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Ausgabe:

1977

Spalte:

201-205

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ohlig, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Die theologische Begründung des neutestamentlichen Kanons in der alten Kirche 1977

Rezensent:

Ullmann, Wolfgang

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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201

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 3

202

Ziehungen des Paulus zur Evangelien-Tradition(„one^nda gemacht. Selbst die Konferenz für (Hanl»- und Kirehen-
with little or nothing to be used as firm ground" zur Be- Verfassung sah sich 1963 in Montreal und 1967 in Bristol
antwortung der hier implizierten Fragen aus der bisherigen veranlaßt, das Thema Schrift und Tradition auf ihre
Diskussion. S. .'57) und über den Charakter und die Form Tagesordnung zu setzen. Aber gei ade der außerordentlich
von Anspielungen auf bekannte Texte oder f'berlieferun- weitgespannte Rahmen einer solchen Diskussion läßt allzu
gen. In diesem Abschnitt wird instruktiv eine weitge- leicht in Vergessenheit geraten, daß es in ihr auch um
spannte Literatur verarbeitet, leider aber kaum selb- historische Tatsachenbehauptungen geht, die weniger
ständig auf neutcstamentliche Texte zur Demonstration durch Diskussion als durch Quellenforschung entweder
des Ausgeführten zurückgegriffen. verifiziert oder widerlegt werden können.

In den folgenden Abschnitten werden 1 Kor 9, 1 Kor 4, Ein Hauptmotiv der angeregten Debatte dürfte die
I Kor 1,17-2,16 und 1 Kor 3 analysiert mit dem Ergebnis, Auffassung darstellen, daß der biblische Kanon uns
daß alle diese Texteinheiten gebildet sind unter bewußter Schwierigkeiten bereitet, da er auf eine Zeit zurückgeht,
Aufnahme von syn. f'herliefertingsstücken, deren An- der eine historisch differenzierende Kxcgese derart fremd
klänge die Briefempfänger verstanden haben. Für I Kor 9 war, daß sie meinte, Paulus und Jakobus in einem Sohrif-
wird man eine Tradition wie Lk 10,1-20 in der Tat als be- tenkorpus vereinen zu können. Weil ein solcher Satz nicht
kannt vorauszusetzen haben. Im übrigen aber hat mich nur ein historisches Urteil, sondern in nicht geringerem
der Vf. in keinem Punkt überzeugt. Kr hat gewiß recht, Maße eine zur Selbstverständlichkeit gewordene l'ber
wenn er sagt (S. 117), daß die Stärke eines Seils aas der zeugungdestheologisehenGegenwartsbcwußtseinsenthält,
Menge der einzelnen Fäden resultiert, auch wenn diese im wird oft übersehen, daß es sieh auch hier um eine Tat-
cinzclnen sehr sehwach wind. Aber sie müssen doch wenig- Sachenbehauptung handelt, die der historischen Nächstens
vorhanden sein und noch dazu in der genügenden prüfung unterliegt.

Menge! Ohligs Buch, eine 1969 von der Katholisch-Theologi-
Leidet ist die Arbeit auch im einzelnen bisweilen sorg- sehen Fakultät der Universität Münster angenommene
los. So behauptet F., um den Zusammenhang zwischen Promotionsarbeit, leistet einen wichtigen Beitrag zu einer
I Kor 3 und Mt 21,33 Mi zu erweisen, die Kombination solchen Nachprüfung. Ohlig hat reiches Material ZUSam
von olxodopht und yiwfydi sei nicht traditionell, sondern mengetragen, im wesentlichen den Zeitraum von den Apo-
„seems to be a New Testament constellafion, and (as stolisehen Vätern bist 'hrysostomus im Osten, Hieronymus
will be seen l'roni I Peter 2) ist not accidental" (S. 158). und Augustinus im Westen umfassend, das es hinfort nicht
Dabei hat gerade A. Fridriehsen „in mehreren Arbeiten mein' zuläßt, den Kanon als eine Art Zufallsprodukt anzu
nachgewiesen, daß die Verbindung der Bilder vom Acker- sehen, seine Entstehung regiert vom „Prinzip der Prinzi-
bau und Hausbau auch sonst häufig begegnet" (Kümmel, pienlosigkeit" (Aland, cf. Ohlig S. 25).
in: EL Lietzmann, An die Korinther I.II, 4. von W. G. Obwohl der Verfasser keine Kanongeschichte schreiben
Kümmel erg. Aufl. 1949, 171 ; dort auch die Lit.-Angaben). wollte, war es für ihn unerläßlich, seine Qucllenexzeipte
Umdie Anspielung von 1 Kor4auf Lk 16,1-15 zu erhärten, in diese einzuordnen. Obwohl ihm die neuere Literatur
sagt F. S. 115, das Wort xopof Lk 16,7 ,,is used in the wohlvertraut ist, folgt er hierfür meist älteren protestan-
vcrbal form in Paul's argument v. 8, xtxooinuLrot"; xüqut tischen Handbüchern, vor allem Leipoldts 1907 erschienein
Lk 16,7 aber hat nichts mit xogifyofu zu tun, son- ner Kanongeschichte. Das Bild, das sich für Ohlig ergibt,
dern ist die gräzisierte Form des hebräischen Wortes sieht dann folgendermaßen aus: Der mündlichen Tradition
kor. S. 155 A. 7 wird behauptet, J. Weiß biete in seinem folgt ihre schriftliche Fixierung. Dieser Vorgang spielt sieh
Kommentar zu 1. Kor, S. 78, für yulmyiov „only two zunächst gleichsam unbewußt ab. Erst etwa von der Mitte
eases in Greok with this word",; tatsächlich nennt Weiß, des 2. Jahrhunderts an wird auf die Schriftgestalt der
s- 74 A. 1 (wie es richtig heißen muß) aber noch drei LXX- Überlieferung theologisch reflektiert, und schließlich wird
Belege; im übrigen finden sich weitere Belege aus der diese so theologisch begründete Schrift ihrerseits wieder
griechischen Literatur sowohl bei Liddell-Scott als auch zur innerkirchlichen Norm, ein Zustand, der etwa mit dem
W. Bauer, s. v.-S. 71 A. 28 heißt es zu 1 Kor 9,1 „Habe 39. Osterfestbrief des Athanasius 367 und den drei afrika-
Jch nicht Jesus unseren Herrn gesehen?": „That is, the nischen Synoden von 393, 397 und 419 erreicht ist (Ohlig
historical Jesus", S. 94 A. 5 indessen redet mit Blick auf 8. 21).

