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Ausgabe:

1977

Spalte:

236-238

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Das pädagogische Handeln der Kirche 1977

Rezensent:

Kehnscherper, Günther

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 3

236

„Umwelt" (bemerkenswert, daß hier auf die deutsche
Vokabel zurückgegriffen wird!) der untersuchten Texte
mit einbeziehen muß. Die „Umwelt" - das sind einmal die
Schriften der Kirchenväter, deren Kenntnis unumgänglich
ist, um ein klares Bild der Erbsündenlehre in der alten
Kirche zu gewinnen und die liturgischen Texte sachgerecht
interpretieren zu können; die „Umwelt" - das ist
aber auch der sprachlich-terminologische Kontext, in dem
die untersuchten Texte stehen: die Welt des „Christian
Latin", das sich als eine Gruppensprache eigener Art von
der Mitte des 2. Jahrhunderts an entwickelt und in der
zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts - als in Rom der endgültige
Übergang von der griechischen zur lateinischen
Liturgiesprache erfolgt - bereits eine hohe Blüte erreicht
hat (!)). Wie in jeder Sprache kommt es auch hier im Laufe
der Entwicklung zu beträchtlichen Bedeutungsverschiebungen
(siehe „necessarium"!), die bei einer korrekten
Interpretation liturgischer Texte berücksichtigt werden
müssen (11). Die „Umwelt" - das ist freilich noch mehr:
Konkrete politische, soziale, kulturelle Entwicklungen,
die sich in ebenso konkreten kirchengeschiehtlichen (und
eben auch: liturgiegeschichtlichen!) Entwicklungen niederschlagen
. Genau hier versagt jedoch das methodische
Konzept des Vf.s; und so kommt es, daß seine „content
examination" nun doch nur wieder endet in einem Ver-
sehiebebahnhof freischwebender Begriffe und Sachverhalte
, deren wirklicher ..Sitz im Leben" nicht gefragt ist
(verwiesen sei nur auf die Art und Weise, wie der Vf. „the
role of woman'' in Schrift, Theologie und Liturgie diskutiert
, 72ff.).

Jeder Unterabschnitt des Buches ist in drei Schritte gegliedert
: Zunächst wird die Bibel zu dem gerade verhandelten
Sachverhalt befragt, dann richtet sich das Interesse
auf die Schriften der Kirchenväter, um sich schließlich
den eigentlich liturgischen Texten zuzuwenden („Holy
Scriptures, Fathers, Liturgy"). In großer exegetischer Unbekümmertheit
geht der Vf. dabei mit den biblischen
Texten um; so wfeiß er z. B. ganz genau, daß die Schlange
in Gen 3 nach der Intention des Erzählers den Teufel darstellen
soll („The Old Testament . . . clearly speaks of the
devil as the sly tempter to evil in Gen 3 . . .", 15) - ein
Sachverhalt, über den sich die Alttestamentier keineswegs
so „klar" sind, wie ein Blick in die Kommentare zeigt. In
dem beschriebenen methodischen Dreischritt befaßt sich
der Vf. zunächst mit dem, was in der scholastischen Theologie
als „peccatum originale originans" bezeichnet wird -
also mit der Rolle des Teufels, des Mannes und der Frau im
Sündenfall (13ff.). Dann wendet er sich den Konsequenzen
des Falls, dem „peccatum originale originatum", zu: der
Bestrafung der gefallenen Geschöpfe („The punishment",
81 ff.) und der Satansherrschaft über den sündigen Mensehen
(„Therule of Satan", 157ff.). Weitere Kapitel sind:
„Salient expressions of original sin", 266ff.; „Sick and
wounded humanity", 297ff.; „Original sin in a christo-
logical perspective", 352ff. Erwähnung verdienen die hilfreichen
Anhänge, die der Vf. dem Buch beigegeben hat:
eine Sammlung griechischer Kirchenväterzitate im Originaltext
; ein Schriftstellenverzeichnis; ein Verzeichnis
der Anfänge der liturgischen Texte, auf die sich die Untersuchung
bezieht; ein genau aufgeschlüsseltes Verzeichnis
der verwendeten liturgischen Quellen; je ein Index der
lateinischen und griechischen Begriffe, die in der Untersuchung
eine Rolle spielen.

