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Ausgabe:

1977

Spalte:

291-294

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Härle, Wilfried

Titel/Untertitel:

Sein und Gnade 1977

Rezensent:

Fangmeier, Jürgen

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Seite 1, Seite 2

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Maße nämlich, in dem die Vfn. mit unerbittlicher Akkuratesse
ihre Analyse vorantreibt und ihre Ergebnisse notiert, tritt das
Ambivalent-Poetische und Verhüllt-Offene in diesem Werk um
so visionärer und ungreifbarer hervor. Manchmal will es scheinen
, als ob Gisela Linde bei der Auskultation verborgener theologischer
Töne den Steckschuß im Herzen dieses Dichters übersieht
, der weiterleben mußte, weil er wollte.

Leipzig Kurt Nowak

Biser, Eugen: Der Weg ins Geheimnis. Mensch und Heil nach

Gertrud von lc Fort. Zum 100. Geburtstag der Dichterin

(StZ 101, 1976 S. 651-667).
Böhme. Wolfgaug: „Wehe denen, die getröstet sind". Rilke und

die Religion des Diesseits (ZW 47, 1976 S. 231-236).
Eppelsheimer, Rudolf: Todeserfahrung und Seinsgewinn bei

Rilke (ZW 47, 1976 S. 207-219).
Frey, Eleonore: „Nicht ist die Liebe gelernt". Zur Thematik

der Liebenden bei Rilke (ZW 47, 1976 S. 219-231).
Kohlschmidt, Werner: „Sei allem Abschied voran". Das Motiv

der überholbaren Zeit bei Rilke (ZW 47, 1976 S. 193-206).
Theologie und Literatur (Themenheft Concilium 12, 1976

Heft 5):

Rousseau, Herve: Was vermag die Literatur theologisch zu

leisten? (S. 272-277).
Renard, Jean-Claude: Poesie, Glaube und Theologie (S.

277-289).

Manigne, Jean-Pierre: Der Essay (S. 289—295).

Scannone, Juan Carlos: Volkspoesie und Theologie. Der Beitrag
des „Martin Fierro" zu seiner Theologie der Befreiung
(S. 295-300).

Quelquejeu, Bernhard: Wenn die Schrift in Frage gestellt
wird . .. Einige Fragen an die, die Theologie „schreiben"
(S. 301-307).

Netzer, Klaus: Literarische Lektüre der Bibel (S. 307—311).

Metz, Johann Baptist: Theologie als Biographie. Eine These
und ein Paradigma (S. 311—315).

Aranguren, Jose Luis: Theologie und Theater bei Tirso de
Molina (S. 316-320).

Sellier, Philippe: Theologie und Schreiben: Die „Pensces" von
Pascal (S. 321-325).

Lathouwers, Maria Antonius: Religiöse Themen in der zeitgenössischen
russischen Literatur (S. 326—331).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Härle, Wilfried: Sein und Gnade. Die Ontologie in Karl Barths
Kirchlicher Dogmatik. Berlin—New York: de Gruyter 1975.
X, 428 S. 8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, hrsg. v.
K. Aland, K. G. Kuhn, C. H. Ratschow u. E. Schlink, 27.
Lw. DM 92,-.

Es handelt sich um die überarbeitete Fassung einer Kieler
Habilitationsschrift aus dem Jahre 1973. Hatte sich der Autor
in seiner Dissertation dem frühen Karl Barth gewidmet (W.
Härle, Die Theologie des „frühen" K. Barth in ihrem Verhältnis
zu der Theologie M. Luthers, Diss. Bochum 1969), so gilt
diese Arbeit dem K. Barth der Kirchlichen Dogmatik, der ,On-
tologie in Barths K. D.'.

Vf. geht von der Beobachtung aus, daß Barth den Seinsbegriff
auf Gott, auf Welt und Mensch und auf das Nichtige
anwendet. „Schon diese triviale Beobachtung des Barthschen
Sprachgebrauchs provoziert die Frage nach einer umgreifenden
Ontologie Barths" (S. 7), die Frage, „was dieser Begriff ,Sein'
besagt" (ib.). Vf. ist sich bewußt, daß Barth sich als T h e o 1 o g e
und nicht als Ontologe versteht (S. 2,6); doch kann er
darauf verweisen, daß Barth „spätestens von KD III an — die
Termini ,Ontologie' und ,ontologisch' in einem positiven Sinne
aufnimmt" (S. 3). „Eine der Theologie selbständig vor- oder
nebengeordnete Ontologie ist für ihn schlechterdings inakzeptabel
" (S. lf.), nicht aber die ontologische Implikation der Theologie
. Gegenstand dieser Arbeit ist das Wirklichkeits-Verständnis
der Kirchl. Dogmatik Barths — als Beitrag zur „Verständigung
über seine Theologie im Ganzen" (S. VII) wie zum Problem
einer Fundamentalontologie (S. 328).

