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Ausgabe:

1977

Spalte:

359-360

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stuhlmacher, Peter

Titel/Untertitel:

Der Brief an Philemon 1977

Rezensent:

Lohse, Eduard

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359

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

360

manchmal nicht leicht zu verifizieren), aber auch gelegentlich
verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten. Ein Sachkommentar
zu dem vielfach interessanten Text ist nicht beigegeben (er ist
erarbeitet, aber nicht veröffentlicht in der genannten Dissertation
von Spittler). Kurze einleitende Abschnitte beziehen sich
wesentlich auf das Verhältnis der Handschriften zueinander
und die Möglichkeit, einen Handschriften-Stammbaum zu erstellen
. Sehr nützlich ist eine chronologisch geordnete und mit
kurzen Inhaltsangaben versehene Bibliographie (wiederum
von R. Spittler), mit der zugleich die Forschungsgeschichte
skizziert wird. Zu ergänzen wäre lediglich die gedruckte Kurzfassung
der unter 1967 angezeigten Halleschen Dissertation
von D. Rahnenführer (Das Testament des Hiob und das Neue
Testament, ZNW 62, 1971, 68-93) sowie ein Aufsatz von
I. Jacobs, Literary Motifs in the testament of Job, JJSt 21,
1970, 1-10.

Die Ausgabe wurde vorbereitet als Arbeitsunterlage für ein
Symposion (1974) der „Pseudepigrapha Group" der Society of
Biblical Literature. Sie wird sich demgemäß auch als Text für
Seminarübungen gut eignen, zumal sie wegen ihrer Herstellungsart
(Schreibmaschinensatz) vermutlich billiger ist als die
Ausgabe von Brock. Ein wenig bedauert man freilich, da5 nun
das Testament Hiobs gleich in zwei modernen Ausgaben vorliegt
(die Textabweichungen sind so gering, daß man nicht
einmal von zwei „Rezensionen" sprechen kann), während
andere ähnliche Pseudepigrapha immer noch in Ausgaben von
vor 1900 schwer erreichbar sind. Hier möchte man gerade eine
Arbeitsgruppe wie die genannte darum bitten, zunächst auch
die lange nicht bebauten Felder zu beackern.

Naumburg Nikolaus Walter

NEUES TESTAMENT

Stuhlmacher, Peter: Der Brief an Philemon. Zürich-Einsiedeln-
Köln: Benziger; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag des
ErziehungsVereins [1975]. 75 S. gr. 8" = EKK. Evangelisch-
Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, hrsg. v.
J. Blank, R. Schnackenburg, R. Schweizer u. U. Wilckcns.
DM 16,80.

Als erster Teil des Evangelisch-Katholischen Kommentars
zum Neuen Testament, an dessen Vorbereitung eine Gruppe
von Exegeten seit Jahren arbeitet, erscheint die Auslegung des
Philemonbriefes. Damit wird unter Beweis gestellt, da5 dieses
von katholischen und evangelischen Theologen gemeinsam getragene
Werk sich der sorgfältigen Erklärung des Details zuwenden
soll. Dieser kleinste der Paulusbriefe verdient in der
Tat mehr Aufmerksamkeit, als ihm zumeist entgegengebracht
wird.

Stuhlmacher nimmt in seiner Kommentierung den Ertrag
der ihm vorangegangenen Exegese des Phm auf und fafjt ihn
in einer flüssig geschriebenen, gut lesbaren Darstellung zusammen
. Dabei hebt er den Gedankengang der paulinischen
Argumentation hervor, verweist die Erörterung von Einzelfragen
in die Anmerkungen und handelt Spezialprobleme in
Exkursen ab, unter denen die wertvolle Studie über Urchristliche
Hausgemeinden, die an den Schluß des Bändchens gestellt
ist, besonders zu erwähnen ist.

Wie ist der Phm zu verstehen? Und worauf kommt es dem
Apostel an? Mit Recht wird das Schreiben nicht als „apostolisches
Manifest zum Thema der Sklaverei", sondern als „ein
sehr persönlich gehaltener, eindringlich argumentierender
Brief der Fürsprache für den entlaufenen Sklaven Onesimus"
beurteilt (S. 57). Zu seinem Verständnis ist die Bestimmung
des paulinischen Freiheitsbegriffes wesentlich, der im Phm auf
den vorliegenden Fall angewandt wird. Dabei kann Paulus
offenlassen, ob Philemon den Onesimus als Bruder wieder
annimmt, ihn aber weiterhin Sklave sein läßt - oder ob er ihn
dem Apostel zurückgibt und ihm die Freiheit schenkt. Denn

die „christologische Verankerung der paulinischen Position"
relativiert die weltlichen Maßstäbe (S. 48).

