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Ausgabe:

1977

Spalte:

179-184

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Biezais, Haralds

Titel/Untertitel:

Die himmlische Götterfamilie der alten Letten 1977

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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17'J

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 3

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zeichen der Kirche nicht nur unterschiedlich, sondern
auch von CA VII abweichend bestimmt werden. Den
Grund dafür sieht er in einer quantifizierenden Wertung
des Glaubensinhaltes, der eine betonte Bezugnahme auf
das aktive Verhalten der Glieder der Kirche entspricht.

Zwei Arbeiten machen den Tod zum Gegenstand theologischer
Reflexion. J. Klaer schreibt anregend über den
„Tod Jesu im Lichte der Verkündigung Jesu" (173-191).
Ausgehend von der Feststellung, daß der Tod als solcher
nicht stumm macht, bemüht sich K. um den Nachweis,
daß die eigentümliche Beziehung von Tod und Auferstehung
dem Verhältnis von Senfkorn und Staude, von
Acker und Schatz, von Perle und Wert in den Gleichnissen
Jesu entspricht. Indem Jesus hier die Gottesherrschaft
nicht nur ansagt, sondern der menschlichen Armut
bereits zusagt, ist seine Verkündigung vorausverkündigtes
Evangelium, dem seine Geschichte bis hin zur Übernahme
des Todes entspricht. - B. Hildebrandt reflektiert über
den dogmatischen Satz vom Tod als Sold der Sünde (193
bis 208). Einsetzend bei der Erkenntnis, daß dies nur ein
Aspekt des Todes ist, entfaltet er in Abhebung von anderen
Formen des Todesverständnisses das hier vorausgesetzte
personale Todesverständnis, um abschließend zu
betonen, daß der Kausalzusammenhang von Sünde und
Übel primär im Rahmen des Sozialen und Überindividuellen
gesehen werden muß.

Endlicli seien noch zwei gewichtige Beiträge genannt,
die unmittelbar der theologischen Besinnung der Gegenwart
dienen möchten. J. Wiebering äußert sich in überzeugender
Weise „Zur Bedeutung der reformatorischen
Bekenntnissehriften in der Gegenwart" (157-172). Indem
er grundsätzlich und im Blick auf ihre „Ursprungs-
Geschichte" die Situationsbedingtheit der Bekenntnisschriften
herausarbeitet, gelangt er zu der These, daß sie
heute weder den hermeneutischen Schlüssel für die Schriftauslegung
noch den Maßstab für das aktuelle Bekennen
bilden können. - „Impulse aus der Theologie Bonhoeffers
für den Weg der Christen in der sozialistischen Gesellschaft
der Deutschen Demokratischen Republik" entwickelt
A. Schönherr in einem zunächst in England,
dann in Berlin gehaltenen Vortrag (121-135). Unter den
Stichworten Gerechtigkeit, Macht, Wirklichkeit und Religion
zeichnet er einerseits knapp und klar die Positionen
des Marxismus nach, um dann andrerseits aus den nachgelassenen
Briefen Bonhoeffers hilfreich und eindrucksvoll
Wegweisung für das Leben der Christen in der DDR zu
gewinnen. Jeder, der hier Rat oder Information sucht, sei
nachdrücklich auf dieses bischöfliche Votum hingewiesen.

Greifswald Günter Haufe

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Biezais, Haralds: Die himmlische Götterfamilie der alten Letten.

Uppsala: Almquist & Wikseil 1972. 593 S. gr. 8° = Acta Uni-
versitatis Upsaliensis. Historia Religionum, ed. by C.-M. Eds-
man & T. Widengren, 5.

Während die indogermanische Sprachwissenschaft schon
seit ihren Anfängen im 19. Jh. die Bedeutung der baltischen
Sprachen (d. h. die der Preußen, Letten und Litauer)
für ihre Arbeit erkannte, hat die Religionsgeschichte und
Vergleichende Religionswissenschaft dieses Gebiet mehr
oder weniger umgangen. Die Gründe dafür sind unterschiedlicher
Art und sollen hier auch nicht dargestellt werden
. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß eigentlich
ei st mit H. Biezais, jetzt Professor für Religionsgeschichte
an der Abo Akademi in Finnland, die moderne religionswissenschaftliche
Erforschung der baltischen Religionen
eingesetzt hat und er auch ihr weiterhin bedeutendster
Kenner bis heute geblieben ist. B., der seine erste Aus-

