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Ausgabe:

1977

Spalte:

264-267

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Derrett, John Duncan M.

Titel/Untertitel:

Jesus's audience 1977

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzcilung 102. Jahrgang 1977 Nr. 4

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Vorstellungen auf ihren traditionellen Sinn hin (vgl. W. G.
Kümmel, ebd.) so geht der Vf. des vorliegenden Komineulars
nun freilich gerade in dieser Hinsicht seinen eigenen Weg, nicht
zuletzt übrigens auch in der Hinsicht, daß in seinem Kommentar
die kritische Auseinandersetzung mit der Literatur zur Apk
weitgehend zurücktritt (lediglich auf einige wenige Aufsätze
sowie auf die Kommentare von W. Bousset und E. Lohmeyer
wird gelegentlich verwiesen).

Ausgangspunkt und kritischer Maßstab für seine Auslegung
der Apk sind Selbstverständnis und Anspruch des „Propheten"
Johannes. Gewinnt Johannes „seine Erwartungen... in ganz
überwiegendem Maße aus den Weissagungen der alttestament-
lichen Propheten, die er aktualisiert und auf seine eigenen Vorstellungen
von der Endgeschichte anwendet" (S. 12), so bedeutet
dies — wie u. a. auch die ihm eigentümliche Sprache, zeigt
(S. 15—17) — für sein Selbstverständnis, daß er sich als „Fortsetzer
und abschließender Ausleger der alttestarnentlichen Pro-
phetie" versteht (S. 16; vgl. in diesem Sinne bereits S. 9 sowie
S. 20. 104. 226 u. ö.). Solche Feststellung zum Selbst Verständnis
des Johannes hat nun für die vorliegende Auslegung zur Konsequenz
, daß als einzige wesentliche Quelle, die bei der Auslege
ng zu berücksichtigen ist, das Alte Testament in Betracht
kommt. Ganz in Entsprechung zum Selbstverständnis des Verfassers
der Apk stellt also das Alte Testament (und hier insbesondere
die prophetischen Bücher) den „hermeneutischen Kanon"
für eine sachgemäße Auslegung der Apk dar. Von daher ist
dann bereits verständlich, daß der Vf. des vorliegenden Kommentars
sich allen religionsgeschiclitlichen Fragestellungen gegenüber
höchst kritisch und zurückhaltend verhält. Im einzelnen
gilt dies im Blick auf mögliche Einwirkungen von Märchen
- und Sagenmotiven (S. 106f. 218.254), von Motiven aus
dem Bereich der Mysterienreligion (S. 62. 83. 86f.) und aus der
Gnosis (S. 173; vgl. aber S. 76. 183f.) sowie im Blick auf die
Möglichkeit einer „astralmythischen" Auslegung der Apk (S.
118. 164. 256. 271f.); vor allem aber hat solche Grundkonzeption
zur Folge, daß eine durchgängige Berücksichtigung der
apokalyptischen Literatur des Judentums als für eine sachgemäße
Auslegung der Apk unwesentlich betrachtet wird. Zwar
wird keineswegs die Teilhabe der Apk an den „apokalyptischen"
Vorstellungen und Erwartungen ihrer Zeit bestritten; und bei
der Auslegung wird von Fall zu Fall auch auf die vergleichbaren
Uberlieferungen in den jüdischen Apokalypsen hingewiesen
(so z. B. S. 131. 137. 159. u. ö.). Aufs Ganze gesehen kommt
jedoch das Phänomen der „Apokalyptik" als solches kaum in
den Blick, selbst wenn des öfteren von „apokalyptischen Erwartungen
" und Traditionen (S. 12. 148. 222), von „Denkweisen
der Apokalyptik" (S. 59), von einem „üblichen Schema der
Apokalyptik" (S. 191), ja sogar von einem „Prinzip der Apokalyptik
" (S. 140) gesprochen wird. Entscheidend und im eigentlichen
Sinne grundlegend für das Verständnis der Apk
bleibt der unmittelbare Rückbezug auf das Alte Testament, wobei
dann gerade auch bei der Einzelauslegung durchgängig nach
dem bereits zu Beginn formulierten Grundsatz verfahren wird:
„Wir können generell sagen, daß wir die Stellen nicht ausgelegt
haben, in denen es uns nicht gelungen ist, die alttestament-
liche Quelle für die apokalyptische Weissagung nachzuweisen"
(S. 16). Solch weitgehender Verzicht auf eine eingehendere Berücksichtigung
der der Apk gleichzeitigen jüdischen Apokalyptik
ist offensichtlich begründet in einem bestimmten Verständnis
des Verhältnisses zwischen „Prophetie" und „Apokalyptik".
Wird nämlich „Prophetie" verstanden als „eine auf die Escha-
lologie hin orientierte Größe" (S. 145), so folgt daraus, „daß
sich in der Zeit der Apokalyptik eine wirkliche Grenze zwischen
Apokalyptik und Prophetie nicht angeben läßt" (ebd.), wobei
dann auch hier wiederum das Selbstverständnis der Apokalyptik
geltend gemacht wird: „Wenn die Apokalyptik sich als legitime
Fortsetzung der Prophetie verstand, dann haben wir auch
Grund, dieses ihr Selbstverständnis zu akzeptieren" (ebd.). Was
speziell für die Apk gilt, gilt dann auch für die urchristliche
Apokalyptik insgesamt: Auch hier wird — sofern bei der Einzelauslegung
auf entsprechende Überlieferungen im übrigen
Neuen Testament verwiesen wird (S. 133f.137f.180f. u. ö.) -
jeweils der unmittelbare. Zusammenhang zwischen der „prophetischen
Geschichtsbetrachtung und Geschichtsdeutung" und
der urchristlichen Apokalyptik betont (S. 120f.). Der Apk wie
der gemeinurchristlichen Apokalyptik ist das „prophetische Erbe
" gemeinsam (so S. 113 zu Apk 5,9f. und Röm 8,30 bzw.
8,32—34). Im übrigen — worauf hier nur am Rande hingewiesen
sei — wird die Apk durchaus in den Zusammenhang der ur-
chrisllichen Tradilionsgeschichte gestellt, so z. B. im Blick auf
bestimmte paränelische Traditionen (S. 278f. zu Apk 22,11)
sowie im Blick auf die „Ketzerpolemik" (S. 279f. zu Apk 22,15),
während auf der anderen Seite die Frage einer unmittelbaren
Aufnahme liturgischen Tradilionsgutes in der Apk im wesentlichen
skeptisch betrachtet wird (S. 37 und bes. S. 102: Dem
Selbstverständnis des Propheten Johannes entspreche die „Freiheit
von agendarischen Bindungen"! Vgl. auch S. 243. 281).

