Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

271-273

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Poverty in the middle ages 1977

Rezensent:

Wendelborn, Gert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

271

Theologisohe Litern tu rzei tu ng 102. .(ahrgang 1077 Nr. 4

ITl

der Falscherhyphothcse des Niederlanden Albert Pigge (1490
Iiis 1542), der annahm, dal! das Anathem über Honnrius in die
Konzilsakten hineingeschmuggelt worden sei, eine neue Nole
hinein. Diese Hypothese hat sieh, von Caesar Baronius und anderen
ausgebaut, ganz zu Unrecht bis in unser Jahrhundert
hinein gehalten. Viele Theologen bezeichneten Honorins zwar
als orthodox, erkannten jedoch seine Verurteilung, mit der seine
nachlässige Haltung im damaligen Glaubensstreit getadelt worden
sei, an. Demgegenüber hebt K. mit Hecht hervor, daß Ho-
norius auf dem 6. ökumenischen Konzil (= Constantinopoli-
tanum III) in aller Form verurteilt worden sei, weil er nach
den Vorstellungen der Konzilsväter Häretiker war (S. 229).

Die gründliche und wcitausholendc Arbeit ist im ganzen
überzeugend. Einige Bedenken wären hiusichtlich peripherer
Fragen anzumelden. So kann man nicht global sagen, daß
I lerakleios die diokletiani<cfa-kons tan tinische Diözesani erfas-
sung durch die Themonvcrfassung (deren Ansatzpunkte noch
strittig sind) ersetzt habe (S. 7). — Die Fragen der griechischen
Bildung im Westen sind vor allem durch H. 1. Marrou und
P. Riehe mit neuen Anstoßen versehen worden; doch bleibt hier
noch vieles offen (zu S. 30, Anm. 120). Da Fakten wie die
angelsächsische Mission und der spanische Briefwechsel des Ho-
norius — iu dem der l'apst sich interessanterweise dem iberischen
Klerus gegenüber auch gewisse Blößen gegeben hatte, auf
die Braulio von Saragossa gereizt reagierte — Erwähnung finden
, hätte sieh zumindest auch ein Hinweis auf die damaligen
Beziehungen der Kurie zu den Langobarden, als der politisch
wesentlichen Polenz in Italien, angeboten.

Halle/Saala Han8-Joachim Diesner

Flood, David [Ed.]: Poverly in rite Middle Ages. Werl/Wi stf.:
Dietrich-Coelde-Verlag 1975. 105 S. gr. 8° = Franziskanische
Forschung, hrsg. v. P. V. Heynck u. P. J. Kaup, 27. DM 28,-.

Mit zwei Ausnahmen sind in diesem zwar nicht dickleibigen,
aber dafür um so aussagekräftigeren Bund die auf einer wissenschaftlichen
Tagung im Franziskauerkloster Mönchengladbach
im April 1973 gehaltenen Referate zum rechten Verständnis
des mittelalterlichen Armulsideals abgedruckt. Herausgeber
ist der englische Franziskanerforscher David Flood, einer der
bedeutendsten Schüler Kajetan Eßers. Der broschierte Band ist
zwar im führenden Verlag für rninoritische Literatur der BRD
erschienen, doch ist offenbar vor allem an englische Leser gedacht
, denn das Vorwort Floods ist im Unterschied zu seinem
deutschsprachigen Tagungsbeitrag in englischer Sprache abgefaßt
, und den französischen und deutsehen Vortragen lind kurze
englische Zusammenfassungen beigefügt. Flood nennt in seinem
Vorwort die Dialektik materieller und geistlicher Armut eines
der Kardinalprobleme des MA. Positiv berührt an sämtlichen
Beiträgen, daß sie den Zusammenhang gesellschaftlicher Veränderungen
vom 11.—14. Jh. mit dem Aufkommen der Armutsbewegungen
aufzeigen, letztere also nicht allein aus gmtlichen
Motiven deuten. Dabei grenzt Flood sich auch von Herbert
Grundmann, dem Altmeister der Erforschung der religiös-
•iozinlen Bewegungen im deutschen Sprachraum, ab.

Lester K. Little wendet sich diesem Problemkreis im Detail
zu. Er beschreibt zunächst den Wandel von der überkommenen
Feudalherrschaft zur Errichtung der Fundamente der „vorindu-
striellen Gesellschaft" in Italien mit der durch ihn bedingten
Zunahme der Bevölkerung, dem Wachstum der Städte, der Entwicklung
der Textilindustrie und des Handels und der Einführung
der Geldwirtschaft. Er weist nach, daß entgegen der
Meinung früherer Gelehrter das flache Land von diesen Veränderungen
miterfaßt wurde, indem neue landwirtschaftliche
Methoden eingeführt wurden und das Geld auch hier seine
Bolle, wenn auch nicht so aufdringlich wie in den Städten, zu
spielen begann. Little versteht die „evangelische" Bewegung von
den italienischen Eremiten des II. Jhs. bis ZU den ursprünglichen
Bettelmönchen richtig von ihren bedeutsamen Gemeinsamkeiten
her, ohne ihre Differenzpunkte zu verkennen. Er
zeigt den Zusammenhang des Aufkommens dieser Strömungen
mit der Krise des Monchtuins und führt den Nachweis, daß die

Kurie, die anfänglich kaum Einfluß auf diese Bewegungen halte,
diese zur Anpassung der Kirche an die veränderten ökonomischen
und sozialen Gegebenheiten nutzte; dies mußte aber mit
einem hohen Preis erkauft werden, wie die massive Gewaltanwendung
gegen alle nicht Integrntinuswilligcii beweise. Dabei
[nacht Little auch auf die fließende Grenze zwischen Häresie
und apostolischem Lehen aufmerksam. In der 2. Hälfte des
11. Jhs., als das Beformpapslluni seine Wirksamkeit entfaltete,
habe es kaum Ketzereien gegeben, doch entfalteten sieh diese
von neuem, als das Papsttum im Zeitraum 1130 -98 nicht mehr
zu neuen Formen der Spiritualität ermutigte.

