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Ausgabe:

1977

Spalte:

184-186

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jettmar, Karl

Titel/Untertitel:

Die Religionen des Hindukusch 1977

Rezensent:

Mensching, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 3

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Ostermorgen erinnert, dem auch ein vorchristliches Friih-
lingsfest zugrunde liegt. Ein Hauptereignis dieses Abends
mit kultischer Bedeutung ist das Anzünden des Johannisfeuers
, meistens an erhöhten Stellen. Mit dem Feuer ist
der Tanz um das Feuer verbunden. B. betont mit Recht,
daß der Tanz zu den stärksten Ausdrucksmitteln des religiösen
Kultes gehört, neben dem Opfer als die wichtigste
Kulthandlung. Als ein bedeutsames Merkmal dieses Festes
ist auch das Mahl zu nennen. Der religiöse Sinn auch dieser
Handlung wird in vielen Liedern deutlich. Eine wichtige
Rolle spielt hierbei das Bier, auch der Käse ist von Bedeutung
. Die Teilnehmer dieses Mahles verzehren die dargebrachten
Opfergaben zusammen mit der Gottheit oder
deren Repräsentanten. In diesem Zusammenhang wird auf
Grund verschiedener Texte die Frage nach der Menthül
der Johannesfrau und Säule erhoben. Aber noch komplizierter
wird es, wenn Jänis selber mit Säule identifiziert
w ird (358ff.). Aus anderen Texten geht hervor, daß die
Johannesnacht die Hochzeitsnacht des Jänis ist. B. versucht
auf psychologischem Wege eine Deutung zu geben,
um Licht in diese verworrenen Familienverhältnisse hin
einzubringen. Aber es isl auch zu seilen, daß Logik in der
Religion sowieso nicht entscheidend ist. Gerade der ..Synkretismus
" (376ff.), der an dieser Verwirrung beteiligt ist,
fragt nicht danach, auch sogar dann nicht, wenn Jänis
und nicht Jesus Gottessohn genannt wird. Auch mögen
hier wohl ältere und jüngere Vorstellungen miteinander
verwoben sein. '

In einer großen Zahl von Dainas werden in besonderer
Weise die „Gottessöhne" (Dieva deli) und die „Sonnentöchter
" (Saules meitas) genannt, und B. wendet sich diesen
im 3. Teil zu (417-493). Es handelt sich um mythische
Vorstellungen, deren symbolische Bedeutung bis heute
verschieden interpretiert wird. Diese Töchter und Söhne
arbeiten eng zusammen, wie es eine bäuerliche Wirtschaft
erfordert. Handwerk und Jagd gehören dazu. Die Pferde
werden nicht nur geritten, sondern auch vor den Wagen
gespannt. Daneben gibt es gemeinsame Spiele und Tänze.
Aber auch Zank und Zwietracht bricht unter ihnen aus,
was wieder auf Dievs und Säule zurückwirkt. Dichterisches
Naturerlebnis und mythische Naturerfahrung mögen
hier ihren Ausdruck gefunden haben. Aber auch der Synkretismus
kommt wieder zum Vorschein. Es ist wohl einmalig
in der Tradition der christlichen Völker, daß Jesus
mit der Rute in der Hand zur Hütung geht und die Hl.
Maria die Kühe melkt. Um die Dinge noch weiter auszuführen
, wird darauf hingewiesen, daß die in den Dainas
erwähnten Gottessöhne ihrem Wesen nach den griechischen
Dioskuren entsprechen und diese wiederum im Zusammenhang
mit den Asvins des Vcda zu sehen sind. Auch
die „Töchter" sind verschiedentlich mit der griechischen
Eos und weiter mit der altindischen Lsas verglichen worden
. Aber es handelt sich nur um typologische Entsprechnungen
, nicht um Identitäten. Geht man auf die
ursprünglichen Jettischen Bezeichnungen der „Sonnentöchter
zurück - divo duhitä und dieva dukryte -, so
kann man hier altes gemeinsames indoeuropäisches Ei be
feststellen, aber hier wie dort haben sich diese Bezeichnungen
auf Grund eines Natursubstrats für die Morgenröte
selbständig ent wickelt.

