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Ausgabe:

1977

Spalte:

361-362

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dietzfelbinger, Christian

Titel/Untertitel:

Die Antithese der Bergpredigt 1977

Rezensent:

Kähler, Christoph

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

362

tivität - auf eine Deutung. Seine Absicht ist vielmehr - mit
.Geschichte und Strukturen" gekennzeichnet (S. 13) - eine Darstellung
der Entwicklung und der Gestalt der Vorstellung, die
er durch einfache Beobachtung zu gewinnen hofft. Dieser ausgesprochene
Positivismus ist von erkennbarem Fleiß und technischer
Sauberkeit begleitet.

In vier Kapiteln bespricht H.-K. einzeln die Stellen, die er
für einschlägig hält: bei den nach Quellen eingeteilten
Synoptikern, im Corpus Paulinum in seinen Traditionsschichten,
im Johannesevangelium mit Prolog, Kap. 17 und den
Menschcnsohnstellen und schließlich in Hebr, 1.2. Petr, Jud und
Offb. Mit Hilfe von Einzelanalysen entwirft er dabei einen
Prozeß der Traditionsbildung, der bei der verwirklichten
Eschatologie in Leben und Wirken Jesu ansetzt und bei seiner
Selbstbezeichnung als der Menschensohn, der hier auf Erden
erniedrigt und verworfen ist, aber als der himmlische Beistand
(advocate) erscheinen wird, was bereits die Vorstellung
der Präexistenz impliziert. Den möglichen Ansatzpunkt für die
Weisheitschristologie sieht H.-K. in der weisheitlichen Form
des Lehrens Jesu. Die Entfaltung geschieht durch Interpretationen
; Q zieht dazu den Weisheitsmythos heran und identifiziert
Jesus unter dem Titel Menschensohn als den eschato-
logischen Boten der Weisheit; Mk korrigiert Q, indem er den
leidenden Menschensohn hervorkehrt und nur Spuren des
Weisheitsboten beibehält; Mt schließlich identifiziert Jesus
vollends mit der Weisheit und präsentiert ihn als den endzeitlichen
Richter (vgl. die Zusammenfassung S. 82-102).

Paulus übernimmt die hellenistisch-jüdisch-christliche Vorstellung
von Christus als dem präexistenten Mittler. Dabei
hält er für möglich, daß die Identifikation mit der Weisheit
und dem Anthropos „Teil eben der Entwicklung ist, die in der
Synoptischen Tradition stattfand" (196). Unter dem Einfluß
jüdischer Apokalyptik modifiziert er diese Christologie aber
durch den Gedanken der Erfüllung erst am Ende der Zeit.
Ziemlich unverbunden daneben ist für Pls aus dem Vorstellungskreis
der im Himmel aufbewahrten Heilsgüter die
präexistente Kirche vor allem bedeutsam. In dieser Ekklesio-
logie sieht H.-K. den spezifischen Beitrag des Paulus (vgl.
S. 192-196.).

Johannes ist der, der mit dem Begriff Logos, der jüdischhellenistischen
Bezeichnung für die Weisheit, diese und den
Menschensohn identifiziert und so das Gewicht endgültig von
der Eschatologie auf die Protologie verlagert.

Das Buch beschließt eine Diskussion der theologischen Konsequenzen
des Befunds, die auf eine modifizierte Zustimmung
zu Pannenbergs Geschichtsverständnis hinausläuft.

Trotz der eingangs angedeuteten Hypothesenfreudigkeit, mit
der H.-K. die Mannigfaltigkeit religionshistorischer Phänomene
und auch urchristlicher Traditionsprozesse bedenklich
vereinfacht, vor allem, weil er über den Ort der herangezogenen
Vorstellungen in der Sprache der Texte nicht nachdenkt,
hat sein Buch zwei beträchtliche Verdienste. Sie liegen einmal
m der umfassenden Zusammenstellung und in der Diskussion
der für das Problem der Präexistenz bedeutsamen neutesta-
mentlichen Texte, aber auch in der Erkenntnis, daß in dem
Verhältnis weisheitlicher und apokalyptischer Traditionen der
Schlüssel zum Problem in seinen unterschiedlichen Aus-
Prägungen liegt.

Mainz Ehrhard Kamiah

Dietzfelbinger, Christian: Die Antithese der Bergpredigt.

München: Kaiser [1975]. 85 S. 8° = Theologische Existenz
heute, hrsg. v. T. Kendtorff u. K. G. Steck, 186. DM 11,80.

Diese Arbeit gehört in den großen Rahmen der Frage nach
dem „Sinn der Bergpredigt", auch wenn sie allein die Antithesen
(A.) untersucht. Daher wird sie auch weniger von dem
Interesse an der Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte
er A. geleitet, sondern vor allem durch den Versuch einer
Interpretation der in den A. hörbaren Forderungen bestimmt.

