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Ausgabe:

1976

Spalte:

151-153

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Reinhold

Titel/Untertitel:

Die eigenberechtigte Gewalt der Kirche 1976

Rezensent:

Liermann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 2

152

und praktisch, denn der Vf. helegt, seine Theorie an Beispielen
aus der inner- und außer amerikanischen Praxis
der Gemeinden.

Das Buch gibt, also eine gute Zusammenfassung der
Diskussion in Übersee und macht deutlich, daß diese
Diskussion die unsere ist.

Dresden Dietrich Arendt

KIRCHENRECHT

Schwarz, Beinhold: Die eigenberechtiglc Gewalt der Kirche

Koma: Universitä Gregoriana Editrice 1974. XXXV,
141 S. gr. 8° = Analecta Gregoriana. Cura Pontifioiae
Universitatis Gregorianae edita, Vol. 196. Series Facult.atis
Iuris Canonici: Sectio B, n. .'{4. Lire 4300,—.

Die in die Tiefe gehende, subtile theologische, juristische
und allgemein logische Gedankenarbeit aufweisende
Untersuchung grenzt zunächst den Begriff der
eigenberechtigten Gewalt der katholischen Kirche von
dem Begriff der stellvertretenden Gewalt ab. Im geschichtlichen
Hauptteil wird an Hand eines umfangreichen
Quellenmaterials dargestellt, wie es zur Entstehung
des Begriffs im Laufe der Jahrhunderte gekommen
ist. Und schließlich wird im Schlußteil gezeigt,
d:iß in der ekklesiologischen Sicht des Zweiten Vatikanischen
Konzils der Begriff der eigenberechtigten Gewalt
der Kirche eine entscheidende Wandlung erfahren
hal.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Auffassung
der Kirche als vollkommene Gesellschaft (societas perfecta
). Als solche genügt sie im Kähmen ihrer Zweckbestimmung
sich selbst. Sie ist also von anderen Gewalten
unabhängig. Eine Folge dieser Selbstgenügsamkeit
ist, daß sie Autorität, Souveränität - der Vf. wendet
diesen für den Staat gebräuchlichen Ausdruck auch auf
die katholische Kirche an - und daraus hervorgehend
Jurisdiktion besitzt. Das kommt am besten in der
knappen lateinischen Formel zum Ausdruck: Potestas
propria est potestas Ecclesiae qua societatis perfectae
(S.37).

Die eigenberechtigte Gewalt der Kirche ist darin begründet
, da." sie - ebenso wie der Staat - dem Gemeinwohl
dient, wenn auch das von ihr erstrebte Gemeinwohl
einen anderen Inhalt hat als dasjenige, dem der Staat zu
dienen hat. Dabei beinhaltet die kirchliche Gewalt zwei
Zweige: die Hirtengewalt und die Lehrgewalt. Die Betonung
der Lehrgewalt nicht als Ausfluß der Hirtengewalt
, sondern als ihr verselbständigter Teil neben ihr
hat sich im Laufe des 19. Jh.s durchgesetzt. Der Vf. führt
das - für Leser dieser Zeitschrift nicht ohue Interesse -
auf Einflüsse der protestantischen Theologie zurück
(S.26ff.). Die eigenberechtigte Hirten- und Lehrgewalt
wird durch kirchliche Gewaltträger (Papst, Bischöfe,
Pfarrer und andere Kleriker) ausgeübt. Rechtlich kann
sie dem Gewaltträger eigen sein oder von ihm auf andere
delegiert werden.

Im geschichtlichen Hauptteil wird an Hand der eigenberechtigten
Gewalt der Kirche das Verhältnis von
Kirche und Staat von den Anfängen bis zur Gegenwart
im Wandel der tragenden Ideen dargestellt. Der Begriff
der vollkommenen Gesellschaft ist zuerst von Aristoteles
auf den Staat angewandt worden. Thomas von Aquino
hat ihn übernommen. Aber für ihn war die societas perfecta
nicht mehr der Staat allein, sondern die mittelalterliche
Einheit von Staat und Kirche. „Die ganze
Zeitepoche des Mittelalters ist geradezu von der Idee der
Einheit besessen" (S.41). Man begriff den Staat als den
Leib und die Kirche als die Seele der einen Christenheit.

