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Ausgabe:

1977

Spalte:

223-224

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Trillhaas, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Perspektiven und Gestalten des neuzeitlichen Christentums 1977

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Seite 1

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223

Theologische Literat urzeitung J02. Jahrgang l!t77 Kr..'!

22 t

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Trillhaas, Wolfgang: Perspektiven und Gestalten des neuzeitlichen
Christentums. Göttingen: Vandenhoeck & Itnprecht [1975]. 261!
S. 8°. Kart. DM28—.

Das Buch macht Studien und Aufsätze zugänglich,
deren Erstveröffentlichungen heute nur noch schwer auffindbar
sind. Die Sammelüberschrift erscheint etwas weit
ausgespannt. Gemeint ist das protestantische, hauptsächlich
lutherische Christentum, das verhältnismäßig kontinuierlich
vom Altprotestantismus in den .Neuprotestantis-
rrrus' hineinwachsend gezeigt wird und nach dessen Weil er-
wirken in der Kultur überhaupt, in Wissenschaft und
öffentlichem Bewußtseih, gefragt wird. Ob unsere Zeit
zum Ursprung völlig neuer Christentümer zu werden bestimmt
ist, wie es beim Blick in die ökumenische Weite
heute manchmal den Anschein hat. liegt nicht im Umkreis
der angedeuteten „Perspektiven". Die vorkommenden
Namen und Sachprobleme w irken auf den ersten Augenblick
ganz konvent ionell. Die Zukunft erscheint sogar eher
blockiert und die heutige Profanität in dem Maße gegen
Kirchentuni allergisch, wie sie christliche Elemente in sich
aufgenommen hat. Genaueres Studium der Aufsätze be-
si ärkt indes in dem Empfinden, daß doch in der Geschichte
die Schlüsselprobleme für die Zukunft stecken (weil Identität
der Kirche mit sich selbst ihre Schicksalsfrage auch
für die Zukunft ist).

Das gilt zunächst von dem St ich wort „protestantisches
Christentum" im ersten Aufsatz. Man wird der Sprengkraft
gewahr, die im Protestantismus liegt und die Frage
nach einem Christentum außerhalb konventioneller Kirche
stellt. Andererseits ist es die Frage, inwiefern christliche
Elemente in der profanen und säkularisierten Kultur
weiterwirken (Die Reformation als Ursprungsstätte der
Gewissensfreiheit, S. 100; vgl. in einem anderen Aufsatz:
„Die Demokratie der Neuzeit entstammt christlichen
Wurzeln", S. 239; „Es wird schwerhalten, die Grundbegriffe
demokratischen Lebens, Freiheit, die Gleichheit
aller Menschen [ ,vor Gott'] und den Brudernamen anders
als aus christlichen Ideen abzuleiten", S.240. „Ebenso
liegt es auf der Hand, für die Völkerbundsidee die religiösen
Wurzeln aufzuzeigen", S. 240. „Das Arbeitsethos der
modernen Jndustriegesellseha.fi kann als die säkularisierte
Form der Heiligkeit verstanden werden", S. 241). Aber
auch, ja vor allem, wird die Spannung zwisohen lutherischer
Lehre von der w eltliehen Gewalt und dem modernen
Staat, sichtbar (in einigen weiteren Aufsätzen des ersten
Hauptteils). Einerseits bestätigt Trillhaas die These, „daß
bis zur Stunde die Demokratie für sie das eigentlich un-
bo wältigte Thema darstellt" (S. 53). Andererseits trifft er
wohl die rechte Dimension für einen positiven Aspekt,
wenn er von einer „Weisheit der alten Lehre Sprechen"
möchte, weil in ihr „ein tiefer Einblick in das Wesen der
Welt, in das Wesen der menschlichen Dinge zum Ausdruck
kommt" (S. 56), besonders ihre Gebrechlichkeit' (S. 62).
Als Hauptproblem erscheint hierbei, das biblische Wissen
um die Sünde des Menschen nicht zu einem lähmenden
Pessimismus werden zu lassen. - Am weitesten über herkömmliche
Vorstellungen von .Luthertum' hinaus weist
der Aufsatz „Regmim Christ i - Zur Geschichte der Idee
im Protestantismus". Er referiert über das 1550 erschienene
„Werk Martin Buccrs , De Regno Christi', in dem der
Verfasser dem jungen König von England, Eduard VI.
(1547-1553), so etwas wie ein Staatsidcal oder einen
Fürstenspiegel darbot" (S. 74). Im Anschluß hieran zeigt
Trillhaas die Dynamik der Reich-Gottes-Idee im amerika
nischen Christentum wie später in der Bewegung des
.Social Gospel'.

