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Ausgabe:

1977

Spalte:

382-384

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Westermann, Claus

Titel/Untertitel:

Predigten 1977

Rezensent:

Lerle, Ernst

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381

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

382

such einer philosophischen Lösung zur Theorie der evangelischen
Sozialethik auf Grund einer systematischen Analyse
seiner Werttheorie aufgezeigt. Das ermöglicht die Betrachtung
der Stellung Wünschs innerhalb der deutschen religiös-sozialistischen
Bewegung. Besonders wird dabei auf das Verhältnis
von Marxismus und Christentum geachtet. Wünschs Versuche
einer evangelischen Wirtschaftsethik (die „Realisation des wirtschaftlichen
Wertes in der Geschichte" S. 113) sowie einer
evangelischen Ethik des Politischen (die „Realisation des
politischen Wertes in der Geschichte" S. 126) werden erörtert,
wobei stark auf die zeitgeschichtliche Problematik der zwanziger
und dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts eingegangen
wird. Schließlich wird das Problem des transzendenten und
immanenten Wirklichkeitsbegriffes untersucht. Gelegentlich
oder auch permanent, sowohl im Text als auch in den sehr
zahl- und umfangreichen Anmerkungen, setzt Hakamies sich
mit den Auffassungen der Situationsethik, der theologischen
Ansätze der römisch-katholischen Theorie der Sozialethik, die
wesentlich von Thomas bestimmt ist, mit Wilhelm Herrmann,
Karl Barth und dem Problem der „Eigengesetzlichkeit" auseinander
.

Es ist selbstverständlich, das Hakamies' würdigendes, doch
von Luthers Theologie her kritisierendes Buch gegenwärtiger
sozialethischcr Forschung Maßstäbe setzt, und zwar, wie wir
den Eindruck haben, auf Grund seiner abgewogenen Urteile
in hervorragender Weise.

Leipzig Ingetraut Ludolphy

Korff, Wilhelm: Theologische Ethik. Eine Einführung. Unter
Mitarbeit von W. Fürst u. J. Torgglcr. Freiburg-Basel-Wicn:
Herder [1975]. 127 S. 8° — Theologisches Seminar. Kart.
DM 14,80.

Das knappe Buch ist aus den „Erfahrungen einer Grundkurs-
Veranstaltung erwachsen", die der Autor zusammen mit seinen
Mitarbeitern Waller Fürst und Josef Torgglcr „im Sommer
1973 am Fachbereich Katholische Theologie der Universität
Tübingen für Thcologicstudcntcn des 1. bis 4. Semesters durchgeführt
" hat (S. 5). Man darf trotzdem keine leichte Lektüre
erwarten. Eigentlich verwunderlich für den evangelischen
Theologen ist, daß von der Bibel als Grundlage „theologischer
Ethik", zumal in einer Grundkursvcranstaltung, nirgendwo
explizit die Rede ist. Ihre Grundaussagen im Sinne der ,Systc-
matischen Theologie' (Schöpfung, Gottes Tat in Christus, die
Kainstat) werden natürlich vorausgesetzt (S. 76f. als Bekennt
nis zur Offenbarungslat Gottes in Christus, vgl. S. 84 im
Referat über Thomas). Aber Ansätze zur Entfaltung der Probleme
werden ganz der späteren (oder früher mit Aristoteles
einsetzenden) Problcmgcschichtc entnommen oder abstrakten
Deduktionen (wie auch der „Artikulation des Ethischen in der
Sprache") - oder der aktuellen philosophischen Diskussion:
Heidegger und Bubcr, Adorno und Horkheimer, Habermas und
Marcuse.

Das erste Kapitel ist überschrieben: „Ethik als Wissenschaft
vom menschlichen Handeln unter der formalen Differenz von
Gut und Böse". Eine doppelte Tendenz macht sich sofort bemerkbar
. Einerseits: Mehr Vernunft, mehr Offenheit, mehr
Selbstkritik („Krise der kirchlichen Morallchre"), mehr Nachprüfbarkeit
und Einsichtigkeit der Normen, mehr Freiheit,
mehr ,dcr Mensch' in theologischer Ethik - jedenfalls nicht
weniger, als Thomas von Aquino vorschwebte. Andererseits:
Letzte Begründung ist nicht anthropologisch oder soziologisch
möglich. Gott ist Grund und Ziel aller ethischen Normativität.
Wohl müssen alle Normen um des Menschen willen dasein
und wurzeln Gut und Böse ursprünglich in der Vernunftnatur
des Menschen. Doch ist Menschenwürde allein aus dieser nicht
ableitbar, und die Verbindlichkeit der sozialen Wirklichkeit
als solche ist noch nicht das Ethische.