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich: Mit der konsequenten
Durchführung seines hermeneutischen Ansatzes — das Alte
Testament als „Auslegungskanon" der Apk — hat der Vf. eine
beeindruckende und in vielerlei Hinsicht auch überzeugende
Geschlossenheit seiner Auslegung der Apk erreicht. Die Fruchtbarkeit
seines Verfahrens steht außer Frage und wird im einzelnen
auch durch die Exkurse zu speziellen Auslegungspro-
blcinen demonstriert (vgl. z. B. S. 23ff. den Exkurs zum Verständnis
von rnartys sowie S. 107ff. zur Christusprädikation
„Lamm"). Gleichwohl bleiben Fragen offen, und dies nicht nur
im Hinblick auf die Auslegung dieser oder jener Stelle der
Apk, sondern vor allem im Hinblick auf den hermeneutischen
Ansatz: Die weitgehende Ausklammerung der „intertestamenlal
period", wie sie für den vorliegenden Kommentar charakteristisch
ist, signalisier! ja doch keineswegs nur ein formales
Problem (hinsichtlich der Auswahl unter den möglichen religionsgeschiclitlichen
Bezügen), sondern eben zugleich das hermeneu
tische Grundproblem. Gewiß versteht sich der Prophet
Johannes als „Fort*etzer und abschließender Ausleger der alt-
testamentlichen Prophetie" (S. 16) und begründet letztlich von
daher seinen Anspruch als „Prophet". Für ihn besteht in der
Tat ein „unmittelbarer Zusammenhang zwischen alltestaraent-
licher und christlicher Prophetie" (S. 20). Auf der anderen Seite
jedoch zeigt die Existenz einer Apokalyptik außer und neben
Johannes an, daß tatsächlich jener Zusammenhang zwischen
alltestamentlicher und christlicher Prophetie keineswegs ein
„unmittelbarer", sondern ein vermittelter und somit zugleich
ein gebrochener Zusammenhang gewesen ist, vermittelt nämlich
dtreh die dem Propheten Johannes gleichzeitige jüdische (und
lirchristliche) Apokalyptik, gebrochen u. a. durch gewisse dualistische
Tendenzen in der zeitgenössischen Apokalyptik (vgl.
zum Problem: S. 175f. 186). Von hier aus gesehen wäre c«
dann freilich nicht mehr möglich, den Nachweis der „alttesta-
mentlicho(n) Quelle für die apokalyptische Weissagung" in
jedem Falle als Kriterium für die Sachgemäßheit der Auslegung
zu betrachten (S. 16). Und von hier aus gesehen wäre dann
wohl auch im Hinblick auf das Selbstverständnis der Apokalyptik
, „legitime Fortsetzung der Prophetie" zu sein (S. 145),
kritisch zu differenzieren. Alles in allem: Das Selbstverständnis
des Propheten Johannes (wie auch das Sclbstverständnis der
Apokalyptik insgesamt) kann wohl als Ausgangspunkt für eine
Auslegung der Apk in Betracht gezogen werden, kann aber
nicht absolutes Kriterium für die Sachgemäßheit unserer Interpretation
dieses Buches sein. In dieser Hinsicht vor allem ist im
Blick auf den vorliegenden Kommentar zur Apk ein grundsätzliches
(und deshalb auch in der Methode sich auswirkendes)
Defizit festzustellen, ein Defizit, das seinerseits ganz offensichtlich
iu einem bestimmten Verständnis des Verhältnisses zwischen
„Prophetie" und „Apokalyptik" begründet ist. Zu dieser
Grundsatzfrage dürfte aber weder durch diesen — im übrigen
höchst schätzenswerten — Kommentar noch auch freilich durch
diese Bezension das letzte Wort gesprochen sein.

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Denett, J. Duncan M.: Jesus's Audicnce. The Social and Psycho-
logical Environment in which He Worked. Prolegomena lo a
Restatement of the Teaching of Jesus. With a Foreword by