Der zweite Hauptteil ist eine kleine Geschichte der
neueren protestantischen Theologie in Porträts, anhand

der „Gestalten": Paul Gerhardt, Johann Sebastian Bach,
Philipp Jacob Spcner, Wilhelm Löhe, Adolf Harnack,
Vertreter der ,Nürnbergcr Richtimg' dos freien Protest an
tismus, Karl Barth in Göttingen, Paul Althaus und Paul
Tillich.

Von den Aufsätzen des dritten Teils („Die unausweichliche
Zukunft") seien zwei hervorgehoben: „Das theologische
Erbe in der abendländischen Philosophie''. Es
liege vor allem in der von der theologischen Tradition
begründeten absoluten Sonderstellung des Menschen
(S. 233). Das impliziert viel. - Den Abschluß des Buches
bildet ein Aufsatz : „Der Konturvcrliist des (Ihristentums
in der Gegenwart". Nicht die Frage der Wahrheit des
christlichen Glaubens sei, wie in früheren Krisenzeiten,
Ursache der „schweren Krise des Christentums in der
Gegenwart", sondern eine Unklarheit und Unsicherheit
darüber, „was denn das Christliche überhaupt sei" (S.253),
wie denn auch die Konfessionen im Begriff stehen, „ihre Eigentümlichkeiten
zu verlieren" (S.256). Giltdas alles auch
für daskatholischeChristentum '. „Wir sind auf der Suche
nach unverwechselbaren Kriterien des (Christlichen'"
(S. 258). „Die Menschen unserer Epoche fragen immer
noch nach dem Besonderen des Christentums" (S. 263),
Als Andeutung einer Antwort verweist. Trillhaas auf zwei
,Gesetze': „das Gesetz der Subjektivität" (in Erinnerung
an Kierkegaard) und „das Gesetz der Stellvertretung".
Dieses meint das menschliche Miteinander im Zuspruch
und Anspruch Jesu Christi. Doch dürfe der Christusglaube
nicht den Gottesglauben verleugnen wie die Kontin
nicht das Ganze ist (S. 261). Vgl.' auch S. 250: „Die Religion
preiszugeben, den Religionsbegriff zu verfemen, um
das Evangelium zu retten, . . . halte ich für eine Illusion
oder für raffinierte Apologetik."

Berlin HMU-GeOIg Fritzschc

Klappert, Bertold: Die Aufcrwcekung des Gekreuzigten. Der Ansatz
der Ohristologie Karl Barths im Zusammenhang der Christo-
logie der Gegenwart. 2„ durchgesehene u. um ein ausführliches
Namenregister erw. Aufl. Neukirchen -Vluyn: Neukirchencr
Verlag des Er/.iehungsvcrcins [1974]. X, 424 8. 8°. DM 25,—.

1. Zum Begriffsapparat: Im einführenden Teil werden
christologische Haupt.typen bestimmt: I. klassische In-
karnationschristologie, in die Barth meist eingeordnet
wird; 2. kerygmatisch-pcrsonale Begegnungschristologie
(Bultmann, Weber); 3. Jesulogie des Personseins (Go-
garten); 4. apokalyptisch orientierte Auferweckungs-
christologic (Rannenberg) und 5. Barths Christologie des
Zugleich von Oben und Unten, von Kreuz und Auferstehung
in der Erniedrigungsgeschiehte. Ob mau mit
diesem. Oben-unten-Schema überhaupt die meisten der
angesprochenen Positionen - und es fehlen ja etwa Möllmanns
Ohristologie „von vorne", Bonhocffers spezifischer
Beitrag und et wa Rahners anthropologisch verifizierende
Christologic - gerecht werden kann, kann hier nur ange
deutet werden (vgl. Schilson/Kasper: Christologie im
Präsenz, 1974).

Zur weiteren Begriffs- und Sachklärung werden dann
die möglichen Korrelationen des Christusgeschehens aufgewiesen
(34ff.): 1. Kreuz und Auferstehung werden dem
Wirken Jesu subsumiert (Marxsei i, Kliding, Puchs); 2. der
Korrelation Jesus-Auferweckung wird das Kreuz (Pannen
berg) bzw. 3. die Aufcrwcckung dem Verhältnis Jesus-
Kreuz eingeordnet (Gogarten); Kreuz und Auferstehung
sind die Grunddaten der Christologie, wobei 4. das Kreuz
(Bultmann) bzw. 5. die Auferstehung (Künneth) präva
Hort, und schließlich 6. bei Barth beide gleichvalent korrelieren
und „diese Grundkorrelation . . . das Integral der
vorösterlichen Geschichte Jesu Christi biklot".

2. Barths Christologie (83ff): Als Interpretationsmotiv