bildungnoch in Riga erhielt, hat von Uppsala aus, wo er
zu dem Kreis der Schüler von C. M. Edsman gehörte, mit
einem immensen Werk begonnen, nämlich eine von Grund
auf neue Untersuchung und Interpretation der Quellen
zur lettischen Religionsgeschichte. Das vorliegende, bisher
umfangreichste Buch setzt die älteren Arbeiten, wie „Die
Hauptgöttinnen der alten Letten" (1955) und „Die Gottesgestalt
der lettischen Volksreligion" (1961), fort. Inzwischen
liegen auch zwei zusammenfassende; Darstellungen
aus seiner Feder vor: der Artikel „Baltic Religion" in der
Encyclopaedia Britannica (1974, S. 664-667) und die
„Baltische Religion" in C. M. Schröders „Religionen der
Menschheit", Band 19,1 (Ä. V. Ström/H. Biezais, Germanische
und baltische Religion, Stuttgart 1975, S. 311-384,
mit ausführlicher Bibliographie). Sie bieten die derzeit
einzigen zuverlässigen Informationen über den Stand der
Forschung in diesem Bereich. Was die Darstellungen von
B. über die hervorragende Quellenkcnntnis hinaus auszeichnet
, ist seine Abneigung gegen kühne Theoriebildungen
, wie sie die neuere indogermanische Religionsgeschichtsforschung
vor allem in Gestalt der Konzeption
von G. Dumezil besitzt. Skeptisch geworden durch die
ältere Forschungsgeschichte seines Spezialgebietes, in der
Phantasie, Romantik und nationalistische Schwärmerei
oft ihr Unwesen getrieben hatten, hat sich B. bewußt von
der Dumezil'schen Theorie ferngehalten und so sicherlich
auf längere Sicht ein nicht von solchen zeitgenössischen
Ideen beeinflußtes Werk geschaffen. Er schreibt dazu anläßlich
einer Auseinandersetzung mit der „doctrina Dume-
ziliana" in den Idg. Forsch. 78, 1973, 231-237, daß die
These Dumezils von der dreiteiligen Sozialstruktur und
der ihr entsprechenden Ideologie und Götterwelt der Indo-
germanen nur für den Fall als richtig anzusehen ist, „daß
eine solche Sozialstruktur historisch festgestellt werden
kann. Mit anderen Worten: dieses Schema ist nicht universal
, denn viele Völker, die zur indoeuropäischen Sprachenfamilie
gehören, kennen nicht solch eine dreiteilige
soziale Schichtung, oder wenigstens ist es nicht bekannt,
daß sie eine solche gehabt hätten" (236).

Diese kritische Haltung zu einer Richtung der Indogermanistik
schließt nicht aus, daß sich B. sehr wohl des
Wertes der baltischen Sprachen, ihrer religiösen Begriffe
und Inhalte für die vergleichende idg. Forschung bewußt
ist; sie stehen dem Sanskrit und dem vedisehen Schrifttum
sehr nahe. Das Material und die; Quellen, auf die sieh
B. bei seinen Forschungen in der Hauptsache stützt-, sind
nicht Archäologie und historische Dokumente über die
Bedeutung derselben weiß er selbst am besten Bescheid -,
sondern die Volksüberlieferung, wie sie vor allem in der
Form der alten, meist vier/eiligen Lieder, den Hainas, er
halten ist. Sic sind darum wertvoll, weil sie Vorstellungen
enthalten, die anderswo verlorengegangen sind. Beziehungen
zwischen ihnen und dem Rigveda sind von Forschern
schon lange gesehen worden. Kein europäisches
Volk hat eine solche Fülle von Hainas aufzuweisen, wie sie
hier in verschiedenen Sammlungen vorliegen. B. bringt
eine Reihe von ihnen in Ursprache und Übersetzung als
Belege für seine Ausführungen. Allerdings nicht ohne Textkritik
, und darum auch nicht ohne Auseinandersetzung
mit anderen Forschern, die oft zu anderen Ergebnissen gekommen
sind. Das Problem, inwieweit diese Texte bis in
Urzeiten zurückreichen, bleibt natürlich bestehen; ihre
Konfrontation mit den historischen Quellen ist nur in beschränktem
Maß möglich, darf aber nie aus dem Auge
gelassen werden.

Für B. ist ein Hauptmerkmal der baltischen, speziell
der lettischen Religion, daß sie eine typische Astraheligion
sei, d. h. in ihr spielt der personifizierte Himmel und die
wichtigsten Himmelskörper (Sonne, Mond und Morgen
stern) eine dominierende Rolle. Ferner ist es ein besonderes
.Merkmal der baltischen Gottheiten, daß sie eine Familie
haben und auch untereinander Familien bilden ; allerdings