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Ausgabe:

1977

Spalte:

232-234

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

J. A. Jungmann, ein Leben für Liturgie und Kerygma 1977

Rezensent:

Nagel, William

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 3

232

.politische' und .gesellschaftliche Diakonie' bestimmte
Praxis der Gemeinde bleibt eine paradoxe Christologie
konstitutiv. Sie ist Bedingung der Möglichkeit, auf der
einen Seite die affirmative gesellschaftliche Funktion von
Religion zu überwinden, auf der anderen Seite aber die
bereits geschehene Versöhnung der Menschheit auszulegen
, ohne deren Bezeugung die christliche Gemeinde
überflüssig wird. Vorweggenommene Versöhnung in Christus
als Versprechen eschatologischer Versöhnung jeweils
von den Gestalten falscher Versöhnung in der Gesellschaft
zu unterscheiden, dies ist die kritische Aufgabe der gesellschaftlichen
Diakonie" (S. 365/366).

. Die Untersuchung von Meyer ist unzweifelhaft außerordentlich
anregend. Für den DDR-Rezensenten spiegelt
sie das Unbehagen des Autors wider, sich seitens der
Kirche auf irgendeine Identifizierung mit oder Unterst
ützung kapitalist isch geprägter Gesellschaft- einzulassen ;
der Weg zu einer irgendwie heilen westliehen Gesellschaft
ist für ihn dauerhaft versperrt. Da aber auch der reale
Sozialismus von ihm nicht als anzustrebende Lösung der
gesellschaftlichen Probleme akzeptiert zu werden vermag,
muß alles auf eine permanente Kritik hinauslaufen, deren
frustrierender Charakter durch das „Versprechen eschatologischer
Versöhnung" ein wenig gemildert ist. Für den
Rezensenten bleiben Adornos „negative Dialektik" und
das Evangelium unvereinbare Positionen.

Der Versuch Meyers, auf zehn Seiten die Position der
CDU der DDR darzustellen und zu kritisieren, ist recht
unglücklich, zumal es ganz unmöglich ist, diese Position
nur an Hand der Veröffentlichungen zum Stichwort „Politische
Diakonie" - bei zusätzlicher Berücksichtigung von
zwei Reden Gerald Gottings - zu bestimmen. Demgegenüber
ist weniger wichtig, daß das Referat auf S. 134 unkorrekt
ist. Die Zuordnung dieses Abschnittes über DDR-
Veröffentlichungen zum Themenkomplex „Politische Diakonie
" zu dem Gerstcnmaier-Kapitel soll unterstreichen,
daß in beiden Fällen eine grundsätzlich bejahende Position
vertreten wird. Bei Gerstenmaier brachte das Stichwort
politische Diakonie eine Bejahung der von der CDU getragenen
Politik der BRD in deren Anfängen zum Ausdruck
, bei Mitzenheim und Jcnssen eine Bejahung der von
der CDU mitgetragenen Position der Sozialist ischen DDR.
„Eine solche Konformität und damit eine strukturelle
Analogie zu Gerstenmaier, die auch durch die gegensätzlichen
I nhalte nicht verdeckt werden kann, rindet sich im
Verständnis von .politischer Diakonie', wie es im Zusammenhang
mit der politischen Programmatik der CDU der
DDR ausgebildet worden ist- (Moritz Mitzenheim, Hans-
II im ich Jenssen, s. o. 2.13). Hier dient der unkritisch übernommene
„Humanismus" der offiziellen Ideologie der
Integration der politisch-gesellschaftlichen Aktivität der
Christen in die .sozialistische Menschengemeinschaft'.
Eine kritische Distanz zur GcsellsehaftsVerfassung gibt es
nur in bezug auf das gesellschaftliche Zentrum der Kirche,
das entweder im Rahmen der Zwei-Reiche-Lehre bestimmt
wird (Mitzenheim) oder als Anspruch an das ewige Wesen
des Menschen gilt (Jcnssen). Für die Bestimmung im letzteren
Sinne hat der Sozialismus die Bedeutung, die sozialen
Hindernisse für die wesentlichen Fragen nach Sinn und
Heil, auf welche die Kirche zu antworten hat, hinweggeräumt
zu haben" (S. 274). Für uns in der DDR ist nun
gerade das entscheidend wichtig, daß eine „konträre inhaltliche
Füllung" vorliegt, während das „erstaunliehe
Maß an struktureller Übereinstimmung", soweit es sich
wirklich konstatieren läßt, nichts Erschreckendes an sich
hat (S. 136). Es ist mit dem Hinweis auf Formanalogien
eben nicht einfach als belanglos vom Tisch zu wischen,
welche von zwei antagonistischen Gesellschaftsordnungen
man bejaht. Die Kirchen in der DDR verstehen sich bewußt
als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft in der Sozialist
ischen Gesellschaft, nicht neben ihr, nicht gegen sie. Das
Stichwort „politische Diakonie" bringt im Hinblick auf

den Dienst der Kirche zum Ausdruck, daß die lei blichmaterielle
Seite des Menschseins nicht zugunsten der rein
seelisch-geistigen Aspekte vernachlässigt werden darf, daß
unbedingt zu beachten ist, daß Wohl und Wehe des gesell
schaftlichen Wesens Mensch von politischen und gesellschaftlichen
Voraussetzungen abhängen und daß ein solcher
Dienst dann auch das Zeugnis unterstützt.

