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Ausgabe:

1977

Spalte:

369-371

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kittelson, James M.

Titel/Untertitel:

Wolfgang Capito: from humanist to reformer 1977

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

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träte ... Daß die Fürsten sich als die eigentlichen Gewinner
erwiesen, war damals nur schwer zu erkennen .. .*). Anfragen
stellen sich zu Einzelformulierungen ein, z. B. bei der Darstellung
von Müntzers Wirken in Beuditz und Zwickau (83 f.), der
Schlacht bei Frankenhausen (102) oder zur Interpretation des
Begriffes „arm" (98).

Die künstlerische Ausstattung mit Wiedergaben von Holzschnitten
des sog. Petrarca-Meisters und des Titelholzschnittes
des Stöckeldruckes von Müntzers Verhörsbekenntnis (es handelt
sich nicht »um den letzten Druck einer Müntzerschrift":
108; Müntzers Abschiedsbrief an die Mühlhäuser war dem
Druck beigegeben) geben der wertvollen Neuerscheinung ein
ansprechendes Äußere.

Krummenhennersdorf Siegfried Bräuer

Kittelson, James M.: Wolfgang Capito from Humanist to
Reformer. Leiden: Brill 1975. IX, 258 S. gr. 8° = Studies in
Medieval and Reformation Thought, ed. by H. A. Oberman,
XVII. Lw. hfl. 76,-.

Bei Brill in Leiden ist in einer glänzend renommierten
Reihe ein weiteres Capito-Buch erschienen, nachdem ein Jahr
zuvor im Verlagshaus Gerd Mohn in einem nicht minder gut
eingeführten Reihentitel ein Werk mit fast gleichlautender
Thematik veröffentlicht worden war (Stierle, Beate: Capito als
Humanist, Gütersloh 1974, s. ThLZ 100, 1975 Sp. 847-849).
Dieses Phänomen wäre verständlich und vielleicht sogar reizvoll
, wenn der zweite Verfasser eine markante Antithese zur
Erstveröffentlichung anböte. Bedauerlicherweise geht jedoch
Kittelson auf Stierles Arbeit gar nicht ein, nennt sie auch im
Literaturverzeichnis nicht, sondern weist in seinen „Acknowl-
edgments" (S. VII) lediglich auf die Entdeckung und Mitteilung
des Römerbriefmanuskriptes Capitos durch Beate
Stierle hin. Diese wiederum beachtet Kittelsons einschlägigen
Beitrag im Archiv für Reformationsgeschichte (1972) nicht, der
zwar erst Capitos Straßburger Zeit angeht, aber in manchen
Punkten auch über sein Wirken davor urteilt.

Diese Eingangsbemerkungen, die nicht werten, sondern einfach
feststellen wollen, sollen allerdings auch ein wenig zum
Ausdruck bringen, daß man beide Arbeiten zu Capito braucht,
wenn man im Horizont des Reformators weiterzuforschen
gedenkt.

Ein Rezensent ist nun versucht, beide Werke zu vergleichen,
aber dem wird man wohl - abgesehen von einigen orientierenden
Abgrenzungsnotizen - fairerweise zu widerstehen
haben.

Genau das, was Beate Stierle ursprünglich wollte, nämlich
nachprüfen, „wie es kam, da5 Wolfgang Fabritius Capito, der
ältere Zeitgenosse Luthers und spätere Reformator Straßburgs,
sich dem jüngeren Luther und der Reformation anschloß"
(Stierle, S. 7), was sie aber angesichts des reichen Materialfundes
in Gestalt des Römerbriefkommentars zurückstellte,
will Kittelson leisten, nämlich „eine Biographie Capitos zu
schreiben" (Stierle, a. a. O.).

Die Erstbearbeiterin nimmt als Quelle ihrer Darstellung
wesentlich und im Zusammenhang seiner Entwicklung besagten
Kommentar und andere Veröffentlichungen des Reformators
bis zum Übergang nach Mainz (1520), während Kittelson
bis weit in die Zeit der Straßburger Reformatorentätigkeit
hinein Capitos Weg verfolgt. Er arbeitet mehr biographischflächig
, zitiert in kurzen Quelleneinsprengseln in englischer
Übersetzung, geht aber nicht in extenso den theologiegeschicht-
Jichen Abhängigkeiten Capitos nach. Vielmehr werden die
■interessanten, z. T. ephemeriden Briefaustausche in Zitat und
Deutung beachtet, aber man würde sich dieses Vorgehen
ergänzt wünschen durch Tiefenlotungen hermeneutischer Art
an den entscheidenden Stellen, zumal Kittelson eine Generalthese
zu bewähren sich vornimmt: „It is true that Luther and
his doctrines played the leading role in the conversion of
Capito and many others from humanists to reformers" (S. 245).

