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Ausgabe:

1977

Spalte:

205-207

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmahl, Günther

Titel/Untertitel:

Die Zwölf im Markusevangelium 1977

Rezensent:

Suhl, Alfred

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205

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 3

200

Herrn" (Ohlig S. 313) mehr Erinnerungen an gnostische
Geheimbibliotheken hervorgerufen als an jenes Wort, das
nach Origcnes deswegen alle Literatur weit hinter sich läßt,
weil an ihm eine ganze Welt satt werden kann, ohne es je
zu erschöpfen.

Naumburg Wollgarn? Ullmann

Schmahl, Günther: Die Zwölf im Markusevangelium. Eine redaktionsgeschichtliche
Untersuchung. Trier: Paulinus Verlag 1974.
XIII, 170 S. gr. 8° = Trierer Theologische Studien, hrsg. von
der Theologischen Fakultät Trier, 30. Kart. DM27,—.

Diese von K. Kertelge angeregte und betreute Dissertation
führl mit sorgfältigen Einzelanalysen die These aus,
'Ii'' Kertelge in seiner Münsteraner Antrittsvorlesung vom
18.4. I!l(>!) über .,I)ie Funktion der ,Zwölf im Markusevangelium
. Eine redaktionsgcsehiclitliehe Auslegung, zugleich
ein Beitrag zur Frage nach dem neutestamentlichen
Amtsverständnis" (TThZ 78. I!>6!) S. 193-206) nur kurz
skizziert hat. Mit ihrem didaktisch geschickten Aufbau,
ihrer methodischen Sorgfalt und ihrer wohltuend klaren
Diktion gehört die Untersuchung von Schm. zu den Untersuchungen
, die die Arbeit an dem in mannigfacher Hinsicht
so schwierigen ältesten Evangelium wesentlich zu
fördern vermögen.

Nachdem in Kap. I („Exegese-geschichtliche und sachliche
Vorbemerkungen", S. 1-17) ein knapper Überblick
über die gegenwärtige Diskussion gegeben und der marki-
nische Anteil an den neutestamentlichen (fcVI'txa-Stelleil
statistisch erhoben wird, wendet Kap. II („Die Zwölf in
der Traditionsgeschichte vor und neben Markus", S. 19
bis 41) sich dem vormarkinischen Verständnis der Zwölf
zu (1 Kor 15,5 und Mt 19,28 Lk 22,28-30), wobei jeweils
auf Kontextanalyse und Litcrarkrit ik eine ebenso sorgfältige
wie umsichtige Einzelinterprctation folgt, in der
das ursprüngliche Verständnis vom redaktionellen Zusammenhang
abgehoben wird. Ein Abschnitt über den alt-
testamentlich-jüdischen Hintergrund der neutestamentlichen
Zwölferanschauung (S. 36^41) informiert kurz und
übersichtig über die Zwölf im Zeugnis des Alten Testaments
, in der jüdisch-apokalyptischen Literatur und im
Schrifttum von Qumran. Das Ergebnis sichert das Verständnis
des frühchristlichen Hildes von den Zwölfen als
einer eschatologischen Größe. „Im Offenbarungsgeschehen
der Erscheinung des Auferstandenen vor den Zwölfen ereignet
sieh die endzeitliche Sammlung des neuen Israel.
Die neue Heilsgemeinde erblickt zunächst in den töitx«
ihre cschatologiseh begründete liepräsentation, Träger
einer rein futurischen Funktion" (S. 41).

Von diesem ältesten Verständnis unterscheidet sich die
Auflassung des Markus in charakteristischer Weise. Diese
wird im Kap. II] („Die Zwölf im Markusevangelium'',
S. 43-109) in detaillierten und überzeugenden Einzelana
Jysen erhoben. Untergliedert wird in „Die Einsetzung der
«Wölf 3,13-10" (S. 44-67), „Die Aussendung der Zwölf
o>7-13.30" (S. 67-81), „Die Zwölf in Einleitungen zu Lo-
gien Jesu" (S. 82-95), „Die Zwölf im Zusammenhang mit
«'er Leidensgeschichte" (S. 96-106) und „Die Zwölf in der
'^peisungsgeschichte 6,34^4" (S. 106-10!)), wobei die
^»peisungsgeschichte als „indirekte" Zwölferperikope bezeichnet
wird, da die hier genannten Jünger nach dem
redaktionellen Zusammenhang 6,30-33 eindeutig die
Zwölf sind.