Das Thema der „himmlischen Hochzeit ' nimmt sich B.
am Ende noch kurz vor (494-527). Auch hier gibt es sofort
Unklarheiten, ob die Braut die Sonne oder deren
Tochter ist. Aber wie schon gesagt, Logik soll man in der
Religion nicht suchen. Jedoch der Hochzeitsablauf stimmt,
denn die alten Letten kannten die Ordnung der Brautschau
, Heiratsantrag und Verlobung, nicht einmal Handschlag
und Ring fehlen. Auch auf die Aussteuer oder
Brautschatz wird großer Wert gelegt. Daß Säule selbst als
Führerin des Brautschatzes auftritt, betont ihren Wohlstand
und Reichtum. Auch die verteilten Geschenke entsprechen
der lettischen Hochzeitstradition. Was den

Freier betrifft, so gibt es Texte, die den Morgen- und
Abendstern (Auseklis) als solchen benennen, aber auch
Texte, die dem zu widersprechen scheinen. Auch über die
Zeit erlauben die Texte keine sichere Datierung und widersprechen
einander. Aber das vorhandene Material weist in
die Vergangenheit zurück und hat Züge, die der altindischen
himmlischen Hochzeit völlig entsprechen. Zum
Schluß geht B. noch auf die Erwähnung von Feindseligkeiten
zwischen den lettischen Göttern, wie sie auch
andere Religionen kennen, ein (527ff.) und macht auf
einen Zug der lettischen Mythologie aufmerksam, der in
anderen Religionen keine Entsprechungen hat. (539ff.),
nämlich die „himmlische Badestube". In den Dainas gibl
es anschauliche Beschreibungen über die Versammlung
der Götter in der Badestube und ihre Handlungen dort.
Säule, ihre Töchter und die Gottessöhne sind häufige Benutzer
derselben. Säule heizt sie sogar und erhitzt die
Steine. Auch der Badequast wird nicht vergessen. Eine
Erscheinung des lettischen Synkret ismus ist, daß auch die
hl. Maria in der Badestube Dienst tut und so an die Stelle
einer vorchristlichen Göttin tritt. Daß die Badest übe hier
so /.nr Sprache kommt, ist mit der großen Rolle zu erklären,
die sie im Leben der lettischen Bauern spielt. I>. hat
wiederholt darauf hingewiesen, wie eng das lettische
bäuerliche Leben mit einer überzeitlichen mythischen Well
verbunden war.

I )as Buch enthält ein ausführliches Literaturverzeichnis,
ein Sach- und Namenverzeichnis und ein solches der benutzten
Dainas (556 593).

B. bemerkt selber, daß manche der von ihm gegebenen
Lösungen der Probleme nur als vorläufig anzusehen sind,
und daß es den Minsatz vieler Forscher über längere Zeil
verlangt, um weitere Untersuchungen durchzuführen. Vor
allem wünschte man mehr über das kultische und soziaI
religiöse Leben zu erfahren, das zum Kern der Vorstellungswelt
führt. Wer aber dem Verfasser in seinen Ausführungen
folgt und die Möglichkeit hat, die entscheidenden
Begriffe auch in der baltischen Sprache zu kennen und
zu verstehen, wird spüren, daß in diesem Buch ein wichtiger
Beitrag nicht nur zur baltischen Religionsgeschichte,
sondern zur allgemeinen Religionswissenschaft überhaupt
vorliegt.

Wilhelm-I'ieck-Stnclt Guben Martin Killus

u. Leipzig Kurt lludolpli

Jettmar, Karl: Die Religionen des Hindukusch. Mit Beiträgen von
Sch. Jones u. M. Klimburg. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz:
Kohlhammer (1975). 525 S. m. 24 Abb., 2 Faltktn gr. 8° = Die
Religionen der Menschheit, hrsg. v. Ch. M. Schröder, 4,1. I.w.
DM 98,—.

Dieses umfangreiche Werk behandelt das wenig be
kannte, in sich jedoch mannigfach dill'erenzierte Religionsgebiet
des Hindukusch, im Nordwesten Afghanistans. Gfl
plant sind zwei Bände über Religionen Zentralashins,
deren erster hier vorliegt. Der zweite Band soll die Religionen
Mittelasiens, Südsibiriens und Kaukasiens behau
dein. Dem Werk liegt die Erfahrung zugrunde, daß eigenständige
Traditionen der Hindukusch-Völker sich bis
heute, auch nach der längst erfolgten Jslamisierung, erhalten
haben, aber unbekannt geblieben sind. Der Vf. ver
steht seine Aufgabe (S. 27) so, daß er durch Mitteilung
großenteils eigener Feld forsch ungen und in detaillierter
Auseinandersetzung mit den Arbeiten anderer Fcldfor-
scher einen Aspekt in dem kulturhistorischen Gesamtbild
der Religionen des Hindukusch systematisch und dem
modernen Standard entsprechend behandeln will.

Das vielschichtige Material ist in fünf Abschnitte eingeteilt
: Die Religion Kafiristans (S. 29 .185), Religiöse
Traditionen der Shinasprecher und Bumschus (187-323),
Die Religion der Kalasch (S. 325-412), Religiöse Tradi-