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Ausgabe:

1976

Spalte:

139-145

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Erfahrung und Theologie des Heiligen Geistes 1976

Rezensent:

Peters, Albrecht

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 197G Nr. 2

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deren Editionen, was vermutlich in Japan auch gar
nicht anders möglich war. Bs gehl ihr darum, das mittelalterliche
Modernitätsbewußtsein, oft genug unterschätzt
, und die natürlich von Konflikten begleitete
Abgrenzung zu den alten Autoritäten aus der Perspek
tive möglichst vieler Bereiche zu erfassen. So sind eigene
Kapitel der Historiographie, der Philosophie und der
Literatur gewidmet, ehe in den letzten drei Abschnitten
die hier wohl am meisten interessierende Theologie ius
Blickfeld rückl, obzwa r diese seil ist verst ändlich während
des Mittelalters in allen Disziplinen eine normative
Rolle spielte.

Nachdem in der Einleitung ('assiodorus Senn tor gleich
sam als Erfinder der Antithese antiquus modernus
und einer entsprechenden Wertung der beiden Begriffe
herausgestellt wurde, bringt das nächste Kapitel 'Belege
aus der mittelalterlichen Geschichtsschreibung Uber die
Anwendung des M.odernitätsbegriffes für die eigene Zeit,
über die Idee der Renoval io, wodurch Modernität trotz
übermächtigem Autoritätsbewußtsein akzeptabel erschien
, und endlich über die Periodisierung der (}e-
schichte mit diversen Translationslehren und escha-
tologischen Bezügen. In der mittelalterlichen Philosophie
wandelte sich bekanntlich der Begriff „modernus"
zur Schulbezeichnung und ist in gewissem Maße durch
Fortschrittsdenken charakterisiert. In der Literatur
geht es um die letztlich nicht zu entscheidende Streitfrage
, was das Studiuni der Alten nütze, wie vorbildlich
sie in Grammatik und Poesie noch seien. Für die Theologie
ergab sich die Unterscheidung von alt und neu bereits
aus biblischen Wendungen, die das Neue deutlich besser
als das Alte bewerten, unmöglich blieb jedoch jede
Glaubensneuerung. Vor allem Petrus Lombardus wird
hier in einem leider recht kurz gehaltenen Überblick
besprochen, weil die Autorin auf eigene frühere Arbeiten
verweisen kann. Im theologischen Lehrbetrieb stund
dann die ockhamistische via moderna den früheren
scholastischen Systemen entgegen, aber es ist durchaus
nicht so, daß jene besonders progressiv gewesen sei, vielmehr
waren später im Zuge der theologiegeschichtlichen
Entwicklung die perhorreszierten Alten oft moderner als
die sogenannten Neuen. Gössmann faßt das Phänomen
unter der Überschrift „das Stagnieren von Begriffen".
So hal. sich auch die devotio moderna in reformatorischer
Tendenz bekanntlieh auf die vorbildlichen Zeiten der
ecclesia primitiva berufen. Ein Ausblick geht schließlich
von der Renaissance und dem Humanismus in neuere
Zeiten, die dargelegten Aspekte weiterverfolgend, aber
auch die zunehmende Verflachung des Modernitätsbegriffes
nachweisend.

Der Rezensent hat in diesem gut geschriebenen Buch
nicht allzuviel Neues gefunden. Er empfiehlt aber die
Lektüre wegen der einsichtigen Darlegungen ither das
erste Aufkommen und den Wandel der Begriffe vor dem
Hintergrund der historischen Situation.

Saarbrücken Harald Zimmermann

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Heitmann, Claus, u. Heribert Mühlen [Hrsg.]: Erfahrung und
Theologie des Heiligen Geistes. München: Köscl Verlag;
Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses [1974]. 312 S. 8°.
Kart. DM 29,—.