Richtlinien für eine moderne Erbsündenlehre („a direc-
tive for the modern theology of original sin") möchte der
Vf. mit seiner Arbeit geben; dem einzelnen Christen
möchte er helfen, das Geheimnis der Erbsünde wieder in
sein eigenes religiöses Leben zu integrieren (394). Das sind
hochgesteckte Ziele, die Kritik herausfordern: Was hier
tatsächlich vorliegt, ist eine mit großem Fleiß erarbeitete
Materialsammlung, die dogmengeschichtlicher Aufarbeitung
bedarf. Um wirklich einen Beitrag zur theologischen

Debatte um die Erbsünde (ganz zu schweigen von einer
spirituellen Erneuerung dieses klassischen locus theologi-
cus!) leisten zu können, ist diese „content examination"
wohi nicht examinatorisch - sprich: kritisch - genug. Der
Vf. erhebt den Anspruch, mit seiner Arbeit der seit dem
Konzil von Trient spürbaren Entfremdung von Theologie
und Liturgie entgegenwirken zu können. Doch um eine
derartige Bedeutung für seine Arbeit beanspruchen zu
können, hätte er sich zumindest in Ansätzen der Aufgabe
einer Übersetzung stellen müssen: Wie kann das, was die
alten Texte und Riten sagen und abbilden, so „umgebildet
" werden, daß es wieder vollziehbar wird und Relevanz
gewinnt für das geistliche und gottesdienstliche Leben
heutiger Christen 1
Leipzig Carl-Heinrich Blerlti

KATECHETIK UND
RELIGIONSPÄDAGOGIK

Nipkow, Karl Ernst: Grundfragen der Keligionspädagogik. 1: Gesellschaftliche
Herausforderung und theoretische Ausgangspunkte
. 2: Das pädagogische Handeln der Kirche. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1975]. 2:i2 S. u. 238 S.
8° = Gütersloher Taschenbüc her lOfl U, 10«. Je DM15,80.

Es ist nicht so sehr die Grenze der Wissenschaft wie die
Überfülle des Materials der gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen
Diskussion in der Pädagogik sowie in der
Neubesinnung über das Verhältnis von Glaube und Erziehung
, die einen Versuch, christlich verantwortetes pädagogisches
Verhalten zu erklären und lehrbar zu machen,
zu einem erheblichen Wagnis machen. Die Menge der
neuerdings allein schon aus dem Bereich der Lernpsychologie
und der Lelirplanforschung verfügbaren Daten und
Interpretationen übersteigt längst alles, was ein einzelner
erfassen und verarbeiten kann. Vielleicht wird man bald
nur mehr im Kollektiv nach gemeinsam erarbeiteten Programmen
den Strom der Informationen und Argumente
sichten und verarbeiten können. Solange jedoch der einzelne
Religionspädagoge vor der Aufgabe steht, in geistiger
Selbständigkeit sich über seine Welt zu orientieren, darf
und muß er auch riskieren, ein modellhaftes Bild seiner
Situation zu reduzieren unter Ilerausarbeitung von verstehbaren
Gestalten und Linien.

Dieser Aufgabe hat sich Nipkow in überzeugender Weise
unterzogen und die gesellschafts- und bildungspolitischen,
pädagogisch-anthropologischen und theologischen Ausgangspositionen
seiner Rehgionspädagogik begründet.
Man spürt die dankenswerten Bemühungen des vielbelesenen
Autors, den Nachholbedarf von zwei Generationen
hinsichtlich des Verhältnisses von Religion, Gesellschaft
und evangelischer Unterweisung zu berücksichtigen.

Der Untertitel von Band I macht deutlich, daß der Vf.
seinen Standort situationsbezogen nicht ohne Kingchen
auf das problematische Bildungswesen derjenigen Lander
verdeutlichen kann, in denen evangelische Unterweisung
und christliche Erziehung in den Unterricht der Schule
und in das Bildungssystem des Staates verflochten sind.
Die Analyse von daraus resultierenden Krisenerscheinungen
bezieht der Vf. in eine Auseinandersetzung mit fragwürdigen
Interpretationen des Freiheit«- und Emanzi-
pationsverständnisses ein.

In diesem Zusammenhang weiden dann positive Hinweise
auf die grundsätzlich anders geartete Situation
kirchlichen Unterweisens und christlichen Erziehens in
sozialistischen Ländern wichtig. Manche vom Vf. aufgeworfene
Fragen und Lösungswege - auch etwa hinsichtlich
einer Hochschulreform - sind hier nicht nur bereits theoretisch
durchdacht, sondern haben sich in jahrelanger
Praxis bewährt.