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Ausgabe:

1977

Spalte:

337-348

Autor/Hrsg.:

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Spätaufklärung 1977

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 5

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Die Spätaufklärung

Entwicklung und Stand der Forschung (I)
Von Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Neuendcttelsau

Die wissenschaftliche Erforschung des Rationalismus im Rah- Wird, wie von dem formalen ^«»^^jSJÄS

man der Spätaufklärung Konnte Z beginne, als man sich in nen[ geschieht der -^U des Ch t "^^.onahst,sch

einer gewissen zeitlichen Distanz zu ihm befand. Der Spekula- bestimmt, so sind aie s.irei.yc Wp0crhPider

tive Vermittlungstheologe Isaak August Dorner ging 1867 in Löffler, Henke Schmid, Krug Paulus Roh Wcgs*e.d«

seiner „Geschichte der protestantischen Theologie», z.T. nur folgerichtiger, daher auch ^n™™*e^^m™

anmerkungsweise, auf die Spätaufklärung im Sinne des Ratio- Ammon sich spater mehr zu ihnen schlagen . Das ist zutref

nalismus ein. Bei den Supranaturalistcn, F. V. Reinhard und fend beobachtet. ____. . _ ji. Rationa-

dem Schulhaupt der Tübinger, G. Chr. Storr, stellte er Nach- Hinsichtlich des Gottesbegriffs weichen^aber die RaUona

Wirkungen der Wolffschen Philosophie, den Versuch, den Bund listen von Kant ab, denn ™**^f°S^™™°n£

zwischen Theologie und Philosophie durchzuführen bzw. fort- der Wolffschen natürlichen ™

zuführen, fest, ebenso und noch mehr bei Rationalisten wie scheider lehren nach Dorners begründeter Meinung deistisclv

Eckermann, Röhr und Wegscheidel Bedeutsam ist Dorners Röhr lasse die Welt, nachdem sie einmal gesetzt sei, ablaufen

Lessinginterpretation'-. Denn während Karl Aner» noch 1929 wie eine Maschine. l„itPnHpn Cesichts-

Lessing mit dürren Worten als „ersten Rationalisten» bezeich- Dorners Beobachtungen sind in den leitenden C^ .cht

nete und den rationalistischen Standort Lessings am deut- punkten zutreffend, im Detail zuweilen zu ^

Lehsten im frühen Aufsatzfragment „über die Entstehung der Kantrezeption der von Dorner zusammengcstell e" ^anner ^

geoffenbarten Religion» (vor 1760) ausgesprochen fand, hat sehr unterschiedlich gewesen Ammon und Rohr werfen nicht

schon Dorner die Erzichungsschrift von 1780 nicht nur als differenziert genug beurteilt die Bedeutung Kants für die

Dokument für Lessings Auflösung des Offenbarungsbegriffes, Rationalisten dürfte Dorner überschätzt haDen.

der sozusagen nur den Religions- und Moralunterricht des W. Gaß hat gleichzeitig mit Dorner den 4_ Bd seiner

göttlichen Schulmeisters meinte, in Anspruch genommen. Nicht schichte der Protestantischen Dogmat.k ,n ihrem Rammen

wie bei Aner. der göttliche Offenbarungserziehung schlecht- hange mit der Theologie überhaupt ^»«fbr^'^~7'- ™

weg mit „autonomer Entwicklung der Menschheit»'- gleichsetzt, unsere Fragestellung bringt Gaß wichtige ^

wird von Dorner die göttliche Erziehung einseitig auf die Blick auf den Helmstedter Theologen^"^^

Erkenntnis der Vernunftwahrheiten bezogen, sondern Gottes Henke (1752-1809) erkennt er, daß Vernunft und positive

Wirksamkeit in den einzelnen Entwicklungsstadien des Men- Religion in einer Perspekt.ve Besehen

schcngeschlechts wird stark unterstrichen: „unentbehrlich ist klar (ist) als sie sehe mt ». d. hn"e^ta»[*nfn^r^c

nur die innere Offenbarung, ein fortgehendes Wunder, das ständigen Quelle „Vernunft doch noch, e.n• un^st^el1^

Gottes Geist hervorbringt, da sein Gedanke und seine schöpfe- Kraft gelten, die von der positiven Rel «geht und die

nsche Macht stets gegenwärtig in uns bleibt. Die Herausgabe „nachhaltig fortwirkend gedacht wird. Henk denkech

der ..Fragmente» des Reimarus versteht Lessing durchaus als von vornherein ein ^PT^ ^^dSkZC^

Dienst an der religiösen Erziehung der Menschheit, denn im lebendigen Glauben» forbusetz*« ^ ^

Unterschied zu dem alles Historische ablehnenden Fragmen- einen Glauben an Christus ^^.^^^^

"sten H. S. Reimarus schließt Lessing das Historische in die gött- System über die Linie des gewöhnlichen Rationalismus

liehe Erziehung ein. Vor allem sei in Lessing ein tieferes geht" . . c.„nc R:nfUlft ,.nd die vorbereitunq

--mystisches Element" bei aller Kraft des Verstandes nicht zu Es zeigt sich dann Lessings Einfluß und die VorDereitung

verkennen. LesTng hielt dafür daß die Annahme einer über- eines neuen Offenbarungsverstandmsses, das über das bloß

natürlichen Einwirkung des Heiligen Geistes vielmehr das Doktrinale hinausgreift.

