspunkt erfolgte die Auswahl
solcher Themen, von denen die Herausgebergemeinschaft im
ökumenischen Institut Berlin meint, „daß sie von besonderem
Belang für die Beteiligung der Kirchen in der DDR am ökumenischen
Gespräch sind" (S. 7).

Es handelt sich dabei vornehmlich um eine den gesteckten
Zeitraum widerspiegelnde Dokumentensammlung. Verbindende
Texte stellen die Beziehungen zum Fortgang des Sachgesprächs
her, weisen auf wichtige Fragestellungen hin und knüpfen den
Zusammenhang mit der Wirklichkeit der Kirchen und Gemeinden
in der DDR.

Der Zeitraum, innerhalb dessen die Dokumentationen ausgewählt
wurden, umspannt 20 Jahre, und zwar je nachdem
es der einzelne Themenbereich nötig macht. Er reicht von der
Dritten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung,
Lund 1952, bis zu ökumenischen Erträgen des Jahres 1971. Die
Dokumentensammlung wurde 1972 im Stadium der Vorbereitung
auf die V. Vollversammlung des ÖKR 1975 abgeschlossen.

Fünf Themenbereiche ökumenischer Arbeit, Klärung und
Entscheidung werden vorgestellt: Friede und Versöhnung;
Engagement für eine bessere Welt; Gottesdienst für die ganze
bewohnte Erde; Ökumenismus und Konziliarität; die Rolle
der Bibel in der ökumenischen Bewegung. Die Reihenfolge der
Themen wird durch Feststellungen wie: „Die Verantwortung
der Kirchen für Frieden und Versöhnung unter den Völkern
gehört zu den Wurzeln der ökumenischen Bewegung" (S. 9)
oder: „Von Anfang an hat die ökumenische Bewegung sozial-
ethische Themen in den Mittelpunkt ihrer Erörterungen und
Aktionen gestellt" (S. 73) erhärtet. Hinsichtlich der fundamentalen
Bedeutung der Bibel in der ökumenischen Bewegung
wird an ein Wort des ersten Generalsekretärs und jetzigen
Ehrenpräsidenten des ökumenischen Rates der Kirchen, Dr.
Visser't Hooft, erinnert: „Die allgemeine Annahme der Autorität
der Schrift, die nun auch in der Basis des ÖRK anerkannt
wird, ist der mächtigste Faktor, der es den Kirchen ermöglicht,
zusammenzubleiben und ihre Einheit zu vertiefen" (S. 208).
Die Wichtigkeit der Beschäftigung mit dem Gottesdienst innerhalb
der ökumenischen Bewegung wird durch eine zweipolige
Feststellung unterbaut: „Der Gottesdienst baut die Einheit der
Kirche" und: „Im Gottesdienst kommen die Schwächen und