Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

276-278

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Gäbler, Ulrich

Titel/Untertitel:

Huldrych Zwingli im 20. Jahrhundert 1977

Rezensent:

Koch, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

275

vollendet'" Werk des Lehrers weiter. Die große historiogra-
phische Belebung in und nach der Zeit des sog. Kulturkampfes
wurde auf katholischer Seite auch durch die Öffnung der vatikanischen
Archive und durch die Bildung einer Reihe von gelehrten
Gesellschaften ausgelöst. Die Görresgesellschaft mit ihren
sehr beachtlichen Aktivitäten mag hier für die anderen genannt
werden. Gerade sie half bei „der Erschließung des römischen
Qucllenmaterials" (S. 18).

Zur Biographie Luthers äußerten sich in dieser Zeit vornehmlich
Deniflc und Grisar, beide primär negativ-kritisch,
Itenifle noch einige Nuancen ablehnender und extremer als
Grisar, so daß sich ihm gegenüber sogar die innerkatholische
Kritik sehr bald rührte. Man wird Jedins Bemerkung zustimmen
können, daß durch Deniflcs groß angelegtes Werk, welches
nach Meinung mancher einer „moralische (n) und wissenschaftliche
(n) Hinrichtung" (S. 22) Luthers gleichkam, ,.der Kampf
um Luther neu entbrannt" (S. 23) war.

Das Ringen um das Verständnis des „Zeitaller(s) der Glaubensspaltung
" (S. 33) hielt an. Als „Leitstern bei dieser Arbeit"
nennt Jcdin 1931 für die Zukunft „das paulinische: Wahrsein
in Liebe!' (S. 38).

Bäumer untergliedert — dem faktischen gegenwärtigen Arbeitsstand
entsprechend — viel mehr als Jedin. Die Skala seines
Berichtes reicht von der Beurteilung der Vorreformation bis zum
l'dilionsunternehmen des „Corpus Catholicorum". Audi wenn
seine Akzente hier nicht ausführlich referiert werden und seine
Einschätzungen und Kritiken schon gar nicht mit einer Metakritik
bedacht werden können, so sollen doch zumindest die
Themen genannt sein, denen man sich katholischerseits zugewandt
hatte und hat und innerhalb deren erhebliche Modiiikationen
alter Bilder zutage getreten sind: Gesamtdarstellung
der Ueformationsgeschichte, die Päpste und die Glaubensspaltung
, Karl V. und die Beformation, das katholische Lutherbild,
die Erforschung der Theologie Luthers, die Veröffentlichung der
05 Thesen, Calvin und Zwiugli in katholischer Sicht, die Zeitaller
Katholischer Reform und Gegenreformation, die katholische
Koniroverstheologie des 10. Jahrhunderts, Ignatius und die Gesellschaft
Jesu, Konfessionsbildung und Religionsgespräche, das
Tridcntinum, die Nuntiat! rberirhte und die Geschichte de^
Staatssekretariats.

Die erstaunlich große Zahl katholischer Forscher, die sich fast
der ganzen Breite reformationsgesebichtlicher Arbeit zuwenden,
ist symptomatisch dafür, welche Verständnisbemühung hier eingesetzt
hat Epochemachend wurde das zweihändige reforma-
lionsgeschichtliche Werk von Joseph Lortz, das seit 1939 seine
Wirkungen hat. Die Aussagetrends Denifles und (Irisars sind
dem Anliegen gewichen, „einer Wiedervereinigung der Kirche
Christi den Weg zu bereiten" (S. 67). Im ..Handbuch der Kirchengeschichte
" haben Hubert Jedin und Erwin Iscrloh diesem
Gedanken weiter Raum gegeben trotz mancher Einzelkritik
an Ergebnissen evangelischer Historiker. Jedins Lebenswerk
, das unlöslich mit der (aus neu erschlossenen Archiven
gespeisten) Geschichtsschreibung über das Trienter Konzil verbunden
ist, mag zeichenhaft dafür stehen, daß das 16. Jahrhundert
gerade im Blick auf den geteilten Weg der Christen hei l
ausgedehnte Weiteraufhellung erfährt. Dabei ist das stark veränderte
Lutherbild von ganz besonderem Gewicht. Wenn Luthers
Reohtfertigungslehre evangelischerseits als zentral erkannl
und katholicherseits eine Verständigung in der Rechtfertigungslehre
als faktisch vorhanden bezeichnet worden ist (S. 93), dann
wird es künftig um die Präzisierung der Frage zu gehen haben,
wo die verbliebenen kirchenlrcnnenden Faktoren zu suchen
sind.

Was katholischer Forschung als Aufgabe bleibt, ist in vielen
Punkten von den Desideraten evangelischer Fragerichtung nicht
weit entfernt: Voraussetzungen der Beformation, Lutherbiographic
(S. 154), Unionsverhandlungen des 16. .Ihs., Einführung
und Ausbreitung der Reformation, Konfessionsbildung. Einige
offene Themen auf der beeindruckend großen Landkarte katholischer
Forschungsarbeit dürfen vielleicht — trotz der verdienstvollen
Studien Pollets und Ganoczys — doch noch hinzugefügt
werden: Das Zwingli- und Calvinverständnis scheint bisher
nicht kräftig genug ausgeformt zu sein. Ähnliches mag nußer-

276

dein für die Profilierung von Reformatoren der zweiten Garnitur
und des linken Flügels der Reformation zutreffen.

