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Ausgabe:

1977

Spalte:

294-295

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Religion 1977

Rezensent:

Beintker, Michael

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Theologische Literaturzeitung 102. .fahrgang 1977 Nr. 4

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men. Die von Härle als entscheidend formulierten Widersprüche
indes sind Scheinwidersprüche, die mit unserer beschränkten
Begrifflichkeit, wo nicht gar mit unserem Verlangen, bündig zu
formidieren, zusammenhängen, so daß sie sich in ausführlicherer
Rede vermeiden lassen. Stärker als bei Barth könnte und sollte
allerdings betont werden, daß das Nichtige als das von Gott
Nicht-Gewählte nicht unvermeidlich existent wird (wie der
Schatten), sondern indem Gott in Freiheit auch der unmöglichen
Möglichkeit Raum läßt, um sie zu widerlegen, um sie
(nicht zu unterdrücken, v ielmehr) zu überwinden. Der Zusammenhang
mit der Gnade besteht dann in differenzierterem Sinn
— erst recht. — Es ist aber außerdem im Sinne Barths zu
Kager]: Wenn das Nichtige als onotologisch relevant genommen
wird, dann auch und vielmehr die Gemeinde als Gegenstand
der besonderen Wahl Gottes, u. zw. Israel und die
Kirche (K. ü. 11,2, vgl. 111,3). Man kann nicht wie Härle
Tür die Ontotogie der KirchL Dogmatik die Gemeinde in einer
Fußnote mit dem Hinweis abtun, daß sie für Barth nur no-
ologischen Sinn und Charakter habe (S. 218); es heißt das, einen
Akzent Barths absolut setzen und dafür den Dritten Artikel
aus der K. D. mitsamt seiner onlologischen Relevanz eliminieren
.

b) Härle ist zu fragen: Will er eine theologische On-
tologie — die die Wirklichkeit durch den Glauben erkennt,
im ,Unsichtbaren' (welches eine neutestamentliche Kategorie
ist!) aber die Wirklichkeit erkennt, oder will er eine für jedermann
verifizierbare Wirklichkeilslehre? Er interpretiert
Barth im ersteren Sinn und beurteilt ihn schließlich unter der
zweiten Voraussetzung. Er begeht dabei noch den Fehler, daß
er den Zusammenhang zwischen Bund und Schöpfung
bei liarth zuwenig zur Gelting kommen laßt. So spricht Barth
durchaus etwa von einem von Gott angeordneten „Konkordat
der Welt mit sich selber" (IV, 3, 161) wie vom Licht des Lehens
(ij 69,2), welches den Glauben die letztgültige Wirklichkeil
für das und in dem was vor Augen ist, erkennen läßt.

c) Wenn man Barth als geschichtslos (vgl. bes. 327) systematisiert
, dann gelangt man natürlich zu einer Ontotogie ohne
normative Kraft. Das könnte man bereits zu Anfang wisseD.
Wir haben Barth anders gehört und lesen es bei ihm anders:
1. im Sinn einer Theologie von Wort und Antwort, der Kontingenz
von Wort und Antwort, 2. wo der Glaube durchaus
nicht im Anerkennen und Erkennen auf- und untergeht (vgl.
Härle S. 318, 326); z. B. ist in Barths ,Dogmatik im Grundriß'
„Vertrauen" die erste Bestimmung des Glaubens (Abschn. 2—4:
Vertrauen — Erkennen — Bekennen). 3. Barth beschreibt das
Werk Jesu Christi nicht nur als priesterliches, sondern auch als
königliches und prophetisches (K. ü. IV, 2 u. 3), was die Soterio-
logie eminent geschichtlich werden läßt; wie kann man das angesichts
K. D. IV, 3 verkennen? 4. In Barths Theologie steht
Rottes Erwählung nicht geschichtslos für sich. Die Erwählung
Jesu Christi ist Erwählung zum Knecht Gottes, der ans Kreuz
geht. Eine Darstellung und Beurteilung der Theologie, auch der
theologischen Ontologie Barths, die Kreuz und Auferstehung
»6tU Christi nicht thematisiert, sondern nur beiläufig erwähnt,
wie das bei Härle der Fall ist, ist Barth nicht im Kern begegnet
. (Merkwürdig und doch nicht zufällig, daß ein Gesprächs-
Partner Barths, wie .T. Moltmann, und ein Interpret Barths,
*>e B. Klappert, so gut wie keinen Stellenwert in Härles Arbeit
haben!) 5. Vf. beklagt bald Barths übertriebenen Aktualis-
lr>us (z. B. S. 171 Anm.: H. G. Pöhlmanns Diagnose eines
» P a n a k t u a 1 i s m u s " bei Barth sei kaum zu widersprechen
), bald Barths Geschichtslosigkeit. Er spricht bei Barths
Aklualismus nicht von Gottes Treue und denkt bei der
Präge von Geschichte oder Geschichtslosigkeit nicht ans Kreuz.
Er verfehlt damit hinsichtlich Barths die Mitte seines theologischen
Denkens und hinsichtlich des theologischen Themas
selbst die Bestimmung des Begriffes „Gnade" wirklieh von Jesus
Christus her.

