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Ausgabe:

1977

Spalte:

349-351

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vetter, Dieter

Titel/Untertitel:

Seherspruch und Segensschilderung 1977

Rezensent:

Herrmann, Wolfram

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. ,r>

gleich die volle Würde der vorher disqualifizierten Leviten
wiederherstellt. - Diese kleine Beobachtung erhält ihr
Gewicht dadurch, daß sie schwere Diskrepanzen im Reden von
Gott in einen weiteren Zusammenhang stellt, in dem allein sie
ihren Sinn bekommen. Diese kleine Beobachtung aber ist zugleich
typisch für eine große Linie, die die Konzeption der
AT-Theologie Zimmeriis wie ein Leitmotiv bestimmt:

Er grenzt sich von einem Verständnis von „Traditionsgeschichte
", das ihm die Einheitlichkeit des AT zu gefährden
scheint, dadurch ab, daß er diese in dem das ganze AT von
Anfang bis zu Ende bestimmenden Reden und Handeln Gottes
begründet. Entscheidend ist für ihn, „da5 für den alttestament-
lichen Glauben ... das Jahwe der Gott Israels', das in den
verschiedenen Traditionsformen geglaubt wurde, das eigentlich
verbindende Bekenntnis war"(25); dazu gehört aber, wie
Z. es am Auszug aus Ägypten und am geschichtlichen Credo
zeigt, „dafj der Zuhörende zum Antwortenden, Gehorchenden,
im Lobpreis und dann auch im Hilfeschrei das Gehörte
Anerkennenden wird"(16). Dieses Wechselgeschehen also ist das
alle Traditionen Verbindende, alles Reden von Gott im AT
Umfassende. Dies ist ein in der gegenwärtigen Lage der Arbeit
an der AT-Theologie notwendiges Wort, weil es dem Geschehen
zwischen Gott und Mensch den eindeutigen Vorrang gibt gegenüber
den Gedanken und Reflexionen über dieses Geschehen
.

Die in diesem zweiten Band gesammelten Aufsätze Zimmeriis
werden weiterwirken als ein Zeugnis dafür, wie die einen Teil
eines Forscherlebens umspannende Arbeit an der Auslegung
eines Prophetenbuches nicht nur die vielgestaltige und weitreichende
Bedeutung dieses oft nicht genügend beachteten
Propheten in einzigartiger Weise ins Licht gestellt hat, sondern
darüber hinaus aus der konzentrierten Beschäftigung mit ihm
eine theologische Zusammenschau des AT erwuchs, die von der
Mitte zum Ganzen führt.

Heidelberg Claus Westermann

Vetter, Dieter: Seherspruch und Segensschilderung. Ausdrucksabsichten
und sprachliche Verwirklichungen in den Bileam-
Sprüchcn von Numeri 23 und 24. Stuttgart: Calwer [1974).
151 S. 8° = Calwer Theologische Monographien, hrsg. v.
J. Baur, M. Brecht, H. Bürkle, L. Goppclt, G. Kretschmar,
M. Seitz, C. Westermann. Reihe A: Bibelwisscnschaft, hrsg.
v. L. Goppclt u. C. Westermann, 4. Kart. DM 26,-.

Vetter führt, wie er selbst sagt, mit dem vorliegenden Buche
die in seiner Dissertation angestellten „Untersuchungen zum
Seherspruch im Alten Testament" (196.3) weiter, worin er auf
einen umfangreichen exegetischen Teil (A. S. 9-57) zwei bedeutend
kürzere den exegetischen Befund auswertende Abschnitte
folgen läßt: B. „Zur Geschichte der in den Sprüchen
von Numeri 23 und 24 wirksamen Vorstellungen" (S. 58-65)
und C. „Zur Form sprachlicher Verwirklichung in den Sprüchen
von Numeri 23 und 24" (S. 66-81).

In der Auffassung des Textes lehnt sich V. bei W. F. Albright
(The Oracles of Balaam, JBL 63, 1944, 207-233) an, wobei zu
seiner Rekonstruktion sowie zur Bestimmung seines Alters die
nordwestsemitische Grammatik Berücksichtigung findet. Dadurch
ist es V. auch möglich, die drei kurzen Sprüche in 24,
20-24 den andern gleichwertig an die Seite zu stellen. Die
nach Meinung des Vfs. ein hohes Alter der Sprüche stützenden
und von den anderweitig vorgenommenen kritischen Operationen
am Text abweichenden Auffassungen beziffern sich auf
j*und 20 Stellen. Nun kann man z. B. durchaus beim Alt-
nebräischen mit dem Vorkommen von Mimation rechnen und
'n begründeten Fällen erwägen. Ein Verb mit n-energicum
ohne Suffix hingegen ist noch nicht sicher nachgewiesen. Deshalb
gilt es bei einer solchen Annahme vorsichtig zu sein, wenn
obendrein die Lesung mit Suffix sinnvoller und verständlicher
Ist, zumal schon sehr früh (10./9. Jh. v. Chr.) die Verwendung
von Vokalbuchstaben einsetzt. Die Textherstellung gewinnt

schließlich nicht an Wahrscheinlichkeit, wenn übermäßig viele
Umstellungen vorgenommen werden: 23,18.20.19.21a.23.21b.
22.24.; 24,7.8a.9a.8b.9b; 24,17.19b.l8a.l9a.l8b.

