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Ausgabe:

1977

Spalte:

256-259

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Literatur und Religion des Frühjudentums 1977

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 4

256

Damit wird neben der negativen, anli-deuleronomistischen
Zielsetzung eine positive, allerdings mehr im Verborgenen sich
haltende sichtbar: die Prosareden so eng wie möglich an das
genuin jcremiatiische Material heranzurücken, bis zu guter Letzt
nur mehr der Prophet selbst als Verfasser in Frage kommt. Diese
Tendenz zeigt sich im zweiten, sprachanalytischen Hauplleil des
Ruches an den ständigen Versuchen, einen von dem deutcrono-
mistischen unabhängigen, spezifisch „jeremianischen" Sprachgebrauch
in den Prosareden nachzuweisen. Wer damit rechnet,
daß es Verschiedeue Ausprägungen von Deuteronomismus gibt,
darunter einen spezifisch jeremianisch beeinflußten, den wird es
nicht verwundern, wenn solche Versuche des öfteren gelingen;
nur die — mitunter auffallend apodiktisch formulierte —
Schlußfolgerung, daß nun der Deuteronomismus-„Vcrdacht"
(! S. 228) ausgeräumt sei, wird er nicht mitvollziehen. Und
vollends bei so eindeutig deuteronomistischen Wendungen wie
„Jahwes Knechte, die Propheten" (S. 129ff.), „hinler anderen
Göttern herlaufen" (S. 215ff.) und „(Jahwe) reizen" (kcs Hif.,
S. 222ff.) wirken die Argumente für einen typischen Gebrauch
in den jeremianischen Prosareden doch sehr bemüht.

Von solchen Einwänden unberührt bleibt das Verdienst der
Verfasserin, zu einer Reihe wichtiger Formeln und Begriffe das
Material zusammengestellt und, zuweilen in übersichtlichen Tabellen
, sachgerecht geordnet zu haben. Dies um so mehr, als sie
sich bewußt nicht auf bloße, den jeweiligen Kontext außer acht
lassende Vokabelslatistiken beschränkt. Wie fruchtbar dieser Ansatz
zu sein vermag, führt schön die motivgeschichtlich untermauerte
Analyse der Trias „Schwert—Hunger—Pest" vor Augen
(S. 149—191). Wer allerdings nur vom Inhaltsverzeichnis ausgeht
, ahnt nicht, daß in eben diesem Abschnitt auch über die
Formelkreise „Leichen als Fraß für die Vögel des Himmels und
das Getier des Feldes" (S. 184—186) und „zum Gegenstand des
Erschreckens, Entsetzens, des Spottes, Fluches, Hohnes machen"
(S. 186—190) gehandelt wird; hierfür und für vieles andere
vermißt man schmerzlich ein hebräisches Wortregister.

Helga Weipperls Bi ch ist im Grunde erstaunlich konservativ.
Ein großer Bereich von Texten, die lange Zeit weithin als nacli-
jereinianisch gegolteu haben, soll wieder unmittelbar mit der
Person des Propheten verknüpft werden. Damit gingen indes
entscheidende traditions- und literaturgeschichtliche Perspektiven
verloren, die bisher noch gar nicht voll ausgeleuchtet sind: der
Widerhall auf Jeremias Verkündigung, ihre Nachklänge, ihre
Aufnahme, Erweiterung, Umgestaltung und — Einebnung:
all das spiegelt sich wohl am reichhaltigsten in den Prosaroden
. Die Vfn. betont in der Einleitung und im Sohh.ßteil
ihres Buches, ihr Ziel sei die Destruktion vorhandener, nicht die
Konstruktion neuer Hypothesen über die Entstehung des Jere-
miabuches (S. 25.234). Es ist zu fürchten, daß von ihren Prämissen
her solche Hypothesen über den Weg vom Propheten-
wort zum Prophelenbuch auch nur schwer aufzustellen und zu
begründen wären. So flächig hier die Jeremia-Uberlieferung
zu werden droht — Sprüche und Reden des Propheten hier und
Erzählungen über ihn da —, so flächig wird auch das Phänomen
des Deuteronomismus gesehen. Als deuterononiislisch gilt im
wesentlichen, was M. Nolh zwischen Dt und 2 Kön als redaktionell
ausgegrenzt hat. Daß schon in der Redaktion der Geschichtsbücher
und erst recht zu den entsprechenden Textebenen
des Deuteronomiums und der in Betracht kommenden
Prophetenbücher mit Differenzierungen, Abwandlungen und
gegenseitigen Beeinflussungen zu rechnen ist, wird nicht genügend
bedacht. So kann nach Weippert ein Text oder eine
Formel im Jeremiabuch nur dann als denteronomistisch angesprochen
werden, wenn sich ganz genaue Parallelen in Dt bis 2
Kön nachweisen lassen. Die verschiedenen Glieder des deuteronomistischen
Kreises sind jedoch weniger durch literarische
Abhängigkeit als durch geistige Verwandtschaft miteinander
verbunden. Die von der Vfn. aufgestellte Alternative zwischen
,.prophetische(r) Tradition" und „Geschichtsüberliefcrung'" (S. 76)
ist im Deuleronomismus gerade aufgehoben, und zwar nach
beiden Seiten hin. So bleibt aveh nach II. Weipperls in vielem
so gründlicher und zu größerer Klarheit verhelfender Arbeit an
den Prosareden des Jeremiabuchcs noch manches zu tun.