«Das letzte Wort, das ich als Theologe ... zu sagen habe, ist
n|chl ein Begriff wie ,Gnade', sondern ist ein Name: Jesus
Christus" (K. Barth, Letzte Zeugnisse, S. 30f.). Christologische
Ontotogie nun wäre ebenso klar wie auch unendlich lebcndi?
«nd reich strukturiert Härle hat zunächst wesentliche Strukturen
erfaßt und dabei etliches Förderliche dargelegt, besonders

zum Analogie-Denken Barths, das hier nicht zur Sprache kommen
konnte. Er hat aber weder Barth noch die Sache der Theologie
in ihrer Lebendigkeit zur Geltung kommen lassen. Einen
eigenen Entwurf zur Ontologie hat er, auch in Ansätzen, nicht
sichtbar gemacht, aber aueh nicht deutlich werden lassen, ob
und in welchem Sinn er die Zumutung der Theologie für die
Ontologie als Grundlagenphilosophie (S. 321) überhaupt will.
Einen „wichtigen Beitrag zur Verständigung über [Barths]
Theologie im Ganzen" (S. VII) sehe ich nicht erbracht. Nach
dem Duktus des Buches müßte er darin liegen, daß gezeigt
würde, Barths Theologie sei T h e o n t o 1 o g i e , als Ontologie
aber nicht tauglich. Förderlich ist das systematische Bemühen
um Barths Wirklichkeitsverständnis als solches. Respektable
Teilarbeit hat Härle dazu geleistet, Grundstrukturen aufgezeigt
— und er vermittelt die Erkenntnis bzw. macht sie anschaulich
, daß, wenn eine Ontologie der Kirchlichen Dogmatik
aufgezeigt wird, sie nicht als Destillat unter ontologischen
Auswahlprinzipien gewonnen werden kann, sondern nur als
Zumutung der ganzen Theologie mit ihren reichen ontologischen
Implikaten an die Ontologie.

Wuppertal Jürgen Fangmeier

Elsas, Christoph [Hrsg.]: Religion. Ein Jahrhundert theologischer
, philosophischer, soziologischer und psychologischer
Interpretationsansätze. München: Kaiser 1975. 364 S. 8° ■=

Theologische Bücherei. Neudrucke und Berichte aus dem
20. Jahrhunderl, hrsg. von G. Sauter. Systematische Theologie,

56. Kart. DM 32,-.

Es ist zu begrüßen, wenn in der Zeil eines wieder wachsen-
deu theologischen Interesses für das Thema Religion grundlegende
Gesprächsbeiträge zur Theorie der Religion bzw. zum
Religionsbegriff zusammengestellt und einem größeren Leserkreis
zugänglich gemacht werden. Der von Christoph Elsas herausgegebene
und eingeleitete Sammelband präsentiert sich als
ein Reader, in welchem siebzehn signifikante Texte aus der Zeit
von 1874 bis 1962 zum Abdruck kommen. Bei der Auswahl
beschränkt sich Elsas bewußt nicht auf die Wiedergabe theologischer
Autoren, sondern versucht in breitem Maße auch philosophische
, soziologische und psychologische Iutcrpretationsan-
sätze aufzunehmen, um somit Informationen und Anregungen
für das interdisziplinäre Gespräch zum Religionsproblem zu vermitteln
. Der Rahmen der Auswahl ist weit gespannt: Er erstreckt
sich von A. Ritsehl und W. Herrmaun über A. N.
Whitehead und P. Radin bis hin zu S. Mowiuckel und H.
Schär. Den Texten ist eine umfangreiche problemgeschichtlichc
Einleitung vorangestellt (16—82), die den Leser über Entwicklung
und Stand der Diskussion informieren möchte und bei
aller Skizzenhaftigkeit einen umfassenden überbück anstrebt.
Auffällig ist die Dominanz der außertheologischen Theoriebildung
. Sehr wertvoll dürfte die sorgfältige, chronologisch angelegte
Bibliographie sein (337—364), welche die wichtigsten Titel
von 1867 bis 1974 dokumentiert und den Rang einer unerläßlichen
Arbeitshilfe beanspruchen kann.

Man liest die Texte mit Interesse, wird auf in der heutigen
Diskussion — leider — Vergessenes aufmerksam gemacht und
dazu angeregt, die Lektüre der Auszüge durch eine weitergehende
Lektüre der jeweiligen Autoren zu ergänzen und zu
erweitern. Mit diesem positiven Eindruck verbindet sich aber
gleichzeitig Kritik: Allzuoft erwecken die gewählten Auszüge
den Eindruck einer Leseprobe. Sie wirken fragmentarisch und
brechen mitunter an einein Punkt ab, an dem sich der unbelastete
Leser gerade eingelesen hat. Das ist darauf zurückzuführen
, daß die Texte weder mit einer erläuternden speziellen
Einleitung noch einigen klärenden Bemerkungen zu ihrem ursprünglichen
Zusammenhang versehen wurden. Die problemgeschichtlichc
Einleitung übernimmt diese für ein wissenschaftliches
Textbuch wünschenswerte spezielle Orientierung des Lesers
nur in geringen Maßen.

Elsas ordnet die Texte nach folgenden Gesichtspunkten: „A.
Religion - ein Wert?" (85-185: A. Ritschl, W. Herrmann,
P. Natorp, R. Otto, H. Desroche, HL Hubert / M. Mauss, J. G.