Das zweite Kapitel behandelt „Ethik als Wissenschaft von
der matcrialcn Strukturlogik des Ethischen im Bcdingungsfcld

menschlichen Handelns". Hier verdient besondere Beachtung
der Exkurs zum „Rapport der Societas Ethica über ,die Ethik
als wissenschaftliche Disziplin an dea Universitäten' vom Jahre
1971", und zwar die hier dargelegten „ethischen Implikationen
in den einzelnen Wissenschaften": in der medizinischen Wissenschaft
, der Rechtswissenschaft, der Wirtschaftswissenschaft,
in den Sozialwissenschaften, in der Literaturwissenschaft und
Naturwissenschaft (S. 44-47). - Wichtig erscheint uns auch der
Hinweis auf die „Lehre von den circumstantiae ..., mit deren
Hilfe man die besonderen Umstände zur Beurteilung der
Moralität einer Handlung systematisch zu erfassen suchte"
(S. 63).

Das dritte Kapitel zeigt „Ethik als Handlungswissenschaft
im Spannungsfeld von Vernunft und Glaube". Ein Resümee
über die in diesem Kapitel skizzierte geschichtliche Entwicklung
gibt Korff in Stichworten: „Die thomasische Option für
eine entwurfsoffene Ethik, das christliche Freiheitspathos
Luthers, die Suche nach materialen Kriterien zur Sicherung
menschlicher Freiheit und Würde und gesellschaftlichen
Friedens in den Naturrechtstheorien der Barockscholastik und
der frühen Aufklärung, der radikale Rekurs auf die kritische
Vernunft des Subjekts bei Descartes und Kant, die Aufdeckung
der Geschichte des Menschen als Freiheitsgeschichte bei Fichte
und Hegel, die ethische Rehabilitierung des kämpferischen
Impulses beim frühen Marx und schließlich die umfassenden
Anstrengungen der gegenwärtigen Vernunft, das Humane in
der Vielfalt seiner empirischen Bedingungen und Strukturen
zu erhellen ..." (S. 125).

Doch bleibt zum Schluß die „Frage nach der letzten theologischen
Wurzel aller menschlichen Kainstat und damit zugleich
nach dem letzten und eigentlichen Hoffnungsgrund ihrer Überwindung
" (S. 125). Korffs Antwort: „Das schlechthin Gründende
menschlicher Freiheit und Würde ist nicht das Werk des
Menschen selbst, sondern wesenhaft und allein Tat Gottes. Erst
wo sich der Mensch dieser ihn in seinem Sein und Seinkönnen
unbedingt verbürgenden Wahrheit im Glauben bewußt wird,
weiß er sich definitiv auf Vollendbarkcit hin offen, gewinnt
der Grund, sich selbst und den anderen unbedingt anzunehmen
und eben darin auch die ihn tragenden Strukturen, Institutionen
und Normen auf eine Vernunft hin zu entwerfen, die je und je
reale Versöhnung bewirkt. Eine solche aber ist nur möglich als
korrckluroffene, lernoffene, zukunftsoffenc Vernunft ... Eine
Vernunft ..., die sich gegenüber offenkundigen neuen Wirk-
lichkcilscrfahrungcn und gegebenen Tatbeständen verweigert
und blind stellt, ist unvernünftig. ... Ein Glaube, der sich
nicht durch korrckluroffene Vernunft vermittelt, ... wird zu
einem doktrinären Surrogat von Glauben, weil er als solcher
nicht Versöhnung bewirken kann, sondern zwangsläufige
Trennung und Spaltung bewirken muß (S. 126 f.).

Berlin Hans-Georg I'rilzschc

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Westermann, Claus: Predigten. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht [1975]. 143 S. gr. 8° = Göttinger Predigthefte,
33. Hrsg. dieses Heftes: R. Landau. Kart. DM 14,80.

Das Buch enthält Predigten, die in der Zeit zwischen 1958
und 1974 in Heidelberger Universitätsgottesdiensten gehalten
wurden. Im Vorwort des Herausgebers wird die Vergegenwärtigung
des biblischen Geschehens zutreffend als das besondere
Merkmal des rezensierten Predigtbandes herausgestellt
. Doch was ist Vergegenwärtigung? Der Sprachgebrauch
umfaßt einen weiten Bereich zwischen essentieller Gegenwärtigsetzung
und einer hochqualifizierten Erzählungsform,
die über vergangene Ereignisse so berichtet, daß beim Hören
eigenes Engagement ausgelöst wird. W. ist bemüht, die Hörer
und Leser seiner Predigten mit dem in der Bibel berichteten
Geschehen zu konfrontieren und bedient sich dabei verschiede-