So weit gibt Stuhlmacher im wesentlichen den Consensus der
Exegeten wieder. Er meint jedoch, einen Schritt darüber hinaus
tun und annehmen zu können, Onesimus sei tatsächlich
freigelassen worden. Dafür soll zunächst Kol 4, 7-9 sprechen
(S. 57) - ein kaum zwingendes Argument! Sodann wird anfänglich
nur vorsichtig vermutet, dann aber zuversichtlicher
behauptet, Onesimus sei mit dem gleichnamigen späteren
Bischof von Ephesus identisch (S. 19.54.57) - eine unbeweisbare
Annahme! Und schließlich wird 1 Kor 7,21 aufgeboten
und folgendermaßen wiedergegeben: „Du bist als Sklave berufen
? Laß dich das nicht anfechten! Falls du aber doch freikommen
kannst, mache um so mehr daraus, bzw. nimm diese
Gelegenheit erst recht (im Dienste Christi) wahr" (S. 45). Stuhlmacher
will aus dieser Exegese folgern, Paulus sei für die
Freiheit des Sklaven eingetreten - selbst auf das Risiko
enthusiastischer Mißdeutung hin (S. 69). Damit wird jedoch
zweifellos 1 Kor 7,21 zu viel an Beweislast aufgebürdet. Mit
der weitaus überwiegenden Zahl der Exegeten ist der Satz
vielmehr so zu verstehen, daß Paulus den Sklaven dazu anhält,
auch dann, wenn er frei werden könne, erst recht dabei (d. h.
bei der Sklaverei) zu bleiben. Denn nicht auf die bürgerliche
Freiheit kommt es an, sondern allein auf die Freiheit in
Christus. Mögen auch moderne Leser, die nicht historisch
denken, den Apostel deshalb schelten, so hat er eben weder
1 Kor 7 noch im Phm einen Traktat über die Sklavenbefreiung
geschrieben, sondern redet er in der kritischen Distanz zur
Welt, die allein der christliche Glaube eröffnet und durchhalten
läßt.

Abgesehen von der eben genannten Zuspitzung seiner Interpretation
, mit deren Hilfe Stuhlmacher aus dem Text mehr
herauslesen möchte als er herzugeben vermag, kann seine
Erklärung durchweg überzeugen und ist sie auf die zutreffende
Einsicht gegründet, daß der Apostel in die ihm entgegentretenden
Welt- und Problemverhältnisse vom Evangelium her
hineinspricht. Denn mit Recht wird betont: „Fundament der
Äußerungen des Apostels und des ihm mit Philemon und dessen
Hausgemeinde verbindenden Glaubens ist das Evangelium von
der rechtfertigenden, in und durch Christus zu einem neuen
Leben führenden Gnade Gottes" (S. 66).

Hannover Eduard Lohse

Hamerton-Kelly, R. G., Prof.: Pre-Existence, Wisdom, and the
Son of Man. A Study of the Idca of Pre-Existence in the New
Testament. London: Cambridge University Press 1973. XII,
310 S. 8° = Society for New Testament Studies, Monograph
Series, ed. by M. Black, R. McL. Wilson, 21. Lw. 7.90.

Dem an deutsche exegetische Methoden gewöhnten Leser ist
eine gewinnbringende Lektüre dieser Untersuchungen neutesta-
mentlicher Präexistenzvorstellungen nicht ganz leicht gemacht.
Ihm erscheinen etwa einerseits die in der Einleitung wortreich
auf dreizehn Seiten versuchte Begriffsdefinition, die bei der
Unterscheidung zwischen ideeller und vier Formen von
aktueller Präexistenz ankommt, wenig einträglich und umgekehrt
die sieben Seiten des 1. Kapitels und einer Vorgeschichte
im Judentum geradezu dürftig,- und er erkennt es
als Folge dieser Dürftigkeit, wenn verschiedene Momente der
Weisheitsspekulationen kurzerhand zu Teilen „des Weisheitsmythos
" werden (etwa S. 25.50 u. ö.) oder auch verschiedene
Verwendungen von „kommen" zum ausdrücklichen Hinweise
auf Präexistenz oder göttlichen Ursprung (vgl. S. 45.48f.). Derartige
methodische Einwände werden ihm bei der Lektüre auch
der Einzelexegesen immer wieder kommen und ihn zur Skepsis
gegen die die Beobachtungen gliedernden Hypothesen und die
Zuweisung einzelner Abschnitte zu mythologischen Zusammenhängen
nötigen.

Für den Verfasser allerdings ist diese methodische Enthaltsamkeit
ein Mittel, möglichst unbefangen vorzugehen. Er verzichtet
dabei - offenbar in der Hoffnung auf größere Objek-