Dieser Sammelband erwuchs wie manche ähnlichen
Bücher aus den Impulsen der pneumatisehen Erneue
rungsbewegungen, In ihm sind die Referate mehrerer
Tagungen vereinigt, die einen instruktiven Überblick

bieten. Sie sollen die These untermauern: Die Theologie
habe mit ihrem Einsatz beim ersten Glaubensartikel
bisher „auf dem Kopf gestanden", auch ein Rückgriff
auf den irdischen Jesus helfe nichts. „Wenn mau die
Theologie auf ihre eigenen Füße stellen will, dann muß
man mit jener Grunderfahrung einsetzen, aus der die
nachbiblischen Theologien und kirchlichen Systeme ursprünglich
erwachsen sind, mit jener Erfahrung des
Geistes Gottes und Jesu in uns, die Kirche und damit
christliche Theologie allererst ermöglicht hat" (S. L0).
Diesen neuen Ansatz möchten die Herausgeber durch
folgende „Definition" des Geistes fundieren: „Der Heilige
Geist ist die göttliche Kraft der Selbstüberschreitung
in Gott seihst, in der Welt und in der Menschheit. Die
Erfahrung seiner Gegenwart erfordert und ermöglicht
den überschritt vom Ich zum Wir" (8. 10). Ob die einzelnen
Aufsätze diesen Ansatz wirklich bekräftigen und
nicht vielmehr in höchst divergierende Richtungen weisen
, scheint dem Rezensenten zweifelhaft.

Eiti erster Teil führt ein in die „Erfahrung der Gegenwart
des Heiligen Geistes" (S.Ii) 80). Arnold Bittlinger
(S.19 35) deutet die charismatischen Erneuerungsbewegungen
als „Aufbruch urchristlicher Geisterfahrung
", welcher hindrängt auf eine charismatisch erneuerte
Christenheit. Bischof Joseph McKinnev (S..'(0
bis 48) schildert in einem Interview seinen eigenen
Durchbruch zur Christusbewegung wie zur „Taufe im
Geist" (S.40) und sieht in der charismatischen Erneuerung
„das Mittel Gottes das Wirklichkeit werden
zu lassen, was das II.Vatikanische Konzil mit der
Erneuerung des geistlichen Lebens gefordert hat" (S. 43).
Carl A.Keller (S.49-03) bringt eindrucksvolle wie bedenkenswerte
Beispiele für „enthusiastisches Transzendenzerleben
" aus vielen nichtchrist liehen Religionen
von den archaischen Gestalten über den Hinduismus
bis 11i11 zur islamischen Mystik. Rein phänomenologisch
betrachtet, ist das Konstatierbare ambivalent, wie dies
ja auch für die biblischen Berichte gilt. „Alle wesentlichen
Elemente, wie Einwohnung der persönlichkeits-
fremden Macht, in den .Menschen, passives Erleben, Beschenktwerden
durch die betreffende Macht, seltsame
Wirkungen, wie abnorme Kprachphänomene, Heilungen,
Wahrsagen, Verlust der Bewußtseinskontrolle, aber
auch mehr innerliche Wirkungen, wie Freude, Behagen,
Exaltation, und endlich besonderes Wissen und Vermittlung
von Wissen" finden sich „im enthusiastischen
Erleben aller Völker und Religionen" wieder (S.03).
Hierin macht auch die Bibel keine Ausnahme.

Dieser erste Abschnitt wird gebündelt in dem Versuch
von Karl Rahner (S.64-80), die enthusiastisch-charismatischen
Erlebnisse mit einer gnadenhaften Transzendenzerfahrung
zu vermitteln. In seiner zentralen
These (S.72) vollzieht Rahner einen Dreischritt: 1. Enthusiastische
Phänomene sind in ihrer einem wissenschaftlichen
Verständnis zugänglichen Außengestalt
weder spezifisch religiös noch speziell gnadenhaft, sie
sind durchaus innerhalb menschlicher Möglichkeiten
interpretierbar. 2. Diese Widerfahrnisse heben die Betroffenen
jedoch über ein alltägliches Dahinleben hinaus
und konfrontieren den Menschen mit der transzendentalen
Verwiesenheit seines Bewußtseins wie seiner Freiheit
. 3. Damit erschließt sich dem Menschen die gnadenhafte
Erhobenheit seiner Transzendentalität als Unmittelbarkeit
zu Gott, welche in freier Glaubenshingabe zu
akzeptieren ist. Durch diese stufenartige Zuordnung läßt
Rahner gegen die historische Entwicklung - den
Enthusiasmus als vulgäre Außenform einer innerlichen
Mystik erscheinen. Dabei deutet er selber an, daß 61 im

Hinblick auf den Christenglauben die ekklesiale Ein
bindung der charismatischen Aufbrüche, deren heils-
haften Christusbezug sowie das prophetische Ringen um