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Ausgabe:

1977

Spalte:

280-282

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Peter

Titel/Untertitel:

Ferdinand Christian Baur als Symboliker 1977

Rezensent:

Maron, Gottfried

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Theologische Literaturaeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 4

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(204) werden in Auseinandersetzung mit protestantischer Theologie
begründet. Bischofsamt (212), Zwischeninstanzen (225) und
Primat (246) sind in der geschichtlich gewachsenen Zuordnung
zueinander gesehen. Die Eigenschaften der Kirche (279—346)
werden in überkommener Weise vorgestellt. Im Themcnkreis:
,.Die Kirche und die Kirchen" (347—402) zeigt sich die Vielschichtigkeil
der Ansichten Döllingers. Bei aller Polemik und
Auseinandersetzung strebt er eine Anerkennung der Glaubenshaltung
der Kirchen der Reformation an. Der sechste Themenkreis
fragt nach der „Geschichtlichkeit der Kirche" (403—454).
Döllinger hält in all seiner Arbeit daran fest, daß „Gottes Walten
in der Kirchengeschichte'' (405) zu erkennen und Kirchengeschichte
als ein theologisches Fach zu betreiben ist. „Kirche
und Gottesreich" (420) werden beinahe in eins gedacht. „Uberlieferung
und Entwicklung der Lehre" (433) sind mehr als
organisches denn als dialektisches Geschehen erfaßt. Unfehlbar
(455-511) ist die Gesamtkirche (457). Ihr Organ, das ökumenische
Konzil (473), wird in den Auseinandersetzungen um das
Valikanum I immer mehr als Deputierlenversammlung gesehen
, deren Entscheidungen erst in der Annahme durch die Ge-
samlkirchc Autorität gewinnen. Die Unfehlbarkeit des Lehramtes
des Papstes (491) gilt als Meinung. Die Forderung nach
allgemeiner Anerkennung wird entschieden abgelehnt und bekämpft
. Im dritten Teil: „Erwägungen zu Döllingers Kirchenbild
nach dem Valikanum I" (512—538) sucht der Vf. zu erweisen
, daß D. gegen ein „Zerrbild" (525) der Definition von
1870 kämpft. Er meint, wenn I). mehr Zeit gelassen worden
wäre, hatte er nach der Verkündigung des Dogmas durch alle
Bischöfe dieses als Bekenntnis der Gesamtkirche akzeptieren
müssen.

Finsterhölzl gelingt es in dieser umsichtigen Arbeit, in der
systematischen Gliederung den Reichtum der Aussagen und
Vorstellungen Döllingers zu den Themen der Kkklesiologie in
ihrer Vielfalt, in ihrer Zuordnung und in ihrer Spannung zueinander
, ohne zu vereinfachen oder gewaltsam zu glätten, zur
Darstellung zu bringen. In erstaunlich sorgfältiger Kleinarbeit
weist er die Änderungen und den Wandel in der Sicht der
einzelnen Themen von Werk zu Werk nach. Die kritische
Distanz zum Tradilionalismus wächst (68—78). Das Zeugnis
Bellarmins gewinnt mehr Gewicht (108f.). Das Charisma — auch
der charismatische Dienst der Theologie an der öffentlichen Meinung
in der Kirche — wird deutlicher herausgestellt; allerdings
werden kaum Kriterien erfragt (184—189). Die Anerkennung
des Vorrangs der Kirche Roms und das Verständnis für die
geschiehtliehen Ausprägungen der Verfassung und ihrer Institute
wachsen (I48ff., 246ff., 261ff.). Der Dialog mit den Protestanten
wird offener, weun auch in der Frage nach Kirche und Kirchen
kein Ausgleich gefunden wird (291, 40if.). Die Kirche
wird immer in ihrer Geschichtlichkeit gesehen. Jedoch wird nach
1830 von der Organisinusidee der Romantik ber stärker die
Entwicklung und die geschichtliche Aasformung des Glaubens
im Bewußtsein der Kirche herausgestellt (435—454). In der Auseinandersetzung
um das Konzil wird die Wende ab etwa 1860
wieder zurückgenommen. Gegen das Kurialsystem wird Anlehnung
an den Staat gesucht. Der Primat wird nach seinen Grenzen
befragt und von der altkirchlichen Verfassung her kritisch
beleuchtet (270ff.. 484ff.i. Döllingers Denken begibt sieb wieder
in engere Bahnen. Leider hat der Vf. nicht versucht, diesen
Wandel insgesamt zu erfassen und auf seine Motive und Hintergründe
zu befragen. Daneben zeigt Finsterhölzl in eingehender
Kenntnis der Theologie des 19. Jhs. die Abhängigkeit Döllingers
auf. Er beruft sich dabei vor allem auf die Arbeiten
von Geiselmann über Drc> und Möhler. Freilich übernimmt
er auch Gcisehnanns etwas undifferenziertes Reden von Aufklärung
, Klassizismus und Romantik. Ein — wohl aufschlußreicher
— Vergleich mit Kuhn und Staudenmaier unterbleibt
fast ganz. Zum anderen werden manche Vorstellungen von
Drey oder Möhler hergeleitet, die sich — teils früher — anderwärts
finden. Dies ist jedoch nicht dem Vf. anzulasten. Uni
die Strömungen und Gedankenverbindungen in der Theologie
der ersten Hälfte des 19. Jhs. besser zu erfassen, wird die Forschung
mehr als bisher die Theologie des 18. Jhs. beachten
müssen. Von daher könnte sich zeigen, daß Döllinger in seinein
Denken zunächst mehr an französischer (Tradilionalismus) und

an der deutschen Theologie anknüpft, die von der unmittelbaren
Auseinandersetzung mit dem Rationalismus und dein
deutschen Idealismus innerlich kaum berührt wurde. Im Festhalten
an einem unkritischen Vorsehungsglauben, wie er sich
in der Geisleswelt und in der Theologie des 18. Jhs. fiudet,
blieb Döllingers Denken in der Aufnahme der Organismusidee
der späten Romantik das differcnzierlere dialektische Geschichts-
verstfindnis der Tübinger doch fremd.