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Vf. betrachtet und analysiert Barths Ausführungen über I.
Das Sein Gottes, II. Bund und Schöpfung, III. Das Sein des
Menschen, IV. Analogie und Sein, V. Das Nichtige, um dann
zu einer knappen Gesamtschau und Kritik der Ontologie K.
Barths zu gelangen (VI. Die Ontologie Karl Barths). Als Anhang
ist eine dankenswert vollständige, auch die ausländischen
Arbeiten erfassende Barth-Bibliographie (S. 352—416) und dem
Text selbst ein umfangreicher Apparat beigegeben. Härle arbeitet
exakt. Seine Darstellung ist klar und in gutem Sinn einfach
. In seiner Wachheit des Sehens vermag er zu würdigen
und in Frage zu stellen. Dabei liest sich die Arbeit zunächst im
wesentlichen als Würdigung des theologisch-ontologischen Denkweges
der K. D. Der Leser ahnt lange kaum, daß das alles am
Ende als abgetan daliegen wird. Es spricht dies für Härles Methode
, aber nicht ohne weiteres für den Sinn des Unternehmens
im ganzen.

Vf. läßt den Leser nicht im unklaren darüber, Barths 'hito-
logie müsse „aus seiner Theologie erst herausdestilliert werden",
sie sei „der auf den Seinsbegriff bezogene Aspekt seiner Theologie
" (S. 290). Des näheren: „Ontologische Aussagen sind bei
Barth immer aus der Christusoffenbarung abgeleitete
Aussagen" (S. 88). Das Sein Gottes ist das
Sein des dreieinigen Gottes (S. 289), das geschöpfliche Sein das
„des erwählten, geschaffenen und versöhnten Geschöpfes", das
Sein des Nichtigen essentiell Sein in Gegensatz zu Gott und
zur Kreatur (S. 289f.). Barths Ontologie ist „christologische Ontologie
" (S. 297) oder, wenn man Jesus Christus begrifflich deuten
und umschreiben will: „Ontologie der Gnade"
(S. 299). Darauf deutet der Titel ,Sein und Gnade', Gottes Sein
ist Gnade. Geschöpfliches Sein ist, begnadigtes Sein. Das Sein
des Nichtigen ist gnadenwidriges Sein (S. 309/11). Eine Überwindung
dieser Dreiheit von Identität (Gottes Sein), Entsprechung
(geschöpflichen Sein) und Gegensatz (Sein des Nichtigen
) durch eine dialektische Einheit im Hegelschen Sinn kommt
für Barth nicht in Frage (S.311).

Dieses (nicht voll befriedigende, aber doch nicht abwegige)
Ergebnis bezeichnet für Härle eine Konzeption von Format, der
der Respekt nicht zu versagen sei (S. 314). Der Sturm auf die
Bastille vollzieht sich im wesentlichen erst im letzten Abschnitt
(S. 313/28), eigentlich erst in dessen zweiter Hälfte, wo Vf.
drei Kriterien für (eine gelungene) Ontologie als Grundlagenphilosophie
aufstellt (S. 321f.): Widerspruchsfreiheit, Verifizier-
barkeit, Normativität. (Hierzu im folgenden unter a—c.)

a) Barths Ontologie erfüllt für Härle das Kriterium der Wi-
derapruchsfreiheit nicht, weil insbesondere innerhalb der Barthsehen
Lehre vom Nichtigen (K. D. IIT, 3) Widersprüche vorliegen
: Das Nichtige ist durch Gott / Gott ist nicht der Urheber des
Nichtigen. Und: Die Sünde ist die ontologische Unmöglichkeit
des Menschen / die Sünde ist die (unvermeidliche) Tat jedes
Menschen (S. 323). Vf. sieht diese Widersprüche wohl in der
„Gnade" als ontologischem Prinzip begründet, was ihn aber die
Gnade als ontologisches Prinzip anfechten läßt (S. 323f.).

b) Härle sieht das Kriterium der Verifizierbarkeit ebenfalls
nicht erfüllt, indem sich Barthsche Aussagen wie z. B. das mitmenschliche
„gerne" als ontologischer Tatbesland (K. D. III, 2)
oder die Erledigung und Beseitigung des Nichtigen durch Tod
und Auferstehung Jesu Christi (K. D. III, 3) in der „erfahrbaren
Wirklichkeit" nicht verifizieren lassen (S. 325f.).

e) Hinsichtlich der Normativität, der existentiellen Seite an
der ontologischen Frage, scheine Barths Ontologie stark zu
sein, Gültiges und Verpflichtendes aufzeigend, Geborgenheit und
Sinnhaftigkeit vermittelnd, „durch ihre optimistische Komponente
stimulierend und innovierend" wirkend (S. 326). Indes
auch das für Härle nur scheinbar, indem nach Barth die Wirklichkeit
bloß noch erkannt werden müsse, der Entscheidungscharakter
menschlichen Existierens nahezu bedeutungslos
werde, die Kontingenz von Sünde und Versöhnung entfalle
(S. 326/28). Das entspreche wohl einer Ontologie der
Gnade, empfehle die Gnade aber nicht als ontologisches
Prinzip.

Ich nehme zu diesem dreifachen negativen Urteil kurz
Stellung:

a) Wenn das Nichtige (K. D. III, 3) als ontologische Größe
zu nehmen ist, dann ist sein ,Flackern' ontologisch ernst zu neh-

Theologische Literaturzeitung' 102. Jahrgang 1977 Nr. 4