Fundament SStuS von seinen Anfängen an gewesen Bei dem ungefähr gleichzeitig lehrenden **£jMb

^i, auch schwerlich durch ein bloßes philosophisches Raisonne- Christian Rudolph Eckermann erkennt Gafi ^ ^hwrigtot

ment zu widerlegen stehe. Er will auch wissentlich nichts tun, dessen Vernunftverstandms tief genug auszuloten Denn

*as hindern könne. daß die von ihm nicht geleugnete Mög- einerseits gibt Eckermann - wie andere - derBegriff des

"*Keit unmittelbarer Einwirkung des göttlichen Geistes zur übernatürlichen auf, ohne darum doch in der OfJenbarunj und

Wirklichkeit gelange"« sTfügt sich auch die Mehrzahl der Aneignung der christlichen Religion.alles; begreiflich finden zu

Rationalisten nach Dornet Auffassung zu Lessings Einstellung, wollen. Es müsse *^^J£&^^™*^£

wenngleich bei ihnen in unterschiedlicher Weise Kant und auch unmittelbaren Eintretens ^I^XTaZ^L^LiT^

Jacobi philosophische Patenschaft übernehmen. Bei Männern und der Vorstellung unerklarbaier Wirkungcn innerhalb der

wie dem Jenenser Dogmatiker Klein, dem Leipziger christlichen Religion unterschieden ^crdLn weshal Ed

H- G. Tzschirner, dem früheren Christoph Friedrich Ammon und mann eine grundlegende Denkfgude spateren Jatwnahs

dem früheren Karl Gottlieb Bretschneider (1776-1848) sei mus (Röhr vorwegnimmt. Innf/raaE"*~liXV

»noch ein supranaturaler Rest übrig, nämlich wenigstens in keit Christ, findet er etwa. .». ganz' *9™^"Jes-

Betreff der Form der Offenbarung. Aber der Inhalt wird von An diese Unters Keldung knup' d« Sad.e nach der V«

'hnen gewöhnlich als ein solcher betrachtet, der schon der Ver- treter eines relativen Supranatmahsmus Kar Friedrich

n«nft für sich eigne"'. Der Begründung einer der Form nach Stäudlin .n Cottingen 1™7^™^ZJI^.

supernaturalen (supranaturalen) Offenbarung auf Kantscher Hinsicht treffend ^^^^^e^Z^

Grundlage tritt ein Kantscher Rationalismus entgegen, der eine ständnis des Wunders f™^^^^™™™^*.

Erweiterung des Vernunftsinhaltes durch Offenbarung ablehnt. Den „gewöhnlichen ?a b™1"™*^^

Alle Wahrheiten müßten, so sagen diese Rationalisten, eine sitt- scheider, hat Gaß ebenfalls m wese"tllc£ '^Sfs hJtte

»*e Beziehung haben, so da* die Vernunft sie selbst einsehen Bretschneider „gehört nicht gaiu in diese Krfegonehatte

"Hisse, weil anders ihr Gehorsam blind und kein sittlicher Akt deshalb auch von Gaö besser überhaupt n.ch unter dieser

se>- Selbst die Erkennbarkeit der Offenbarung die sich darauf Überschrift behandelt werden sollen. Er verbindet den Ge-

besrhrä^u j MKennoarKcit aer unenoarung aic sicnuaia etufenweisen Erz ehung zur religiösen Erkenntnis

^schranke, die Form der Promulgation des Sittengesetzes zu danken der sturenwtibci. » r„Ua™ Prl^nntni.

sem. wurde von dem „Magazin für Prediger" des Gothaer mit der Überzeugung, daß sich diese religiöse Erkenntnis

Rationa,isten Löffler bestritten. Dorner kommentiert diese immer aus der höchsten Vernunft oder dem Logos bzw. dem

Einstellung zutreffend: „Und in der Tat würde das Gerüste HL Geist herleitet. Die Schwierigkeit die für Bretschne.der auf-

emer wunderbaren Offenbarung, die der Vernunft nur den brechen muß, ist nun d.cse: wie erklart es s.ch, daß aus der

ebenen Inhalt brächte, ein unverhältnismäßiger Aufwand sein. erleuchtenden Offenbarung so v.el Unfaßl.ches hervorgegan,