Diese Grenzen können das Verdienst der Arbeil Finsterhölzls
nicht schmälern. In erstaunlicher Umsicht hat er Döllingers
Sichl der Kirche in ihrem Wandel erfaßt und gezeigt, daß dieser
Kämpfer nicht von seiner Polemik gegen ein „Zerrbild" der
Definition des ersten Vatikanums her ausgelegt werden darf.

Tübiugoii Philipp Schäfer

Friedrich, Peter: Ferdinand Christian Baur als Symboliker.
Göttingen: Vandcnhocck & Ruprecht 1975. 198 S. gr. 8° =
Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des 19. Jh.,
12. Forschungsunternehmen „Neunzehntes Jahrhundert" der
Fritz Thyssen Stiftung. Lw. DM 36, .

Mit dieser von K. G. Steck angeregten und betreuten Dissertation
wird ein deutliches Versäumnis der Forschung nachgeholt
, und dies in zweifacher Hinsicht.

t. In der ausgedehnten Literatur über Ferd. Ehr. Baur ist
dieser bisher fast ausschließlich als Neutestameiiller und (Dogmen
-) Historiker gesehen worden. Vorliegendes Buch stellt aus
gutem Grunde den Syniboliker Baur heraus. Ks zeigt,
wie wichtig gerade dieses Gebiet für die theologische Entwicklung
liaurs gewesen ist und wie starke Impulse gerade von hier
auf seine gesamte theologische Arbeit ausgegangen sind. Die
Symbolik ist so etwas wie Herzstück oder Motor für den Theologen
Baur gewesen. — Nach einem knappen Abriß der Geschichte
der Symbolik bis auf G. J. Planck, dessen Bedeutung
unterstrichen wird (17ff.), wendet sich der Vf. der Entwicklung
Baurs zu. Sie wird verfolgt, ausgehend von der Tübinger Atmosphäre
der Studienjahre Baurs über die Blaubeurer Zeit bis zur
Li beushöhe Mitte der 40er Jahre. Noch in Bluubcurcn einsieht
Baun Erstlingswerk ..Symbolik und Mythologie" 1824/25 ( 4lff.),
das schon deutliche innere Beziehungen zu dem großen Thema
der Symbolik erkennen läßt. Bald nach seiner Berufung nach
Tübingen hält Baur Vorlesungen über Symbolik (bis 1841 hat
er das kontinuierlich getan, 1846/47 konzipiert er seine Vorlesung
neu). Die frühe Vorlesung von 1828/29 (mit späteren
Ergänzungen) ist handschriftlich erhallen; sie wird vom VI teilweise
abgedruckt (58—97) und damit erstmals bekanntgemacht
sowie in ihrer Eigenart charakterisiert (98- 124). Es ist deutlich,
wie stark Baur auf der Suche nach einer einheitlichen „Idee",
nach einem „System" das symbolische Programm Plancks eigenständig
weiterentwickelt hat. Er kommt aufgrund einer dialektischen
Gegensatzlehre zu einer dialektischen Interpretation
def Geschichte. Seine Konzeption zeigt, wie stark sein eigenes
Denken schon vor der näheren Bekanntschaft mit Hegel in
diese Richtung tendierte „und wie weit er die Geschlossenheit
seiner eigenen Konzeption in dieser Beziehung schon vorangetrieben
hatte, ehe er Hegel kennenlernte" (123). Ein erkennbare
-; ..Einschwenken auf Hegeische Denkkategorien" zeichnet
sich deutlich 1833 ab in der ersten Auflage seiner Schrift gegen
J. A. Möhler (146). Der Vf. dürfte mit dieser überzeugend
belegten These recht behalten, daß schon hier Hegclscher Einfluß
klar faßbar ist, nicht erst 1835. Die Anschauung Hegels
bildet für die nächsten Jahrzehnte das Rückgrat seines Denkens
(später lehnt sich Baur starker an Kant an). Seine (optimistische
) Auffassung von der Wiedervereinigung der Konfessionen
ist z. B. nur von dort her zu verstehen.

2. Doch ist das vorliegende Buch nicht nur ein wertvoller
Beilrag zur Baur-Forschung und zur evangelischen Thcologic-
geschichte des 19. Jahrhunderts, sondern auch zum Verhältnis
der Konfessionen im vorigen Jahrhundert. Vf. versucht, einen
Einblick zu geben in die Kontroverse zwischen Baur und Job.
Adam Möhler in den Jahren 1832 -36. Symbolik ist ursprünglich
eine evangelische (ja sogar lutherische) Disziplin gewesen.