Eine etwas ausgedehntere hermeneutische Bemühung begegnet
nur im Zusammenhang mit der relativ langen Erasmus-Phase
des Humanisten, die ihren Niederschlag in Teilen des Römerbriefkommentars
gefunden hat (S. 43-49). Hier wie auch
andernorts (s. dazu z. B. Archiv für Reformationsgeschichte,
1972, S. 139) wird der sachliche Gegensatz zu Bernd Moeliers
einschlägigen Arbeiten deutlich (S. 49, Anm. 90).

Kittelson folgt unter Beiziehung vieler zeitgenössischer
Quellen, die besonders profilierte Persönlichkeiten im Umkreis
Capitos sehr schön vorstellen, chronologisch dem Lebensgang.
Dieser Vorteil schließt gleichzeitig einen Nachteil ein, der
darin besteht, daß eine straffe systematische Konfrontation
Capito-Erasmus, Capito-Bucer, Capito-Zwingli, Capito-Luther
kaum recht zusammenhängend erfolgt. Immerhin macht der
Vf. durch die Fülle des beigebrachten Materials in überzeugender
Weise klar, wie reich dieses Humanisten- und Reformatorenleben
war, einfach schon durch seine bedeutenden
Stationen in Ingolstadt, Freiburg, Bruchsal, Basel, Mainz und
schließlich Straßburg sowie durch Begegnungen und Auseinandersetzungen
mit den führenden Gestalten des Humanismus
und der Wittenberger, deutsch-schweizer und oberdeutschen
Reformation. Die Entscheidungen zwischen und in
diesen Welten machten das Wirken Capitos aus.

Der allmähliche Anschluß an den Humanismus bereits vor
seiner Tätigkeit als Münsterprediger und Universitätslehrer in
Basel prädisponierte Capito zu einem Gelehrten von europäischem
Rang (S. 22). Zunächst verstand er seine Luther-Zustimmung
auf dem Hintergrund erasmianischer Kirchen- und
Scholastikkritik und kritisierte seinerseits den Wittenberger
Reformator als zu unbedacht-heftig (S. 50 f.). Diese Haltung
herrschte auch vor, als er im Frühjahr 1520 Ratgeber des
mächtigen Kardinals und Erzbischofs Albrecht in Mainz wurde,
den er auf eine vermittelnde Position zu drängen versuchte.
Er blieb in dieser Stellung eines „courtier", die von seinen
Freunden viel diskutiert wurde, ein Erasmianer, auch in den
epochemachenden Ereignissen der Jahre 1520 und 1521.
Immerhin, es gab jetzt immer klarere Zeichen: Capitos
„humanistic religious values led him to foster Luther's
reformation movement in spite of himself" (S. 82).

Seit dem Entscheidungsreichstag in Worms 1521 wurde die
Beschäftigung mit Luthers Denken und Handeln immer intensiver
. Spannend beschreibt Kittelson die Stellung Capitos
zwischen Aleander und dem Wittenberger Mönch. Immer
prägnanter trat hervor: „... Capito proeeeded to argue for
the evangelical faith" (S. 97) j das hieß u. a. Annäherung an
die christologisch fundierte Gnadenlehre und das reformatorische
Schriftprinzip.

Als sich Capito von Mainz löste und nach Straßburg wandte
(1523), war seine „transformation", seine „conversion" (S. 102)
schon weit vorbereitet und im Oktober 1524 dann „complete"
(S. 109 f.). Die Freundschaft mit Erasmus zerbrach, und zwar
angesichts der Themen, die Luther stellte.

Zwei große Kapitel zeichnen die reformatorische Wirksamkeit
in Straßburg nach. Das Auf und Ab der Entwicklung
zwischen den Fronten kommt gut zum Ausdruck. Seiner
irenisch-bedächtig vermittelnden Art entsprechend riet Capito
zum zurückhaltenden Vorgehen gegen die Radikalen, obwohl
seine theologische Haltung zu ihnen ablehnend war. Trotz
mancher anfänglichen Kontroverse mit Bucer näherte er sich
- vornehmlich in der Auffassung der Präsenz Christi im
Abendmahl - dem oberdeutschen Standpunkt und damit eher
der zwinglischen als der lutherischen Position. Das Bekenntnis
der vier Städte auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 enthält
starke Impulse von ihm.

Der praktische Reformator maß der weltlichen Obrigkeit
eine führende Rolle bei der Durchführung der Reformation
zu. Er arbeitete mit ihr ständig zusammen. Das Engagement
im „actual reforming" (S. 245) erscheint Kittelson bei ihm
erheblich stärker ausgeprägt als bei Luther. Der Einfluß
Luthers auf Capito gestaltete sich zu einem neuen Weg,
Institutionen zu schaffen und zu ändern. Das humanistische
Erbe des Straßburger Reformators erscheint Kittelson dazu
angetan, die Reformation praktisch zu fördern. „If Capito and