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Ausgabe:

1977

Spalte:

254-255

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Weippert, Helga

Titel/Untertitel:

Die Prosareden des Jeremiabuches 1977

Rezensent:

Dietrich, Walter

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1077 Nr. 1

pretieren ist („Füllung" Ägyptens durch die Israeliten), sondern geschiente zuwendet und dabei auch altere Fragestellungen, die
auf den für die Menschen generell geltenden Aufirag, sich auf keinesfalls als erledigt zu betrachten sind, aufgreift. Seine Koin-
der Erde auszubreiten, in Gen 1,28; 9,1 lie/.ug nimmt. Die Ver- mentierung macht auf alle Fälle überzeugend deutlich, daß mir
mehrung der Israeliten soll demnach als eine exemplarische dann, wenn dieses Gebiet gebührend berücksichtigt wird, eine
Verwirklichung des Auftrages, der der gesamten Menschheil wirklich sachgemäße Behandlung der vorliegenden Texte möggegeben
ist, verstanden werden. lieh ist.

Unter dem Stichwort „Ziel" wird die Koniinentierung jev.eils So Kann man abschließend nur der Hoffnung Ausdruck ge-
abgeschlossen. Der Vf. geht hier nicht explizit auf hermeneu- ben, daß das begonnene Werk zügig weitergeführt wird und
tische Probleme im Blick auf die christliche Verkündigung ein, der Vf. die Kraft behält, sich den vielen noch anstehenden Pro-
sondern stellt die Texte in den Gesamtrahmen der einzelnen blemen mit gleicher Intensität zu stellen. Man sieht den näch-
Quellen sowie des Pentaleuchs überhaupt und zieht die von sten Lieferungen mit Vorfreude und Spannung entgegen,
daher bestimmten theologischen Leitlinien aus. Unter Bezugnahme
auf die Einflüsse weisheitlichen Denkens betont er die Leipzig Joachim Conrad
Verborgenheit des Wirken Gottes, das zwar unerwartete und
insofern wunderbare, aber keine wunderhaften Geschehnisse

zur Folge hat (S 75) Weipperl, Helga: Die Prosareden des Jeremiabuches. Berlin —

Die bisherigen Ausführungen zu Methode und Ergebnissen Ncw York: dc CroyUr 197,1 VIII> 205 S- *r- 8° = Beihrft

des Vfs. dürften deutlich machen, daß hier ein gediegener Korn- ™r Eilschrift für die alttcstamentl. Wissenschaft, hrsg. v.

mentar in der Entstehung begriffen ist, in dem die vielschich- ('- RArer, 132. Lw. DM 88,-.

tigen Probleme des Exodusbuches in umsichtiger Weise ange- Helga Weipperts Uuch — eine von H. J. Stoebe angeregle
packt und einer Lösung nähergeführl werden. Man ist dem Vf. Basler Dissertation — gehört zu den drei neueren Monogra-
besonders dankbar dafür, daß er sich nicht von vornherein auf phien über die Prosareden des .leremiabudis, die dritte Schicht
eine bestimmte Linie festlegt, sondern die Probleme von ver- also neben den metrisch geformten Prophctenworten und den
schiedenen Seilen her angeht und auch größere Breiten in Kauf Erzählungen über Jeremia. Freitich, die beiden anderen For-
"immt. um der Gefahr vorschneller und einseitiger Lösungen scher — E. W. Nicholson (Preaching to the Exiles, 1970) und
zu entgehen. Infolgedessen sind vor allem die lilerarkritischen W. Thiel (Die deiteronomistische Redaktion von Jeremia 1—25,
Ergebnisse gut abgesichert und einleuchtend. Allerdings ist da- WMANT 41, 1973) — vertreten, modifizierend und weiter-
"Ul noch nicht gesagt, daß keine Prämissen vorlägen, die nicht führend, die seil S. Mowinckel (Zur Komposition des Buches
binterfragbar wären, oder daß diese sich ganz zwanglos aus den Jeremia, 1914) dominant gewordene Hypothese, daß die Prosa-
gewonnenen Ergebnissen ableiten ließen. Bemerkenswert ist ja reden in deuteronomistiseben Kreisen entstanden seien. Eben
der Vorrang, der der mündlichen Überlieferung der literarischen diese Hypothese zu erschüttern, ist Helga Weipperts Ziel.
Gestaltung gegenüber zugebilligt wird. Hier ergeben sich aber Nach einer Orientierung über Probleme der Forschungsge-
auch Spannungen. So muß man aus der Behandlung von Ex 1 schichte und über die eigenen Absichten — ein nicht nur in
den Schluß ziehen, daß der Vf. den zugrunde liegenden Stoff Dissertationen zelebriertes und ja auch nicht ganz unnützes
"Ml allen drei Motiven bereits im vorliterariscben Stadium ent- Ritual — sucht sie in den beiden Hauptteilen ihrer Arbeit
standen wissen will. Das gleiche, gilt für die Einflüsse weis- einige oft für deuteronomistisch erklärte Texte und gewisse gern
beilliehen Denkens. Nun wird aber zugleich betont, daß das für deuteronomistisch gehaltene Spracheigentümlichkeiten des
Motiv der Kindertötung zu Fx 2,1—10 überleite, so daß auch Jeremiabuches als doch nicht deuteronomistisch zu erweisen,
die Verbindung beider Stoffe dem vorliterarischen Stadium zu- Zuerst werden in eingehender exegetischer Analyse die Abzuweisen
wäre. Man ist daher etwas erstaunt, wenn man im schnitte Jer 7,1—15; 18,1—12; 21,1—7 und 34,8—22 behandelt.
Zusammenhang der Erklärung zu Ex 2,1—10 liest, daß Ex Warum gerade diese, erklärt sieh aus dem Bestreben der Ver-
1,15—20 und 2,1—10 ursprünglich getrennte Erzühleinhciten fasserin, an exemplarischen (und ihrem Anliegen günstigen)
seien, die erst bei der literarischen Fixierung miteinander ver- Beispielen vier Grundsalzthenien zu diskutieren: die Entste-
bunden worden wären (S. 62f.). Die Rolle der volkstümlichen hungszeit der Prosareden, ihre Gedankenfülirung, iure stilisli-
Sagenerzähler ist demnach doch nicht so umfassend gedacht, sehe Diktion und ihren Aufbau. Im Ergebnis heißt das, neben-
wie es sieh bei den Ausführungen des Vis. zunächst nahelegt. bei abfallende Erkenntnisse nicht gerechnet: die Tempelrede
Angesichts dessen fragt man sich überhaupt, ob der Begriff 7,1—15 ist nicht jünger als der Bericht c. 26, sondern wird in
»Sage" nicht zu undifferenziert gebraucht wird. Daß sagenhafte diesem vorausgesetzt; die Form der Alternativpredigt in 18,7—10

