Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

378-379

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Tillich, Paul

Titel/Untertitel:

Korrelationen 1977

Rezensent:

Langer, Jens

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

377

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

378

3 Teile. Der 1. Teil hat als Überschrift und Thema „Substantia
Christianismi". Auf das (vereinzelte) Vorkommen dieses Ausdrucks
bei M. Bucer (1531) hatte bereits W. Köhler aufmerksam
gemacht. Vf. untersucht verwandte Begriffe und Wendungen
in der mittelalterlichen, der reformatorischen und der
altprotestantischen Theologie. Als eigentliche Entdeckung
macht er geltend, daß „substantia christianismi" in der reformierten
Föderaltheologie „eine geläufige Formel" (19), „geradezu
ein Fachterminus" (69) gewesen sei. Merkwürdigerweise
hat er die Angabe von Belegen nicht für nötig gehalten.
Der 2. Teil („Essentia Christianismi") behandelt „essentia" und
„Wesen" im Sprachgebrauch der deutschen Mystik, des Spiritualismus
und des Pietismus. Als interessantes Detail ist zu
notieren die Wendung „das Principal- und substantialische
Wesen des Christentums", die Vf. in der 1666 (postum) veröffentlichten
Schrift „Excidium Germaniae" des lutherischen
Pastors Joachim Betkius (Betke) nachweist. Wichtig sind ferner
die Ausführungen über das Vorkommen der Formel „Wesen
des Christentums" bei G. Arnold (157 ff.) und bei Zinzendorf
(150 ff.). Schließlich ist der Hinweis auf ein Buch zu erwähnen,
das Vf. um seines Titels willen „die erste Monographie über
das Wesen der christlichen Religion" nennt (142). Es handelt
sich um eine Schrift des Labadisten Pierre Yvon „Essentia
religionis christianae patefacta seu Doctrina Genuina ac plena
Foederum omnium Dei" (1673). Der 3. Teil („Wesen des
Christentums") gibt eine materialreiche Darstellung des Gebrauchs
der Formel in der deutschen protestantischen Aufklärung
. Die Darstellung führt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
.

Die Arbeit ist reich an Beobachtungen und Hinweisen. Diese
betreffen allerdings nur zum kleineren Teil den Ausdruck
„Wesen des Christentums". Was in dieser Hinsicht an wichtigen
Belegen zum voraufklärerischen Gebrauch beigebracht
wird, ist oben aufgeführt worden. Auf weiten Strecken vernachlässigt
Vf. seinen in der Einleitung mitgeteilten Vorsatz,
sich „streng an die Formel .Wesen des Christentums' zu halten"
(10). Er behandelt vor allem Ausdrücke, die als Vor- und
Nebenformen angesprochen werden, ferner Bedeutungswandlungen
der für sich genommenen Begriffe substantia, essentia,
Wesen.

Die Untersuchung ist im übrigen dadurch gekennzeichnet
und - im Wortsinn - „belastet", daß die begriffsgeschicht-
lichcn Erörterungen eingebettet bzw. eingestreut sind in
theologiegeschichtlichc Charakteristiken und Skizzen allgemeiner
Art. Ein üppiges Aufgebot von Zitaten und Literaturangaben
weckt beim Leser immer wieder die Frage, was das
alles für die spezifische Thematik und Absicht der Untersuchung
eigentlich austrägt. Dieser Sachverhalt ist deswegen
zu erwähnen, weil die anspruchsvolle theologiegeschichtliche
Stilisierung zu summarischen Behauptungen und steilen Thesen
führt, die von der begriffsgeschichtlichen Untersuchung in
keiner Weise gedeckt werden. „Daß die Formel .substantia
christianismi' eine Tradition hatte, die ununterbrochen von der
Reformationszeit bis zur Aufklärung geht" (76) - das nachgewiesen
zu haben, nimmt Vf. als Hauptergebnis seines
1. Teiles in Anspruch. Von einem solchen Nachweis kann jedoch
keine Rede sein, und er wäre auch dann noch nicht geführt,
wenn Belege für das Vorkommen der Formel in der Föderaltheologie
beigebracht worden wären. Da5 man „die Formel
.Wesen des Christentums' nicht als Bildung des Protestantismus
werten" könne (254, vgl. 165), dafj sie vielmehr „ihre
Heimat in dem alten neuplatonischen und gnostisch-herme-
tischen Traditionsstrom" habe (165), das muß als eine erstaunliche
Feststellung anmuten angesichts des Sachverhalts, daß
Vf. fast ausschließlich Belege aus Schriften protestantischer
Autoren behandelt. Daß die Frage nach dem Wesen des
Christentums in der Aufklärungstheologic „erst eine verhältnismäßig
späte Folge der Verwendung dieser Formel war" (5)
- das ist eine These, mit der Vf. das faktische Resultat seiner
Untersuchungen geradezu entstellt. Seine Darstellung im 3. Teil
bestätigt vielmehr die Auffassung, dafj erst im Zusammenhang
der aufklärerischen Frage nach dem Wesen des Christentums
diese Formel einen weiten Gebrauch und einen festen