Jean-Marc Bienvcnu weist auf wichtige Gemeinsamkeiten
zwischen den westfranzösischen Wanderpredigern um 1100 und
der Ursprünglichen franziskanischen Bruderschaft hin und ist
um den Nachweis bemüht, daß dem Aufkommen beider ßich-
tungen eine allgemeine Krise des gesellschaftlichen und kirchlichen
Lehens im betreffenden Gebiet zugrunde lag. Im Falle
Roberts von Arbrissel beschreibt er aus intimer Kenntnis des
Gegenstandes den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung im
Anjou unter dem unfähigen Herrscher Foulque IV. Er sieht im
frühen Fontevrault geradezu eine Präfiguration der ersten mino-
ritischen Niederlassung am Rivo Torlo bei Assisi, bemerkt in
beiden Fällen aber auch eine schnelle Umwandlung der Gemeinschaft
nach mönchischem Modell. Findrucksvoll ist seine
Liste der Gemeinsamkeiten, wenn es auch geboten scheint, das
Proprium der jeweiligen Strömung darüber nicht zu übersehen.
So wäre zu fragen, ob bei den Wanderpredigerri eremitisches
Laban und Wanderpredift so sehr wie bei Franz als Sach-
dialekt verstandet! oder nicht mehr als unterschiedliche Stadien
ihres neuen Weges zu begreifen sind.

Michel Mollat entwirft ein eindrucksvolles Bild der vielgestaltigen
karitativen Unternehmungen am Anfang des 13. Jhs.
und macht deren Anwachsen als Versuch der Bewältigung der
durch den gesellschaftlichen Wandlungsprozeß verstärkten Polarisierung
zwischen arm und reich in seiner nunmehr früh-
bürgerlichen Spezifik verständlieh, linier gründlicher Auswertung
des Kp. 29 der „Historia occidentalis" des Jakob von Vitry
versteht es Mollat, die Werke dienender Fürsorge nach den
Empfängern — Anne, Hungrige, Kranke, Leprosen, Alte, Kinder
, Pilger bzw. Beisende — wie nach den Spendern — einzelne
Mönchskonvente, alle und neue Orden, Kanoniker, Bischöfe,
Päpste, Adlige und Bürger — aufzuschlüsseln. Er beweist, daß
die Hilfe für die Bedürftigsten, die lange Zeil fast ausschließlich
in den Händen mönchischer Gruppen lag, mit der Entwicklung
der Städte zunehmend durch individuelle und kollektive Formen
der Laienhilfe ergänzt oder gar abgelöst wurde, zumal
manche Stadtverwaltungen schon seit Ende des 12. Jhs. die
Kontrolle über die Caritas innerhalb ihrer Mauern auszuüben
suchten. Erschütternd isl das von ihm aufgezeigte Ausmaß von
Hunger, Verelendung, Entwurzelung und Verbrechen gerade um
1200. Am Beispiel Foulefues von Neuilly veranschaulicht Mollat
den Kampf der Wanderprediger für die Armen.

Brenda M. Böllen beschäftigt sich eingehend mit dem Ar-
mutsVerständnis der Humiliaten. Sie stellt eingangs die kirchliche
Befriedung ihres 1. und '!. Ordens durch Innozenz III. dar
und beschäftigt sieh im folgenden mit dem soziologischen Hintergrund
der Terliarierbeweguug der Humiliaten. Dabei ist sie
um den Nachweis bemüht, daß die in der Textilproduktton
beschäftigten Vertreter des 3. Ordens der Humiliaten nicht aus
den plebejischen, sondern aus den oberen Volksschichten stammten
, ihre Arbeil also als Akt bewußter Selbstdemütigung und
Solidarisierung mit den widerwillig Armen zur überbrückung
der Klassengegensätze auffaßten. Sie weiß für ihre Sicht, die
den Standpunkt Grundmanns zu erhärten sucht, einige starke
Gründe anzuführen, doch wird die Frage weiter zu ventilierer
sein. Sie selbst macht darauf aufmerksam, daß niedere Adlig«-
in solchen kleinen Gemeinschaften leichter eine führende Bolle
spielen konnten als in der offiziellen (lesellschaft. Innozenz
habe auf diese Weise die Laien well Spiritualisieren wollen, da
der säkulare Klerus weithin versagt hatte.

Kajetan F.ßer beschäftigt, sielt tiefgründig und überzeugend
mit der Armutsauffassiing des Franziskus. Seinem Hinweis
darauf, daß die äußere Armut für Franz nur „die äußere Ver-