l,ge und Motive vorliegen, ist nicht zu bezweifeln. Audi ist ist. nicht spezifisch deuteronomistisch, sondern gut prophetisch

m't Sicherheit anzunehmen, daß es eine volkstümliche über- und jeremianisch; der Stil in 21,4—7 ist nicht umstündlich-

■clerung über den Aufenthalt in Ägypten gegeben hat. Aber ungestalt, sondern durch Kunstmittel wie Parallelismus mem-

'st es berechtigt, alle sagenhaften Züge als unmittelbaren Aus- brorum und Wortgruppenbildung als gehoben ausgewiesen; die

' unk gewachsener volkstümlicher Uberlieferung zu betrachten? Rede 34,13—22 ist nicht nach dem deuleronomistischen Schema

man nicht, auch damit rechnen, daß im Zuge der literari- Bußruf—Feststellung der Unbußferligkeit—Strafansage aufgebaut,

seien Abfassung sagenhafte Gestaltungselemcnte neu aufgegrif- sondern nach dem prophetischen Gcrichtsbegründung—Gerichts-

°B wurden und gewissermaßen als Material dienten, um ge- ankündigung.

zielte Reflexion und Konstruktion wiederzugeben? Für das Mo- Man wird diese, „exegetischen Überlegungen" (so die beschei-

der Kindertötung, das auch der Vf. für recht spät hält dene Überschrift des ersten Hauptteils) künftig zu beachten ha-

' 2'')> 'egt sieh eine solche Annahme doch recht nahe. Ebenso ben, sowohl in ihrer Gesamtintention als auch in ihrem Ertrag

Problematisch ist es, die Einflüsse weisheitlichen Denkens in für das Verständnis der einzelnen, hier uniersuchten Texte.

as vorliterarische Stadium zu verlegen. Man möchte sie lieber Man wird aber auch seine Fragen haben. Zum Beispiel die,

Uj '^us<'rutk literarischer Gestaltung ansehen, wie dies ja Beob- warum die Vfn. sich von ihren Widersachern die literarkritische

"llngcn an anderen alttestamentliclien Texten von der salo- Fragestellung so weit aufdrängen läßt, daß sie sich das Ver-

jnonischen 7,eit un nahelegen. Das alles läßt die Frage auf- hältnis von c. 7 und c. 26 nur als literarische Abhängigkeit vor-

BMnen, ob die Rolle der literarischen Gestaltung nicht höher stellen kann — allerdings jetzt unter umgekehrten Vorzeichen;

veranschlagt werden muß, als es in der vorliegenden Kommen- kann sich die Erinnerung an die ungeheuerliche Rede Jeremias

crung geschieht. Und umgekehrt sollte man den Begriff „Sage" wider Tempel und Tempelglauben nicht an mehreren Stellen der

«W auf solche Stoffe oder Motive anwenden, die mit Wahr- Überlieferung vom Lehren und Leiden dieses Propheten nieder-

• c leinliehkeit auf kontinuierlich gewachsene volkstümliche geschlagen haben? Oder: läßt sich die klaffende Diskrepanz

" leferung zurückgehen. Hier gibt es also offene Probleme, zwischen den poetisch geformten Prophetenworlen und den

zunundosi wünschte man sich noch präzisere und unmißver- prosaischen Reden kurzerhand dadurch überbrücken, daß man

■"UMUKfaere Äußern ngen von Seiten des Vfs. Es muß jedoch im Wirken Jeremias einen (auch noch dalierbaren!) „Ubergang

zog eich nachdrücklich betont werden, daß es ein großes Ver- von der metrisch gehaltenen Verkündigung zur rednerischen

ist, wenn sieh der Vf. so entschieden der Uberlieferungs- Prosa" postuliert (S. 81)?