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Ausgabe:

1977

Spalte:

367-369

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Müntzer, Thomas

Titel/Untertitel:

Ausslegung des andern vnterschyds Danielis dess propheten 1977

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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367

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

368

Das vierte Kapitel behandelt Luthers Lehre zum Verhältnis
von Glaube und Werken. Es sei das „schwierigste Problem in
Luthers Theologie" (nach Piepkorn). Leaver „klärt" die dazu
gewählte Textzusammenstellung mit folgenden Zwischentexten:
„Gegensätzliche Ansichten" (Georg Major, Nik. von Amsdorf,
Luther, Paulus, Pirkheimer werden zitiert); „Luthers Meinung
über gute Werke" (43f.); „Der Standpunkt der römischen
Kirche" (44); „Gute Werke nicht angemessen" (hier verteidigt
Luther den vom Papst verworfenen Satz: „Eyn frum mensch
sundigt ynn allen gutten werckenn"); „Gute Werke nicht rein"
(45); „Vertrauen auf gute Werke ist Sünde" (46); „Wir sündigen
, weil wir Sünder sind" (47); „Volksglaube" (d. h. was im
Kirchenvolk zu Luthers Zeit allgemein geglaubt wurde,
Erasmus nicht ausgeschlossen); „Erkenntnis Christi" (cognitio
Christi mit „The knowledge of Christ" (49) wiedergegeben; die
rechte Erkenntnis Christi führt zur grundlegenden Erfahrung,
daß Gott nicht dem Sünder, sondern dem Ungläubigen feindlich
sei, obwohl - muß freilich ergänzt werden: er die Sünde
haßt). Den bisher neun Unterthemen folgen sechs, unter denen
das rechte Verhältnis von Glaube und Tat mit Luthertexten
dargelegt wird: „Wie Glaube und Werk sich zueinander verhalten
" (50) leitet mit der Feststellung ein, daß von Luther
nicht gute Werke, sondern die Vorstellung, durch sie gerecht
werden zu können, abgelehnt sei, „Der Kernpunkt" (er liege
darin, daß der Mensch aufgrund dessen, was Gott bereits in
Christus getan hat, nicht aufgrund seiner Werke angenommen
ist); „Gute Werke folgen dem Glauben" (52f.); „Der Fall
Nikodemus" (Joh 3,3); „Glaube ist tätig und aktiv" (54 f.);
„Werkgerechtigkeit leugnet die Wirksamkeit von Christi Kreuz"
(55).

Unter dem Stichwort „Per Christum" geht es im fünften
Kapitel um die konkrete Verwirklichung der Rechtfertigung.
Die Zwischentexte machen es etwas deutlicher, wie im Per
Christum die Fides Christi und das Sola fide zusammenkommen
, jedenfalls nicht einfach im forensischen Sinne der späteren
Lehre Melanchthons, den Leaver eingangs als echten Lutherinterpreten
aus Loci 1521 zitiert. Die Zwischentexte: „Rechtfertigung
geschieht in Christus; Die Einzigartigkeit Christi;
Des Anderen Gerechtigkeit; Der große Wechsel; Die Ein-
wohnung Christi; Christus ist alles in allem; Zusammenfassung
von Luthers Glaube und Lehre". - Wie unübersetzbar im
Grunde zentrale Gedanken und prägnante Formeln Luthers
sind, wird uns deutlich am dritten und vierten Zwischentext:
„Another's Righteousness"; „The Great Exchange". Wir haben
hier „Christi Gerechtigkeit" als iustitia aliena (iustitia passiva,
was uns betrifft) zu verstehen und erfahren deshalb den
„seligen Tausch" als Annahme der Sünder bei Gott: gratis
iustificentur propter Christum per fidem, wie Confessio
Augustana IV sagt. Doch Luthers Gedanken zu frischer Wirksamkeit
zu präsentieren, ist dem Autor gut gelungen. Hier
trifft Rupps Vorwort zu. Dies Urteil des bedeutenden Forschers
macht das Buch recht offiziell. (Allerdings ist seine kritische
Äußerung, daß Luther selbst nicht so schwierig zu verstehen
sei wie seine Kommentatoren, m. E. mit Vorsicht zu hören und
keinesfalls auf die bei Leaver in Auswahl geordneten Texte
voll anwendbar. Sie sprechen zwar weiterhin für sich. Aber
sie stehen in Zusammenhängen und haben Tiefenschichten in
sich, die erst recht ohne ein etwas entwickeltes Sachverständnis
naive Kurzschlüsse zulassen. Das erfuhren Luthers Zeitgenossen
wie spätere Geschlechter.) Die sprachliche Unmöglichkeit
der sich auch widersprechenden Fassung im Titel von
Kapitel IV. (S. 42) „Ex Operatum", der nach Inhalt (S. 7 und
Buchrückseite) „Ex Opera" lautet, verrät mehr als bloß Lateinoder
Dogmengeschichts-Unkenntnis und macht die „Studie"
(wie es der Verlag nennt) etwas weniger offiziell.

Jena Horst Beintker

Müntzer, Thomas: Auflegung des andern vntersehyds Danielis
deß propheten (Die Fürstenpredigt). Außgetrückte em-
plößung des falschen Glaubens. Hochverursachte Schutzrede.