Die Feststellung, Albrights Herleitung der Sprüche aus der
Zeit um 1200 v. Chr. habe „der Diskussion über die Zugehörigkeit
der Bileam Sprüche zu dieser oder jener Quellenschicht
des Pentateuch Grenzen gesetzt und glaubhaft gemacht, daß
die Quellenscheidung den Büeam-Sprüchen nicht gerecht wird",
will ihnen ein relativ hohes Alter sichern, kann aber gegenüber
dem, was die Literarkritik leisten will und zu leisten
imstande ist, in der Gestalt nicht Anerkennung finden.

In Teil B äußert sich V. unter traditionsgeschichtlicher Fragestellung
zu dem Gedanken über das Stammeswachstum, nämlich
die Mehrung durch Segen. Aus diesem Grunde gebraucht
er für das Inhaltliche den Ausdruck „Segensschildcrung", obwohl
er selbst feststellt, daß die Sprüche auch noch andere
Vorstellungen enthalten. Die Lösung dieser Diskrepanz liegt
für V. in dem Hinweis, das Thema Wachstum sei hier nicht mit
einer Segensverheißung verbunden, die Mehrung vielmehr
Gesegnetsein und dieser Segenszustand werde auf unterschiedliche
Art geschildert. Die Verheißung eines solchen Zustandes
finde sich in der (nach V. späteren) Väterüberlieferung, wobei
die in den Sprüchen enthaltenen Vorstellungen Beziehung
hätten zum Segensverständnis der Genesis.

Wenn V. in Teil C das Wort zur „Form sprachlicher Verwirklichung
" in den Bilcamsprüchcn und ihren Anhängen
nimmt (es ist stilistisch ungut, von „sprachlich realisieren" und
„verbalisieren" zu reden), so meint er die formalen Merkmale
(Aufbau, Redestruktur) der Gattung „Seherspruch". Dabei
unterscheidet er mehrere „Sprachhandlungen", nämlich die
Aussage-, Frage-, Aufforderungs- und Ausrufe-Handlung, erkennt
Nachwirkungen der formalen Eigenart des Seherspruchs
in 2 Sam 23, 1-7 und Prov 30, 1-14 und stellt die These auf,
der Seherspruch habe auf alle Arten prophetischer Verkündigung
formal eingewirkt.

Weil nach Meinung V.s die Stammesgeschichte den traditionsgeschichtlichen
Ort für das Thema „Wachstum" in den Bileam-
sprüchen bildet, sind sie aus der vorstaatlichen Zeit herzuleiten,
und zwar aus der Zeit zwischen der Einwanderung älterer
Gruppen und der aus Ägypten kommenden Elemente. V. gelangte
zu dieser Überzeugung, weil er meint erkennen zu
sollen, daß ursprünglich Segen und Mehrung einander zugeordnet
waren, indem der Segen die wirksame Kraft verkörperte
, welche die Mehrung bewirkte. Erst in der Folgezeit
habe man Segen für eine spätere Stunde verheißen. Das ist
freilich ein Kurzschluß. V. hält es aber unter Berufung auf
Albright für ausgemacht, daß der Scher Bileam in das 13. Jh.
v. Chr. gehört und von ihm die Sprüche herdaticren. Man

liest S. 58:____im Blickfeld der Sprüche von Num 23-24 ...

liegt die Daseinsweise des wandernden Verbandes". V. nimmt
an, der Seherspruch sei vorgetragen worden bei der Vorbereitung
zum Kampf. Dort habe er seinen Sitz im Leben. Ein Seher
sollte den Kampf durch seinen Spruch beeinflussen. Die Segensschilderung
sei in dem den Segen einleitenden Seherspruch enthalten
und beschreibe „das Gesegnetsein in seinen vielen
Aspekten". Bei alledem schließt sich jedoch nicht eine Argumentation
logisch der vorausgehenden an. Man liest vielmehr
immer wieder: „es ließe sich erklären", „es wäre zu suchen",
„es könnte im Blickfeld stehen". Den Ausführungen fehlt die
Stringenz der Beweisführung, die sie einsichtig und glaubhaft
oder wenigstens wahrscheinlich machen. Die in dem Abschnitt
„Ergebnis" (S. 82 f.) formulierten Sätze: „Der Wechsel von der
Familien- bzw. Sippengeschichte zur Stammesgeschichte brachte
auch eine Veränderung der Segensvermittlung mit sich. An die
Stelle des segnenden Patriarchen der Sippe trat im Leben der
wandernden Stämme der Seher" verraten eine Vorstellung von
der Geschichte Israels, wie sie nicht allenthalben geteilt wird.

Endlich muß Rez. betonen, daß es sich bei den sieben
Sprüchen in Nu 23; 24 inhaltlich um Völkersprüchc handelt,
die nur in das Gewand von Seherworten gekleidet sind. Man
kann nicht nur vom Formalen her argumentieren. Das Inhaltliche
ist das Primäre und von größcrem Gewicht. Außerdem
sollte anerkannt sein, daß die Völkersprüche in dem, was sie