Berlin Invns-Hinrioli Jcnssen

LITURGIEWISSENSCHAFT

Fischer, Balthasar, u. Hans Bernhard Meyer | .1 !rsg.| : J. A. Jung-
mann. Ein Leben für Liturgie und Kerygma. Innsbruck Wien
München: Tyrolia Verlag |1975|. 2:S.r>'K.. I Porträt 8°. Kart.
DM26,—.

Nachdem der Plan einer dritten Festschrift zum SO. Geburtstag
des wohl bekanntesten und international angesehensten
katholischen Liturgiewissenschaftlers im deutschen
Sprachgebiet 196!) am Einspruch des zu Feiernden
gescheitert war, haben Fachgenossen, Schüler und Freunde
dem am 26. L. 75 im SO. Lebensjahr heimgerufenen Innsbrucker
Professor mit diesem Buch ein eindrucksvolles
Denkmal ihrer Verehrung, Liebe und Dankbarkeit gesetzt.
Nicht nur, daß uns dies Buch dem großen Forscher als
einer schlichten, ja von echter Demut geprägten Person
lichke.it begegnen läßt, es werden neben seinem liturgiegeschichtlichen
Lebenswerk auch bisher weniger bekannte
Anliegen seiner wissenschaftlichen Arbeit- zur Geltung gebracht
. Indem einige Beiträge seine tiefgehende Einwirkung
auf die Liturgie- und Kirchenreform des II. Vaticanum
darstellen, wird hier zugleich ein bewegtes Stück
jüngster Kirchengeschichte erhellt. Da P. Josef Andreas
Jungmann SJ zweifellos zu den großen Gestalten katholischer
Theologie dieses Jahrhunderts zählt, ist es besonders
verdienstlich, daß das Buch eine umfassende Bibliographie
des Heimgegangenen vorlegt (156-207), dazu auf
vier Seiten die wichtigsten Lebensdaten bringt.

Nicht weniger als 3!) Mitarbeiter haben sich zu diesem
Gedenkband zusammengefunden: Männer der Kirche, an
ihrer Spitze der vorige Sekretär der III. Kongregation für
den Gottesdienst, Lrzbischof Dr. Bugnini, deutsche und
ausländische Liturgieforscher, Brüder des eigenen wie des
Benediktinerordens, aber auch zwei evangelische Theologen
. Nur all ihre Namen aufzuzählen, macht der für
diese Besprechung vorgesehene Kaum nicht möglich, geschweige
denn jedem Beitrag einigermaßen gerecht zu
«erden. So sei anhand des hier Gebotenen wenigstens auf
einige, vielleicht- weniger bekannte Züge im Lebensbild
und im .Schatten. P. Jungmanns hingewiesen.

Doch zu Eingang des Buches kommt- der Heimgegangene
selbst noch einmal zu Wort: Man hat hier seinen wenig
bekannten Beitrag „Um Lit ur gie und Kerygma" zur Festschrift
des Herder-Verlages (1961) aufgenommen, den P.
Jungmann selbst einmal seine „literarische Lebensbeichto"
genannt, hat. Es wird viele überraschen, daraus zu erfahren
, daß das spezielle Interesse des nach vierjähriger
Gemeindearbeit von seinem Orden in die Lehrtätigkeit
Berufenen nicht der Liturgik, sondern der Katechetikgalt.
Ihn bewegte der Gegensatz zwischen dem freudigen
Christentum der Frühzeit und dem verarmten, unfrohen,
eher als Pflichtensumme denn als Freudenbotschaft empfundenen
Traditionschristentum, wie er es in den Gemeinden
seiner Tiroler Heimat erlebt hat. Er fragt sich:
„Wie wird dieses Christentum dem Ansturm einer säkularisierten
Welt standhalten können?" Von da her sieht
er Katechese und Predigt vor brennende Aufgaben gestellt
. Als er schließlich 1936 seine Bemühungen um diese
Problematik in dem Buch „Die Frohbotschaft und unsere
Glaubensverkündigung" zusammenfaßt, muß er freilieh