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Ausgabe:

1977

Spalte:

315-318

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kegler, Jürgen

Titel/Untertitel:

Zum Verständnis politischen Geschehens im Israel der frühen Königszeit 1977

Rezensent:

Kegler, Jürgen

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Theologische Litcraturzeitung 102. Jahrgang 197/ Nr. '

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ein dem menschlichen Bewußtsein ähnliches Bewußtsein zugeschrieben
werden kann.

Ein in diesem Sinn geklärter Gottesbegriff kann nun leicht
zu einem Schlüsselbegriff erhoben werden, mit dessen Hilfe unsere
grundlegendsten Begriffe reorganisiert werden. Falls dies
geschehen sollte, wird von einer lluislischcn Metaphysik geredet
, einer Metaphysik, die durchaus empirisch relevant i-!
und den deskriptiven flehalt des Gottesbegriffs erhöht.

1 Unsere Arbeit befindet sieh im krassen Widerspruch zu dem von W.
Schenk gegebenen Rat, sich nicht „beim Pragmatismus des späten Wittgenstein
Schützenhilfe zu holen" (ThLZ 100, 1975 Sp. 487). Wir hallen es
für verkehrt, die Bemühungen Wittgensteins um die Krhellung der Vielfalt
der Sprachfunktionen (vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Unter*
nidrangen, ss' II. 23, 27. In: Schriften, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1969,
S. 294. 300, 302) als „pragmatischen Absolutismus" (a. a. O. Sp. 486)
.'ihz.ilun.

Kegler, Jürgen: Zum Verständnis politischen Geschehens im
Israel der frühen Königszeit — Ein Beitrag zum Problem
alttestamentlichen Geschieht*Verständnisses. Miss. Heidelberg
t!>7'.. Text: IV, 325 S.: An in.: XX. 57 S.

Die zentrale Bedeutung, die der Begriff „Geschichte" in der
Interpretation des Allen Testaments in den letzten Jahrzehnten
erhalten hat. macht es notwendig, den Bereich politischen Geschehens
, wie er in der textlichen Überlieferung seinen Niederschlag
gefunden hat, /u thematisieren, lagen deich die bisherigen
forschungsgeschichtlichen Schwerpunkte überwiegend auf den
sakralen Institutionen und ihren Traditionen. Die frühe Königszeit
, geprägt durch die Königsherrschaften Sani*. Davids und
Salomos, bietet sieh dabei in besonderer Weise an, da sie durch
< ine Fülle verschiedener Versuche charakterisiert ist, das Novit in
staatlich-politischer Erfahrungen zu verarbeiten. Leitfrage ist
dabei: Wie wurden politische Ereignisse, die von den jeweils
Betroffenen primär al* einzelne Vorgänge und Geschehnisse erlebt
wurden, verstanden, einander zugeordnet, zu vergangenen
Ereignissen und übernommenen Normen und Werten in Beziehung
gesetzt, gewichtet und interpretiert; welche Interessen und
Motivationen lassen sich bei der textualen Verarbeitung von
Vorgängen erkennen und welche spezifischen Gruppen stehen
dahinter?

In „methodischen Vorerwägungen" werden die wichtigsten Begriffe
definiert; da der moderne Geschichtsbegriff im AT nicht
vorausgesetzt werden kann, werden die Kegriffe Debarim und
Toledot, die manchmal mil „Geschichte" übersetz! werden, untersucht
. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß weder Debarim noch
Toledot sich mit dem Wortfeld von „Geschichte" decken. Die*
hat deflatorische Konsequenzen: der Begriff „Geschichtsversländ-
nis" wird formal verwandt; er besagt lediglich, daß im AT Geschehenes
nicht isoliert verstanden wird, sondern Vorgänge einander
zugeordnet weiden; wie dies geschieht, entfaltet die Einzelexegese
; Verständnis meint den Pro z. eß des Verstehens,
wobei der Bezug zur jeweiligen Gegenwart des Autors impliziert
ist. Auch der Begriff „Politik" ist dem AT fremd. Deshalb werden
induktiv Vorgänge aufgezählt und gegliedert, die als staatlich
organisierte Machtausiibung erkennbar sind, wobei die
Bezugsgröße immer der atliche Text selber ist. Ks ergeben sieh
folgende Bereiche in der frühen Königszeit: Maßnahmen zur
Errichtung von Herrschaft und Sicherung ihrer Kontinuität in
der Dynastie; Maßnahmen zur Sicherung von Herrschaft während
einer Begierungsperiode; Militärische Maßnahmen zur Sicherung
oder Erweiterung von Herrschaftsansprüchcn; Sicherung
der Macht gegen Gefährdung durch Opposition und Selbstdar-
stellung von Macht. Diesen Bereichen folgt der Aufbau der Arbeil
. Als methodische Grundvoraussetzung wird die Notwendigkeit
der Bückfrage vom Text zu hinter dem Text stehenden
(politischen) Vorgängen postuliert; denn da der Text bereits
A usdruck eines speziellen Geschichts Verständnisses ist,
kann die Intention nur durch Erhellung der Beferenz auf den
oder die Vorgänge erfaßt werden, die er implizit oder explizit
enthält. Die Ergiebigkeit dieser Fragestellung wird an Hand der
Einzelexcgesc von 1 Sam 0 bis 1 Kön 11 excrnplifizierL