In einer Einführung (I) wird dieses Ziel der Arbeit genannt
(9). D. gibt weiterhin seine literarkritischen Voraussetzungen
an (QMt) und kennzeichnet die Einführungsformel (Ihr habt
gehört ... ich aber sage euch) als Schöpfung des hist. Jesus
(9-11). Als ursprüngliche A. gelten ihm die 1., 2. und - entgegen
der seit Bultmann klassischen Anschauung - die 5. (12).

Es folgt eine knappe Exegese (II) der A. Sie wird im einzelnen
sachgemäß differenziert nach den jeweils verschiedenen
Problemen. Doch läßt sich ein gemeinsames Grundschema
erkennen, in dem auf die speziellen Fragen der religionsgeschichtliche
Vergleich mit rabbinischen und Qumran-Paral-
lelen folgt. Dabei wird jedesmal die Besonderheit bzw. die
Neuheit des Jesuswortes herausgestellt (19, 22, 31, 41, 45, 50).
Am Ende der Erörterung steht der Aufweis der Provokation,
die gerade in je dieser A. liegt, da sich die gegenwärtige Welt
und Jesu Forderung unausgleichbar gegenüberstehen. Im einzelnen
gilt als jesuanisch: 5, 21 f., dabei wird mit Jeremias
„krisis" als „Todesstrafe" gedeutet (14ff.); 5, 27f.; 5, 31 f. in
der Form von Mk 10, 9 (26); 5, 33-37 in der Fassung von
Jak 5, 12b (35); 5, 38.39a, wobei 39b-41 als später angefügtes
aber jesuanisches Gut beurteilt wird (39.45); 5, 44 und 45
gehen sicher, 5, 48 wahrscheinlich auf Jesus zurück (47).

In einem weiteren systematisch ausgerichteten Teil (III)
wird die Frage nach dem Sinn der Bergpredigt als Frage
nach dem Sinn der A. expliziert. Dabei wird nochmals die
Zumutung beschrieben, die in den A. hörbar wird, zugleich
aber auch der „Entwurf einer Welt, in der Haß, Begierde
, Untreue, Unwahrhaftigkeit, Vergeltung, in Liebe verkleidete
Eigensucht ihre Kraft verloren und ihren Platz geräumt
haben zugunsten menschlicher Beziehungen, die ohne
Einschränkung menschlich genannt werden können" (65).
Einige Interpretationen, die diese Provokation verharmlosen,
werden abgewiesen, wobei zugleich die Vermutung geäußert
wird, der Todesbeschluß gegen Jesus gehe auch auf die A.
zurück (69). Dann wird in immer neuen Anläufen die Deutung
der A. von verschiedenen Blickpunkten her versucht. So werden
die A. auf die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu bezogen
(70-76), wobei von 5, 45b her die A. als die Offenbarung eines
neuartigen Verständnisses von Gott gefaßt werden, dem ein
neues Verständnis der Welt zu entsprechen habe (71 ff.). Weiter
sollten die A. auch christologisch als Bild des neuen Menschen
Jesus verstanden werden (76 ff.). Schließlich drücken die A.
anthropologisch einerseits die Sehnsucht nach dem ganzen
anderen aus (82) und verweisen andererseits auf die von Gott
gewährte und darum zu bewährende Menschlichkeit (84).

An dieser gut geschriebenen Arbeit imponiert die Konsequenz
, mit der die Exegese auf ihre theologische Aufgabe,
die Interpretation des historisch-kritischen Befundes, bezogen
wird. D. versucht dabei, in der Aufnahme bereits bekannter
Deutungen und ihrer Kombination das individualistische Verständnis
der Ethik der Bergpredigt zu überwinden zugunsten
der kollektiven Größe Reich Gottes, das als die neue, eigentlich
menschliche Welt verstanden wird. Damit gelingt es D., den
inneren Zusammenhang der A. durchschaubarer zu machen
und ein Stück „Predigthilfe" zu leisten.

Allerdings ist mir die Frage, ob ein solcher Brückenschlag
zwischen Exegese und Systematik nur mit D.s exegetischer
Position erreicht werden kann, die im wesentlichen der seines
Lehrers Jeremias und der seines Mit-Schülers Wrege entspricht
. So dürfte der Anteil des Redaktors an den A. wesentlich
höher sein, als D. ihn veranschlagt. Die traditionsgeschichtlichen
Probleme sind insgesamt nach Ausweis der neusten
Diskussion komplizierter, die „Authentizität" der Jesusworte
stärker umstritten, die religionsgeschichtliche Neuheit weniger
deutlich, als das jeweils dargestellt wird. (Nach den Diskussionen
der letzten Jahrzehnte sollte man die Überlegenheit
Jesu nicht mehr so darstellen, wie das etwa S. 22 geschieht
.) Ist eigentlich nur ein authentisches Wort Jesu Offenbarung
?

U. a. Fehlern stört besonders Zeile 1 S. 55: vierte ist in fünfte
zu verbessern.

Leipzig Christoph Kähler