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Ausgabe:

1977

Spalte:

220-221

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Sandberger, Jörg F.

Titel/Untertitel:

David Friedrich Strauß als theologischer Hegelianer 1977

Rezensent:

Kwiran, Manfred

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219

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 3

220

Elligers textkritische Verbesserung zu Müntzers Brief an
Luther (376) ist hinfällig, da mit Sicherheit noch „parte"
zu ergänzen ist, und Müntzer auf Origines' Interpretation
von Joh 2,6 in „de principiis" (Übersetzung von J. Merlin
Paris 1512, 2. Teil) anspielt. Dementsprechend ist die Interpretation
zu korrigieren (377). Das Urteil über Müntzers
Exegese ist nicht zutreffend (397 u. ö.). Nach der Allstedter
Amtsrechnung ist es im November 1523 doch zu
einem Zusammentreffen des sächsischen Hofes mit Müntzer
gekommen (403). Auch Johann Lang und Justus Jonas
waren anwesend. Unter den 15 Gemeinden, zu denen Verbindung
aufgenommen werden soll, sind keine Dorfgemeinden
der Schneeberger zu verstehen (467). Die Polemik
in der Vorrede zur Deutschen Messe richtet sich eindeutig
gegen Luther (609). Müntzers Aufenthalt in
Schweinfurt ist doch bezeugt, vgl. AGBM I, S. 674 (675).
Es ist schwer denkbar, daß der „ewige Bund" erst im
April 1525 gegründet worden ist (691). Der disputierende
Bauer war in Wirklichkeit der Leineweber Hans Schleier
aus Riethnordhausen (694, 700). Kann angesichts der eilfertigen
literarischen Rechtfertigungsversuche von Seiten
der Sieger das Gerücht vom „Überfall" bei Frankenhausen
wirklich nur als Zweckerfindung der Besiegten interpretiert
werden (780ff., 803)?

Leider ist Elliger trotz kritischer Verwendung der
Franzschen Ausgabe mehrfach deren fehlerhaften Angaben
zum Opfer gefallen : Brief Nr. 1 ist nicht an Müntzer
gerichtet, wie schon W. Köhler richtig vermutete (39f.),
Brief Nr. 29 ist nur von den beiden aus Stolberg stammenden
Mönchen Veit Goldschmidt und Martin Gentzel verfaßt
(215). Als Erscheinungsjahr der „Ordnung" ist auf
dem Druck 1524 angegeben (310); ebenfalls weist der
Druck eindeutig das Kreuzeszeichen bei der Konsekration
aus (318). Wie bei Franz ist S. 483 nach „hals" einzufügen
„umb gottis willen". Ob Nr. 66 als zwei Entwürfe desselben
Schreibens anzusehen sind, ist fraglich (507ff.).
S. 703 Anm. 31 muß es richtig heißen: Danielis 7,4. Esdre
10. Auf S. 7.17 Anm. 91 und 92 sind die Verbesserungen
unzutreffend. Textliche Unrichtigkeiten sind auch aus anderen
Veröffentlichungen übernommen worden. So muß
es in dem Zitat aus dem Spottgedicht, dessen beide letzten
Zeilen nichts mit der Eheangelegenheit zu tun haben, „Eh"
statt „Ehr" heißen (116). Auch zwei von Wappler übernommene
RP-Zitate sind zu verbessern. Statt „gnenten"
muß es „conuentor" heißen; bei Anm. 158 ist ab „pfar
angenommen" zu streichen und dafür „gedengke fordt
mehr aynen conuentoren Zugedulden etc." einzufügen
(118). Unangenehm sind neben 31 orthographischen Un-
genauigkeiten die Textfehler in den Zitaten aus dem bisher
ungedruckten Bericht von Conrat Metzsch (statt Nitzsch):
„Ergerung" (Verschlechterung) statt „Ergernus", „ge-
nomen" statt „gewonnen" und „Neme" statt „Nenne"
(1001.). Zu den Einzelausstellungen gesellen sich einige
Anfragen zum Formalen und zur Konzeption der Biographie
. Die Überschriften geben nicht immer zureichend
Auskunft über den Inhalt (z. B. betrifft „Entstehung und
Drucklegung der liturgischen Schriften" nur das Kirchenamt
), und die teilweise zu geringe Kapiteluntergliederung
erschwert die Benutzung. Die Register können hierfür
keinen vollen Ersatz bieten, da sie zu lückenhaft gearbeitet
sind (warum im Personenregister auch bei wenig bekannten
Personen die Vornamen ausgelassen wurden, ist nicht
einsichtig. Außerdem werden Diepold Peringer nur als
Bauer von Wöhrd, Hans Hesse als Hans Hensen, Christian
Breithut als Kristainus und Bonaventura Kürschner als
Ventura aufgeführt. Nitzsch ist in Metzsch zu verbessern).
Bei manchen Einzelheiten macht sich auch eine ungenügende
Berücksichtigung der umfangreichen (vor allem
historischen) Sekundärliteratur bemerkbar. So wird z. B.
der Name des Mannes, der Müntzer gefangennahm, nicht
genannt: Schroffel von Waldeck. Überhaupt zählen die
historischen Partien nicht zu den Stärkendes Buches. Die