Maßnahmen zur Errichtung von Herrschaft
sind die Königswcrdung Saids und Davids, Usurpationsver-
Btiche unter David und Dynastiebildung(sversuche). Die Unler-

suchung der Saul-Texte (I Sam 9 -11) ergibt, «laß da* Königtum
Saids als Folge eine* militärischen Sieges zu verstehen
ist, ohne dal.! die Historizität eines Salbungsaktes nachweisbar
ist. 9,1—10,1C steht den historischen Vorgängen sehr fern: es
handelt sich um einen Text prophetischer Kreise, die ihren Anspruch
auf Beteiligung bei der Inthronisation eines Königs durch

Rückbezug auf den ersten möglichen Präzedenzfall legitimieren

wollen. Bei David ist erkennbar, daß die Erhebung zum König
primär Anerkennung bereit* vorhandener (militärischer) Macht
war; sie ist dir entscheidende, Geschehen in Gang setzende
Kraft. Bei den Usurpationsversuchen zeigl sieh dasselbe Ver-
sländnis von Macht als der faktensel/enden und damit Geichehen
bestimmenden Größe. Menschliches Handeln, bezogen ml
die Person des Herrschers, weiß sieh dabei in Übereinstimmung
mit dem Willen Jahwes. Diese Einheit von menschlicher Initiative
und (positiver) göttlicher Bewertung de* Geschehens, wie
sie im Erfolg manifest wird, ist für diese Zeit konstitutiv.

M n 1! n a h m e n z u r S i c Ii e r u n g von II e r r * c Ii a f I
begegnen aus der Zeit Davids vor allem in der ..Thron fotge-
geschichte" IT"). Die. Einheitlichkeit des literarischen Komplexes
'2 Sam 9 bis I Kön I wird durch form-, überliefernugs- und
redaktionsgeschichtliche Argumente, verbunden mit inhaltlichen
und literarischen Aspekten in Weiterführung de* Ansatzes von
Rost begründet. Dabei spielt der überliefern ngsprozeß von
DtrG zum ChrG eine Bolle, denn ChrG hat nur ..offizielle"
Texte in seine Komposition aufgenommen, nicht aber Teile einer
selbständigen Geschichtsschreibung, worin die Hochschätzung
einheitlicher Überlieferungen zum Ausdruck kommt. Inhaltlich
Stellt die TF den Versuch dar, politisches Geschehen, das ais
eine Abfolge von Konflikten und deren (positive) Lösung dargestellt
wird, mit Kategorien der Familiengeschichte, wobei der
König die Rolle eines Pater familias repräsentiert, verstellbar,
nachvollziehbar ZU machen und dabei einen Prozeß der Identifizierung
dei Volkes mit dem Novuin des Herrseherdaseins zu
imitieren. In Weiterführung des Ansatzes von Westermann wird
die 'Tendenz der TF als ein Versuch verstanden, die neuen
komplexen Erfahrungen politischer Macht und ihrer Gefährdung
mit Hilfe von Erfahrungen aus dem Bereich der Größfamilie
zu bewältigen.

Im einzelnen finden sich in der TF als Maßnahmen der Hcrr-
schitflssicherung: Privilegien Verleihung, Beförderung. Begnadigung
, Arnterbesetzung, Beseitigung von Gegnern. Niederschlagung
von Aufständen samt Elementen der Verschwörung, des
Aufbaue* eines Nachrichtendienstes und der Agentenentsendung.
Das politische Interesse der TF wird besonders in '1 Sam 19
deutlich, wo das adäquate Handeln im Rahmen familärer Normen
(der Vater klagt um den toten Sohn) als politisch inopportun
explizit gerügt wird. Auch 2 Sam I I wird als politischer
Vorgang gedeutet: David will keinen Nebenbuhler beseitigen
, sondern eine mögliche Gefährdung seiner Macht durch
die Opposition eines Untertanen, dessen Frau zu nehmen der
altorienlalische Herrscher selbstverständlich das Becht hatte,
verhindern, nachdem Versuche einer „humaneren" Ixisung des
Problems der schwangeren Bathseba gescheitert waren. Diese
Sicht steht, im Gegensatz zu Würthwein, dessen Studie im einzelnen
kritisch hinterfragt wird. Für das Geschichtsverständnis
der Tb' ergibt sieh: vorausgesetzt ist das Wissen um die absolute
, Leben und Tod einschließende, Macht des Herrschers.
Diese Macht — das zeigt die TF — wird von David maßvoll
gebraucht: er begnadigt, begünstigt, befördert. Die theologischen
Aspekte des Gcschicbtsverständnisses der TF sind nicht cin-
linig: Kontinuität im geschichtlichen Geschehen ergibt sich einmal
aus dem nalurhaft-biographischen Daseinsablauf der Menschen
, daneben aus der Korrelation von Planung und Durchführung
, durch die Wiederkehr analoger Vorgänge und nicht
zuletzt durch den Tun-Ergehen-Zusammenhang, der jedoch —
und diese Beobachtung ist für die weitere Diskussion zu beachten
— nicht als fatalistisch hinzunehmen begriffen wird, sondern
durch Hoffnung und das Wissen um die Veränderbarkeil
von Geschehen durchbrochen wird.

Bei Snlouio treffen wir auf neue Aspekte des Geschehens-
verständnisses. Der Tatsache gesicherter Herrschaft und der Ausweitung
von Wirtschaft und Handel entsprechen neue Formen
tcxtualer Verarbeitung: die neue Gattung des Herrscherpreises