Pawel (Kr. Einbeck) Wnller DUM

Wolff, Hans Walter: Jonah — the messenger who grumbled
(Currents in theology and mission 3, 1976 S. 141—150).

JUDAICA

Maier, Johann, u. Josef Schreiner [Hrsg.] : Lilcratur und Religion
des Frühjudentums. Eine Einführung. Würzburg: Echter
Verlag; Gütersloh: Verlagshaus Gerd Mohn [19731. X, 470 S.
gr. 8°. Lw. DM 84,-.

Den Herausgebern ist es gelungen, eine Reihe von Mitarbeitern
zu gewinnen, die über den jeweils von ihnen behandelten
Bereich bereits speziell gearbeitet haben. 15 Autoren stellen die
Religion des Friihjudenlums im Spiegel seiner Literatur dar, in
die der Leser in einem besonderen Teil eingeführt wird (durch
diese Thematik unterscheidet sich das Werk z. B. von den als
Zeitgeschichte betitelten bzw. angelegten). „Frühjudentum" meint
konkret etwa die Epoche von 200 vor bis 70 nach Chr. (so
ausdrücklich 414.432), ohne daß die damit bezeichneten Grenzen
immer eingehalten werden können.

In Teil I: „Der religions- und literaturgeschichtliche Ort des
Frühjudentums-' (1—105) werden vor allem Verbindungslinien
zum Alten Testament gezogen. ,T. Maier skizziert in Kap. J,
„Kontinuität und Neuanfang" (1 — 18), zunächst einleitend die
Geschichte des palästinischen Frühjudentums überhaupt (2—10;
Tcildarstellungen dazu ergeben sich weiter in XII [204—209];
XV [274—282] und skizziert dann Kontinuum und Wandel
in den religiösen Grundvorstellungen (11—18). In Kap. II, „Interpretation
innerhalb der schriftlichen Uberlieferung" (19—30),
zeigt .1. Schreiner, wie vorliegende Überlieferung bereits inner
halb des Alten Testaments in Sammlung und Redaktion, in
Kommentierung und Weiterführting von Prophetenworten usw.
interpretiert wird. — K. Müller möchte „Die Ansätze der Apo-
kalyptik" (HI [31—42]) erhellen von den Orakeln des Hy-
stapses (Iran) und dem Töpferorakel (Ägypten) her, die er
zugleich mit Dan 2,28ff. — als Reaktion auf die Hellenisie-
rungsbestrebungen unter Antiochos III. versteht; die damit gegebene
„Verfinsterung des Zukunftshorizonts" bewirkte jeweils
(unabhängig) eine Wandlung der lokalen Hoffnungen „zur
apokalyptischen Eschatologie" (42). In dem thematisch zugehörigen
Kap. XIII (spez. 245) wird auf diese sozialpsycholo-
gische (38) These „einer strukturell gleichartigen Reaktion auf
je ähnliche historische Umstünde" (38) nicht Bezug genommen.
Um apokalyptische Texte geht es größerenteils im Beitrag desselben
Vfs., „Geschichte, ileilsgcschichle und Gesetz" (VI
[73—105]). Sie verhalten sich gegenüber dem die Summarien
des Alten Testaments bestimmenden „Prinzip der Konstanz ge-
schichlsimmanenter Retlungstalcn Gottes an Israel" (84) in dreifach
verschiedener Weise. Aufgenommen ist das heilsgoschioht-
liche Denken einerseits in 1 Hen 85—90 und ass Mos 2—10
(77—82), andererseits in Gebelen der Synagoge (97—99; im
Unterschied zur talmudischen llaggada [92—96]). Entsprechend
ist das Verhältnis von Geschichte und Gesetz verschieden bestimmt
(99—105). — E. Zenger, „Die späte Weisheit und das
Gesetz" (IV [43—56]), zieht bedeutsame Verbindungslinien zwi-
8eben dem Verständnis der Weisheit im Alten Testament und
im Frühjudentum und macht die Nähe von Weisheit und „Gesetz
" zueinander deutlich. In V, „Die gesetzlichen Überlieferungen
", gehl es um die konkreten Vorschriften. .1. Maicr hebt vor
allein heraus, wie schwierig „Die vor- und nichtpharisäisclicn
rechtlichen Überlieferungen" (57—64) zu fassen sind. Dagegen
ergibt sich für J. Neusner in bezug auf die pharisäischen (64—72)
bis 70 n. Chr. ein klares Bild, überwiegend sind sie nach N.
(abgesehen hauptsächlich von den für Gamalicl I. belegten [67])
zunächst „Vorschriften einer religiösen Gruppe für ihre eigenen
Mitglieder" (66); in ihnen spielt die rituelle Reinheit beim
Mahl eine besondere Rolle, ohne daß an eigene pharisäische
„Mähler im Sinne eines Rituals" zu denken ist (im Unterschied
zu denen der Christen; 70).

Teil II, „Sprache und Gestalt der frühjüdischen Literatur"
(107 -199), leitet R. Degen ein mit Kap. VII: „Sprachen und