Verhältnisse der Aufenthalts- und Wirkungsorte Müntzers
bleiben genauso vage wie die zeitgeschichtliche Situation.
Es ist sehr fraglich, ob Stolberg „das Bild eines gesunden
Gemeinwesens" bot (17). Über die Zwickauer, Ällstedter
und Mühlhäuser Verhältnisse weiß die Forschung wesentlich
mehr, als aus Elligers Darstellung ersichtlich ist (74,
250, 568ff.). Vom Verlauf des Eichsfeldzuges erhält der
Leser ebensowenig ein Bild wie vom Anmarsch des
Fürstenheeres nach Frankenhausen. Mit dem Hinweis auf
den ohnehin großen Umfang des Buches kann diesen Anfragen
nicht begegnet werden. Durch Einschränkung der
ausführliehen Zitate, die häufig noch ausgiebig paraphra-
siert werden (Zitatwiederholungen sind außerdem keine
Seltenheit) hätte Raum gewonnen werden können. Ein
großer Teil der Franzschen Ausgabe, bis hin zu vollständigen
Schriftstücken, ist erneut abgedruckt, so daß Elligers
Buch streckenweise mehr einem ausführlichen Kommentar
zu Müntzers Nachlaß als einer Biographie gleicht. Der
Eindruck wird durch das Fehlen eines wertenden Schlußabschnittes
, vor allem aber durch den Verzicht auf eine
zusammenfassende Skizze der t heologischen Anschauungen
Müntzers noch verstärkt. Nicht einmal „das Kernstück
seiner eigenen Gedankenwelt" wird wirklich entfaltet
.

Bis zu einem gewissen Grad hat Elliger mit seinem für
größere Kreise bestimmten und problemorientiert ange
legten Müntzerbüchlein diesem Mangel abgeholfen. In
starker, z. T. wörtlicher Anlehnung an die große Bio
graphie vermittelt Elliger dem Leser einen geschlosseneren
Eindruck von Müntzers Gedankenwelt. Die Schwäche im
Historischen wird allerdings um so offensichtlicher. So
wird beispielsweise Müntzers Jugend völlig ausgeklammert.
Nicht einmal Geburtsort und das vermutliche Geburtsjahr
werden erwähnt. Einzelformulierungen setzen nicht
selten zumindest die Lektüre der großen Biographie voraus
. Der Titel „Außenseiter der Reformation" läßt noch
einmal die Frage nach Elligers Konzeption aufkommen.
Wird mit dieser Etikett ierung Müntzers Auswirkung nicht
doch unterschätzt und ein zu undifferenziertes Bild von
der Reformation vorausgesetzt ?

Dennoch: Nach mehr als zwanzigjähriger Vorarbeit hat
Klüger ein Werk von imponierendem Umfang vorgelegt.
Die künftige Beschäftigung mit Müntzer kann daran nicht
vorübergehen, auch wenn Elligers Biographie nicht die
erhoffte Zusammenfassung der bisherigen Forschung gebracht
hat. Vor allem bei der Aufarbeitung der zahlreichen
jüngsten Veröffentlichungen zum Bauernkriegs- und
Müntzergedenken werden Elligers Konzeption und Einzelergebnisse
mit einzubeziehen sein.

Wichtige Druckfehler: 32 fehlt Anm.22a; 114: ketzerische Schälke; 215
Aiim.5: Wappler, S. 24 Anm. 01;371:psal. 82 ( = 83,17); 412 Anm. 234: S. IflTf.
443 Anm. 101: S. 37; 482: Briefes von Hat und Gemeinde; 538: nit änderst
eroffent; 530: solch frombd; 570 Anm. 45: Felchtaer Tor; 622 Anm. 144: Ben-
siiui/Büdiger, S. 161; 627: „Bauer von Wöhrd"; 652: Balthasar mit ftigDM band;
814: 5. Juni statt 7. Juni; 823: JfR Jahrbuch für R"nionalgcschichte.

Krummenhennersdorf S. Bräucr

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Sandberger, Jörg F.: David Friedrich Strauß als theologischer
Hegelianer. Mit unveröffentlichten Briefen. Güttingen: Vanden-
hoeck & Kuprecht 1972. 247 S. gr. 8° = Studien zur Theologie
und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts, 5. Forschungs-
unternehmen der Fritz Thyssen Stiftung. Arbeitskreiso Evangelische
Theologie u. Katholische Theologie. Lw. DM 46,—.

Sandberger macht in seiner Tübinger Dissertation
(1970/71) den Versuch, den philosophisch theologischen
l'lnt wicklungsphasen von D.K. StrauB nachzugehen. Wichtig
ist hier der Zeitabschnitt, in dem eine Synthese zwischen
der Philosophie I[egels und derTheologte im Strauß-