Neuhochdeutsche Übersetzung. Mit einem Nachwort hrsg. v.
M. Steinmetz. 108 S., 1 Taf. Faksimileausgabe der Originaldrucke
. IV, 96 Faks.S. Berlin: Union Verlag (1975). 8°. Zus.
Kart. M 16,-.

Nach den Faksimileausgaben der handschriftlichen lateinischen
Fassung des sog. Prager Manifestes und der kleineren
theologischen Druckschriften liegen nun auch die drei letzten
und gewichtigsten Druckschriften Müntzers in einem hervorragend
ausgestatteten Faksimiledruck vor. Abgesehen vom
bibliophilen Wert stellt diese Ausgabe zugleich Erzeugnisse
von Druckern vor, die bei der Ausbreitung reformatorischer
und sozialrevolutionärer Gedanken eine wichtige Rolle gespielt
haben. Diese Rolle ist erst unzureichend untersucht. Die Auslegung
von Dan 2 (die sog. Fürstenpredigt) wurde in der
Allstedter Druckerei hergestellt, deren Beziehungen zur Eilen-
burger Offizin Nikolaus Widemars immer noch nicht aufgehellt
werden konnten. Die beiden anderen Drucke sind Nürnberger
Erzeugnisse. Die „Außgetrückte emplößung", eine überarbeitete
und radikalere Fassung der in Allstedt entstandenen
Auslegung von Lk 2, stammt aus der Presse von Johann Her-
got, der 1527 wegen Verbreitung einer Sozialutopie in Leipzig
hingerichtet wurde. Die „Hochverursachte Schutzrede" wurde
von Hieronymus Höltzel gedruckt. Nur wenige der beiden
letzten Schriften sind erhalten geblieben, da die Drucke zum
großen Teil unmittelbar nach der Fertigstellung vom Nürnberger
Rat beschlagnahmt und vernichtet wurden.

Sehr zu begrüßen ist die Entscheidung des Verlages, die
Benutzung der Faksimiledrucke durch die Beigabe einer besser
lesbaren Fassung zu erleichtern. Ein Neudruck aus der bekannten
Müntzerausgabe des Dresdner Gymnasiallehrers und
Historikers Otto Hermann Brandt von 1933 (nicht 1932, wie
S. 108 angegeben) bot sich an. Brandts Ausgabe ist bis zum
Erscheinen wissenschaftlicher Müntzerausgaben vielfach auch
von der Forschung benutzt worden, denn er bietet eine „dem
heutigen Sprachgebrauch angepaßte Textwiedergabe, wie S. 108
richtig (im Gegensatz zur irrtümlichen Titelangabe „Neuhochdeutsche
Übersetzung) vermerkt wird. Nur in relativ wenigen
Fällen ersetzte Brandt schwer verständliche Worte durch verstehbare
. Für die meisten frühneuhochdeutschen Prägungen
konnte er auf sein beigegebenes Wörterverzeichnis verweisen,
das leider nicht mit in die Faksimileausgabe übernommen
worden ist. So wird die Benutzung für viele Leser nicht ganz
ohne Schwierigkeiten zu bewältigen sein (vgl. z. B. S. 15:
Müdigkeit = Fruchtbarkeit; S. 24: Bruch = Hose). Zudem
sind Brandts Texte nicht fehlerfrei. Neben sinnentstellenden
Übertragungen (z.B. 21: „gewürget" statt „gewaget") finden
sich Textauslassungen von Gewicht (z. B. S. 18 und 22 „ohne
Hände" bzw. „ohne Hand") und vor allem eine Vielzahl falsch
verifizierter Bibelstellen. Ein Vergleich mit dem Originaldruck
ist also im Zweifelsfall immer ratsam. Dennoch werden die
Brandtschen Textfassungen vielen eine Hilfe sein, zumal
die Schwierigkeiten einer neuhochdeutschen Übersetzung von
Müntzers drei großen Schriften am Versuch von Wehr (Thomas
Müntzer: Schriften und Briefe. Eingeleitet und kommentiert
von Gerhard Wehr. Frankfurt a. M. 1973. = Fischer Taschenbuch
1378) deutlich erkennbar sind.

Als Nachwort ist der Faksimileausgabe eine glänzend geschriebene
Darstellung von Müntzers Leben und Wirken beigegeben
. Ein größerer Leserkreis wird hier zugleich über den
Forschungsstand sachgemäß informiert. Darüber hinaus wird
Müntzer in den Zeitzusammenhang gestellt und seine Relevanz
für die Gegenwart nach der gesellschaftlichen Seite hin herausgearbeitet
. Ebenfalls wird der in der jüngsten Jubiläumsliteratur
nicht selten anzutreffenden Tendenz eine Überbewertung
der geschichtlichen Rolle Müntzers gewehrt. Auch die
einfach zu bestimmende Stellung Luthers im Bauerkrieg wird
sehr differenziert dargestellt (z. B. 95 f.: „Alles das bedeutet
zwar Bruch mit der Papstkirche, aber keine Revolution, keine
völlige Umwälzung . .. Bürgerlich-gemäßigt bleibt alles, was
aus der lutherischen Reformation hervorgeht . . . Aber dennoch
war Luther nicht einfach ein Fürstenknecht ... Wer seine
heroische Periode von 1517 bis 1521 genau studiert, wird nicht
erwarten, daß Luther an die Spitze der Bauern und Plebejer