Drängte sich in diesem umfangreichen Hauptteil der
Untersuchung immer mehr die Frage nach dem Verhältnis
der Zwölf zu den übrigen Jüngern auf, so bietet das folgende
Kap. IV („Die Zwölf und die Jünger", S. 111-140)
alsbald die gewünschte Klärung, indem zunächst („Die
.•lünger' im Markusevangelium", S. 111-114) nachgewiesen
wird, daß Markus eine dreifache Verwendung des ter-

minus uaörtT«i kennt, wobei entweder (a) nur die Zwölf
oder (b) eindeutig die Zwölf und ein weiterer Jüngerkreis
gemeint sind, während an anderen Stellen (c) die genaue
Umfangsbegrenzung in der Schwebe bleibt. Nach einer
kurzen Untersuchung der Jüngerberufungen 1,16-20; 2,14
(S. 114-116) werden alsdann „Jünger und Jüngerschaft
nach 8,27-10,52" (S. 116-122) und „Das Jüngerunverständnis
" (S. 122-125) erörtert, um auf diesem Hind i
grund „Die Beziehung zwischen uafrrjai und <K>thxu
(S. 125-128) zu klären, während „Die drei Sonderjünger"
(S. 128-139) und „Die Gruppe der Vier" (S. 140) abschließend
noch gesondert behandelt werden. Kap.V(,,Das
Zwölferbild des Markusevangeliums", S. 141-148) bietet
eine Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse
mit einem Ausblick auf die Weiterentwicklung bei Matthäus
und Lukas.

Es gelingt Schm. mit dieser Arbeil der auch im einzelnenüberzeugende
Nachweis, daß Markus die ältest greifbare
Auffassung vom Zwölferkreis, nach der es sieh um
eine vornehmlich theologische Größe handelt, bei der die
(tioihxn als Analogiegröße zum Zwölf-Stämme-Verband
Israel vorgestellt sind und somit rein futurische Funktion
haben, dahingehend verändert, daß er in ihnen eine konkrete
Größe sieht, die in einer bestimmten Zeit wirksam
war. „Die eschatologische Funktion, welche die frühe
Überlieferung den Zwölfen zuerkannte, findet sich bei
Markus in eine konkrete geschichtliche .Aufgabe umgedeutet
" (S. 143). Zwar überträgt der Evangelist „Züge,
die für sein Jüngerbild bestimmend sind, auf die Zwölf...;
die Zwölf sind demnach Jünger Jesu" (S. 126). Aber es
handelt sieh nicht um eine völlige Identität. Das wird in
Auseinandersetzung mit K. G. Reploh (Markus - Lehrer
der Gemeinde, Stuttgart 1969) gezeigt, der eben die historisch
einmalige Bedeutung der Zwölf als Verbindungsglied
zwischen Jesus und der späteren Gemeinde übersieht. ..Die
Zwölf sind für Markus eine feste Gruppe, die in einer bestimmten
Zeit wirksam war. Eben diese geschichtliche
Komponente fehlt dagegen dem Jünger begriff. Er ist in
dem Sinne undifferenzierter, als der Evangelist ihn auch
auf die Menschen ausdehnt, die in seiner Gegenwart dem
Ruf Jesu nachkommen und entsprechen" (S. 128).

Mit dieser Bestimmung wird Schm. sowohl dem unverkennbar
kerygmatisehen Anliegen des Markusevangeliums
als auch seiner ebenso unverkennbaren Historisierungs-
tendenz voll gerecht. Gerade das Phänomen der Entapo-
kalyplisiei'ung der früheren Tradition, wie sie insbesondere
in der Logien(|uellc nachweisbar ist , zeichnet das Markusevangelium
auch an vielen anderen Stellen aus. Sellin,
stellt zu Recht fest, „daß das älteste Evangelium nicht
nur gleichsam in nuce schon alle jene Züge enthält, die
Matthäus und Lukas später jeweils ihrer Konzeption entsprechend
weit er ent faltet und entwickeil haben, sondern
daß Markus gegenüber Matt haus und Lukas die originalere
und größere Leistung vollbrachte, als er innerhalb seines
Evangeliums .Jesu Christi,' überkommene Traditionen
über die Mftxa zu einem t heologisch eigenständigen unil
geschlossenen Zwölferbild zusammenfügte und als erster
diese Zwölf in bezog auf eine Funktion zeichnete, die im
weiteren Verlauf der synoptischen Tradition immer deutlicher
als .apostolische' in Erscheinung trat" (S. 148).

Nun noch die Kleinigkeiten aufzuzeigen, bei denen man
- wie immer - anderer Meinung sein kann, halte ich für
unangebracht. Sie würden das Verdienst des Verfassers
ebensowenig schmälern wie die Tatsache, daß er mit dem
schon genannton Aufsatz von Kertelge sein Ergebnis bereits
vorfand. (Man wird hier an die Zusammenhänge zwischen
G. Bornkamm: Die St urmst illung im Matthäus -
ovangelium. In: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium
. 2. Aufl. 1961, S. 48ff. und H. J. Held:
Matthäus als Interpret der Wundergeschichten. In: ebd.
S. I55ff. erinnert.) Es wäre eine Wohltat, wenn wir weiter
mit solchen Untersuchungen rechnen dürften, in denen das