die gleiche Stelle von „the appearance of the risen Lord". Gewiß sind das nicht gerade neue Erkenntnisse, aber

^u 8. 57 A. 74: die Angabe des Erscheinungsjahres des der Verfasser vermag an diesem Verlaufsbild die für seine

■Buches von F. W. Farrar mit „18??" ist in 1879 aufzu- ganze Abhandlung grundlegende These abzulesen: Der

'psen. Zu S. 148 A. 60: der Aufsatz von J. Schniewind, Die Eindruck der Willkür in den altkirchlichen Kanonkriterien

Arohonten dieses Äons, 1 Kor 2,6-8, ist in J. Schniewind, verschwindet in dem Augenblick, wo man erkennt, daß

Nachgelassene Heden und Aufsätze, hrsg. von Iv Kahler, diese Kriterien sich, dem Verlauf der Kanongeschichte ent

Berlin 1952, 104-109, zugänglich. sprechend, in drei klar voneinander geschiedene Gruppen

Ir einordnen lassen. Die erste, von Ohlig nicht gerade glück-

Ua"°(Saalc) *mm* HMt« lieh „äußere Kriterien" genannt, entstammt jener Phase

unrellekt ierten Übergangs von mündlicher zu sehrifl lioher

pr'J'i,l(:wil'l'ii(iiweit«riiiiircndeAri1eitrürci. ii jk'reicininriiiorangeschnittenen Tradition und umfaßt alles, was mit sachlicher und histori-

' J"gen hat I). |,. i)iinBan, I'he Siiyings iil .li siis iri tlie ('liuri lM's ol Paul. Ihe , Tr , c. , , , . . _ , ,. ..... „ , ,

«I... SviwpUe Tradition Iii Um- llegula.i......I Karlv Hme-h MI-. Pl.ilad.-I- scher Herkunft zu tun hat. wie Apostolizitat. Orthodoxie,

"•"»/Oxford 1971, vorgelegt, der l Kor ».4-2.1 and 7,1-1« unter dem Gesicht«- hohes Alter u. dgl. übrigens nimmt die Behandlung dieser

i'unKt nnterK.u-.li! wie Paulus im Vergleich mit der *vn. Tradition und Itedaktion .f _ a ■ . -rt r .

lf". «.'ilr.."'-!,!. Gruppe bei weitem den meisten Raum ein, fast 200 von

insgesamt 314 Seiten der Arbeit Ohligs.
Die zweite Gruppe enthält jene Kriterien, die der theo-

<„ .. logischen Reflexion auf die Schriftlichkeit des Kanons ent-

wtfc Karl-Heinzi Die theologische Begründung des neutesiament- stammen wie Herkunft von Jesus, Einheit und Inspiriert-

Sfen ^"""S in d" aHen Kirche- 7!Ä Patmos-Verlag hj Daher 8prioht Ohlig von „geistlichen Kriterien"
11W72J. 330 8. 8° = Kommentare und Beitrage zum Alten und rv , ... K ,9. .... "» . , ., „ ' ■

Neuen Toscament. Kart S,-. . . D!Vl Z ° W sc^}ich bezieht sich auf die inner-

kirchliche Rezeption: Anerkennung bei möglichst vielen

Was ist im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht alles zur angesehenen und alten Gemeinden, liturgische Lesung und

KiiiionlVagc geschrieben worden! Käsemanns bekannte ähnliches.

Aufsatzsamnilung von 1970 hat das Panorama der ge- Wenn die einzelnen Teile des Buches auch sehr unter-

Htißerten Meinungen einem breiteren Publikum bekannt- schiedlichen Umfang haben, so entspricht die Gliederung