Aber trotz aller Einheit mußte man die Tatsache, daß
neben der kirchlichen die staatliche Gewalt .wirksam
war, anerkennen. Dem Dualismus mußte Rechnung getragen
werden. Papst Gelasius versuchte ihm in seinem
Brief von 494 an den oströmischen Kaiser Anastasius I.
eine Ordnung zu geben, indem er schrieb:

,,Zwei sind es ja, erhabener Kaiser, von denen diese
Welt vornehmlich regiert wird, die geheiligte Autorität
der Bischöfe und die herrscherliche Gewalt ... Christus
hat... weise abwägend die Rechtsbereiche beider Gewal
ten in eigenständige Betätigungsfelder und wohlgetrennte
Würden geschieden ... So sollten die christlichen
Kaiser für das ewige Leben der Bischöfe bedürfen,
die Bischöfe dagegen im Bereich der irdischen Dinge
nach den kaiserlichen Gesetzen leben. Das geistliche Amt
hielte so Distanz von allem weltlichen Ding ... und umgekehrt
vermiede mau den Anschein, als wolle der auch
die göttlichen Dinge in die Hand nehmen, der die Geschäfte
dieser Welt führt" (S.73f.).

Der gelasianische, auf dem Gedanken der letztlichen
Einheit von Leib und Seele beruhende Dualismus fand
mit dem ausgehenden Mittelalter sein Ende. Seit dein
Beginn des 14. Jh.s trat eine „Wende zum gesellschaftlichen
Dualismus" (S. 49) ein, indem man in einem immer
fortschreitenden Maße dem Staat eine von der Kirche
unabhängige Eigenständigkeit zuerkannte, selbstverständlich
ohne ihm damit den Vorrang vor der Kirche
einzuräumen. „Als erster hat ... Wilhelm von Ockham
... den Begriff der potestas propria einer spekulativen
Betrachtung unterzogen und ihn damit zu einer allgemein
üblichen Bezeichnung der je eigenen Gewalt von
Papst und Kaiser gemacht" (S.80). Der Einfluß Ock-
hams auf die Gedankenwelt der Reformatoren ist bekannt
.

Das politische Geschehen der Reformationszeit hat dazu
geführt, daß die Idee des Unum Corpus Christianum
nur noch im partikularistischen Landeskirchentum des
Augsburger Religionsfriedens in Erscheinung treten
konnte (cuius regio eius religio). Dabei trat das Übergewicht
der staatlichen Gewalt mehr und mehr in Erscheinung
. Im Kollegialsystem Pufendorfs erreichte es seinen
Höhepunkt und Abschluß (S.54ff.). Die Kirche ist Colle-
gium im Staate neben anderen Vereinigungen und ihm auf
diese Weise unterworfen. Er hat das ius inspectionis über
die Kirche, die seinem Vereinsrecht unterstellt ist. Auch
die Stellung der Kirche im modernen Verfassungsrecht,
als „Körperschaft des öffentlichen Rechts" beruht auf
dem Kollegialismus (S.58, Anm.100).

Das protestantische Kollegialsystem hat alsbald die
katholische Kanonistik auf den Plan gerufen. Es war im
besonderen eine Würzburger Schule von Kanonisten, die
dagegen auftrat. Die Auseinandersetzungen fanden ihre
Fortsetzung im 19. Jahrhundert. An die Stelle der konfessionellen
Polemik trat jedoch die politische. Die katholischen
Kanonisten bekämpften den Liberalismus,
weil er die dem Staat unterstellte Kirche zum Programm
erhoben hatte.

Im 19. Jahrhundert entwickelte die katholische Theologie
eine neue Lehre von der Kirche. Sie sah die Kirche
als sakramentale Einheit, als das „große Sakrament"
(S.114, Anm.29), als das „Volk Gottes" (S.120), eine
Auffassung, welche die Kirche weit über ihre in der
heutigen Welt als unzulänglich empfundene Stellung als
societas perfecta hinaushebt. Sie hat sie in einer anderen
Sphäre dem Zugriff des Staates entzogen. Das Vaticanum
II hat den sakramentalen Kirchen begriff übernommen
und damit die neue katholische Lehre von der
Kirche anerkannt.

Der Verfasser sieht in einer abschließenden Zusammenfassung
die eigenberechtigte Gewalt der Kirche als
„stellvertretende Gewalt im Hinblick auf Christus, in