Platz in der theologischen und religionsphilosophischen Begrifflichkeit
errungen hat. Vf. hat darauf verzichtet, die weitere
Geschichte der Formel im 19. und 20. Jahrhundert zu verfolgen
. Eine solche Begrenzung ist einleuchtend, und es lassen
sich für sie Gründe denken, denen ein höheres Ma5 von
Plausibilität eignet, als das der Fall ist bei der Versicherung,
eine solche Fortsetzung „könnte nur noch ein ergänzender
Anhang sein, der für die Bedeutung der Formel nichts entscheidend
Neues mehr erbringt" (5). Derartige Überanstrengungsphänomene
bilden einen auffälligen Kontrast zu der
Behutsamkeit und Differenziertheit vieler Detailanalysen. Sie
machen den eigentlichen Ertrag der Arbeit aus. Sie bewirken
zwar nicht die vom Vf. proklamierte Generalrevision der bisherigen
Sicht und Kenntnis, aber sie tragen manches zu deren
Bereicherung bei.

Kiel Hans-Joachim Birkner

Tillich, Paul: Korrelationen. Die Antworten der Religion auf
Fragen der Zeit, hrsg. u. übers, v. I. C. Henel. Stuttgart:
Evang. Verlagswerk (1975). 158 S. 8° = Ergänzungs- und
Nachlafjbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich,
IV. Lw. DM 23,-.

Nach den dreizehn Bänden der Gesammelten Werke (nebst
einem Bande mit Register und Bibliographie) - anderes und
Bekannteres soll gar nicht erst erwähnt werden! - ist nunmehr
der vierte der Ergänzungs- und Nachlafjbände anzuzeigen
. Dieser Band enthält neun Vorträge bzw. Aufsätze Tillichs
aus den Jahren 1946 bis 1965, beginnend mit „Das Problem
der theologischen Methode" und endend mit den letzten
öffentlichen, wenige Tage vorm Tode des Verfassers gehaltenen
Ausführungen über „Die Bedeutung der Religionsgeschichte
für den systematischen Theologen". Dieser Vortrag
wird im Vorwort der Herausgeberin und Übersetzerin bescheidener
als von Mircea Eliade eingestuft, der von dem Entwurf
einer zukünftigen Theologie gesprochen hatte. Durch
solche Bescheidenheit dürfte dem Gegenstand des Urteils
letztlich wohl mehr Gerechtigkeit widerfahren. Überhaupt
wirkt das Vorwort in seinem kenntnisreichen Realismus
ernüchternd (z. B. S. 18).

„Zur gegenwärtigen theologischen Lage" (1949) ist bei uns
(etwas gekürzt und in anderer Übersetzung) bereits 1951 in
„Die Zeichen der Zeit" erschienen. Tillichs Vortrag über die
Aufgaben der Religion in den unterschiedlichen Gesellschaften
der UdSSR und der USA zeugt - sieht man ihn eingebettet
in das politische Klima seines Entstehungsjahres (1952) - im
Blick auf die östliche Komponente des Themas immerhin von
dem Bemühen, einem Phänomen aus innerer und äußerer
Distanz mit unzureichenden Kriterien gerecht zu werden, was
letztlich nicht gelingen kann. Das wird man auch im Blick auf
die Beurteilung der religiösen Lage in den USA sagen müssen,
gerade wegen der darin ausgesprochenen Kritik an Grundhaltungen
im kapitalistischen System.

Tillichs Äußerungen über die Erforschung des Kosmos (vgl.
auch GW XIII, S. 454) gehören zu dem wenigen, was es theolo-
gischerseits zu diesem Problem gibt (nicht zu vergessen:
Günter Jacob, Himmel ohne Gott?, in: ders. Himmel ohne
Gott?, 1959, S. 33-52). Gerade deshalb ist die Sachgemäßheit
der Aussagen besonders kritisch zu prüfen.

Die anderen Beiträge befassen sich mit absoluten und
relativen Faktoren bei der Begegnung des Menschen mit der
Realität, mit Prophetie in der christlichen Botschaft und
Autorität, mit der Fortschrittsidee sowie mit der Relevanz des
Pfarramts.

Nach derart vielen Bänden erwartet auch der beflissene
Leser keine Überraschungen mehr, und Tillich bleibt sich in
der Tat auch in dem zuletzt erwähnten Vortrag in allem treu.
Das Bemerkenswerte ist, daß sich der vielen Problemen
(scheinbar) enthobene Lehrer Gedanken über die Relevanz des
zukünftigen Berufes seiner Schüler macht. Auch dann, wenn