Viele Historiker werden die dargebotene Summierung der
l'orschungsaktivitäten eines ganzen Jahrhunderts als sehr hilfreich
begrüßen. Deshalb sei für den kleinen Band herzlich
gedankt.

Berlin Joachim RogBr.

Gabler, Ulrich: Huldrych Zwiugli im 20. Jahrhundert. For-
schungsbericht und annotierte Bibliographie 1897—1972. Zürich
: Theologischer Verlag [1975]. 473 S. gr. 8°. Lw. sfr. 96,—.

Dieses große Werk, eine Zürcher Habilitationsschrift, umfaßt
zwei Teile: i. Bericht über die Zwingliforschung im
20. Jahrhundert (S. 11—102), 2. Beschreibendes Verzeichnis der
Literatur von und über Huldrych Zwingli, 1897—1972 (S.
103—473). Was der 2. Teil in Form einer kommentierten Liste
bringt, ist in Teil 1 systematisch aufgeschlüsselt, gesichtot und
zusammengefaßt.

Teil 1 bietet eine „kritische Aufarbeitung der Literatur", nennt
„solche Veröffentlichungen. . ., die eine besondere prägende
Wirkung gehabt haben oder heute noch von wesentlichem wissenschaftlichem
Wert sind" (S. 7), und bietet vier Abschnitte:
Bibliographisches, Texte und Übersetzungen, Biographisches und
als umfangreichsten Teil (S. 39—100) Theologie. Dieser letzte
Teil ist nochmals nach den Problemen von Zwingiis theologischer
Entwicklung und Aspekten von Zwingiis Theologie aufgegliedert
.

G. stellt fest, daß die bibliographische Erschließung Zwingiis
im 20. Jahrhundert nicht auf derselben Höhe steht wie die
Luthers, und will diese Lücke durch den 2. Teil seines Buches
fidlen. Was die in der Abschlußphase sich befindende kritische
Zwingliausgube betrifft, notiert G. seinen Wunsch, zur Erleichterung
der Zitatenverifikation die Seitenangaben von Schuler-
Schultheß zu vermerken und im noch ausstehenden Band XII
die 27 bisher bekannten Widmungseintragungen mit aufzunehmen
. Die Stellungnahme zi.r Frage nach der Aufnahme der
Korrespondenz der Zürcher Geheimen Bäte 1527 — 1531 ist natürlich
vom Urteil darüber abhängig, wie groß Zwingli« Einfluß
in diesen Gremien gewesen ist. Interessant ist die Mitteilung
(S. '26 Arim. 50), daß die kritische Ausgabe zu Beginn nur
306 Subskribenten hatte und daß die Zahl der Abnehmer bis
heute kaum gestiegen sein dürfte.

In der Mitte des Abschnitts über die Biographien steht naturgemäß
die Beschäftigung mit der Bedeutung W. Köhlers für
die Zwingliforschung. Gleichzeitig werden anstehende Forschungsprobleme
notiert.

Im Abschnitt über Zwingiis theologische Entwicklung hat G.
die Zwinglitexle, die Selbstzeugnisse über seine Entwicklung
enthalten, besonders zusammengestellt und kurz erläutert (S.
41 — 4'») und immer wieder markiert, wo sich in der bisherigen
Forschung Lücken auflun. Interessant ist, daß die Zwingliforschung
offenbar an der Unklarheit in der Lutherforschung
über das, was nun eigentlich reformatorisch ist, partizipiert zu
haben scheint.

Guter den Aspekten von Zwingiis Theologie, deren Erforschung
G. darstellt, nehmen die Themen Wort und Geist und
Sakramentslehre den breitesten Baum ein. Ferner sind dargestellt
die Erforschung der Gotteslehre, der Christologie, der
Anthropologie, der Soziallehrc und Gesamtdarstellungen von
Zwingiis Theologie. Die Darstellung der Haupllinien der Forschung
ist straff gestaltet, eigene Urteile sind differenziert und
umsichtig begründet. Auf Beiträge G.s, die die weitere Forschung
anregen können (etwa S. 411., S. 51 f. Anra. 71, S. 67f.
Anm. 38), ist gesondert hinzuweisen. G. stellt für Zwingli fest
„Den Angelpunkt der Theologie hat man noch nicht gefunden"
(S. 99) und regt an, an die Analyse einzelner Schriften Zwing
Iis heranzugehen. Am vordringlichsten sei nach wie vor die Erhöhung
von Zwingiis Entwicklungsgang, damit man von daher
die Eigenart seiner Theologie und ihre Wirkungsgeschichte
plastischer herausarbeiten könnte.

Dieser erste Teil des Buches ist mit einem Aulorenregister

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 4