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Ausgabe:

1976

Spalte:

137-138

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Jenal, Georg

Titel/Untertitel:

Erzbischof Anno II. von Köln (1056-75) und sein politisches Wirken, 1. Teil 1976

Rezensent:

Haendler, Gert

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137

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 2

138

3 Zu Daum vgl. jetzt K.Treu, Zu den griechischen Handschriften in
Zwickau, Revue d'Histoire des Textes 3, 1973, 231f.

4 Zu dieser Einschätzung vergleiche man das Urteil den 19. Jahrhunderts
über Harth. C.Bursian, Geschichte der classischen Philologie in Deutschland
, [, .Muncheii-Iicipzig 1883, 289 nennt seine „Adverearia" einen Kehrichthaufen
, ,,in welchem unter einer Masse von Heu und Stroh eine ver-
haltnismäGig geringe Menge von Getreidekörnern verborgen ist". Das
nüchterne Philologische Schriftsteller-Lexikon von W.Pökel, Leipzig 1882,
18f. fügt dem Hinweis auf Material, das nocli ungedruckt sei, den Stoßseufzer
bei „hoffentlich auf immer".

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Jenal, Georg: Erzbischof Anno II. von Köln (1056-75) und
»ein politisches Wirken. Ein Beitrag zur Geschichte der
Reichs- und Torritorialpolitik im 11. Jahrhundert. I.Teil.
Stuttgart: Hiersemann 1974. XXVIII, 195 S. gr. 8° = Monographien
zur Geschichte des Mittelalters, in Verb. m.
F.Prinz hrsg. v. K.Bosl, 8,1. Lw. DM 90,—.

Es handelt sich um eine von Friedrich Prinz angeregte
Dissertation, die 1973 in Saarbrücken verteidigt wurde.
Es geht zunächst um die weniger bekannte politische
Tätigkeit Annos auf regionaler Ebene, danach um die bekannteren
Zusammenhänge auf Reichsebene. Der vorgelegte
Band I führt bis zu dem „Staatsstreich von
Kaiserswerth" 1062, bei dem Erzbischof Anno von Köln
den jungen König Heinrich IV. mit den Reichsinsignien
seiner Mutter entführte. Anno stammte aus einfacher
Familie und hat sieb durch eigene Kraft nach oben gearbeitet
. Insgesamt entsteht der Eindruck einer Persönlichkeit
, die ohne Skrupel jedes Mittel nutzte, um sich
durchzusetzen.

Kap. I „Anno und Lothringen" (S. 6-154) stellt
Annos Beziehungen zu den Herzögen dar (S.8-31). Es
folgen die Beziehungen zu den Bischöfen von Nieder-
und Obcrlothringen (S.32-55). Die Vorgänge um Annos
Neffen Eonrad, den Anno zum Erzbischof von Trier
machen wollte, erregen Anteilnahme. Die Trierer wehrten
sich gegen Konrad und brachten ihn um. Anno war
schwer getroffen „menschlich, in seiner persönlichen
Ehre als Erzbischof von Köln und in der politischen Absieht
, die er mit diesem Kandidaten verfolgt hatte"
(S.47). Erfolglos blieb auch Annos Kampf um das
Kloster Malmedy (S.56-109). Die Klöster Stablo und
Malmedy sollten laut Gründungsbestimmung eine Einheit
bilden. Trotzdem ließ sich Anno 1065 das Kloster
Malmedy vom König übertragen. Nach langem Hin und
Her mußte Anno 1071 das Geschenk zurückgeben, so daß
die Klöster wieder vereinigt werden konnten. Das Motiv
für Annos Kampf um jenes Kloster dürfte in dem Bemühen
liegen, „die Diözese zu arrondieren und zu stärken
" (S.109). Mit den Pfalzgrafen vom Niederrhein, den
bedeutendsten Herrschaftsträgern in der Kölner Nachbarschaft
, führte Anno erbitterte Kämpfe, die ihm einen
vollen Sieg einbrachten (S. 110-154). „Anno war ein
Meister in der Ausnützung seiner Machtmöglichkeiten,
was seinen religiösen Ambitionen nicht zu widersprechen
braucht" (S.137). Man nahm an, daß Annos Sieg seinem
Kinfluß bei Hofe zu danken sei; mit gutem Grund sieht
J. es umgekehrt: „Anno hat zunächst seinen regionalen
Machtkonkurrenten ausgeschaltet; und erst dann begann
er im Reich eine wichtige Rolle zu spielen" (S. 152).
Auch die Klosterreform war für Anno nur von sekundärer
Bedeutung. J. erklärt, „daß das Bemühen zur Stärkung
des Erzbistums eine durchgehende Struktur in
Annos politischen Absichten war, genau nachzuweisen
bereits zu Zeiten, als von der Siegburger Reform noch
nichts festzustellen ist. Die politischen Ambitionen und
Vorstellungen Annos waren zuerst da, und sie gaben seiner
Refonnpolitik die Richtung an" (S.154). Kapitel II

„Annos Rolle in der Reichspolitik 1056-75" spürt den
Anfängen nach. Deutlich ist sein Einfluß 1061 bei einer
Verurteilung des Papstes Nikolaus II. (S. 166/69). Anno
muß öfter am Hofe gewesen sein, da die Diplome ihn
häufiger nennen. Das Ereignis von Kaiserswerth 1062
wurde von einer Gruppe vorbereitet, in der Anno „die
führende Kraft war" (S.176). Von 21 Quellen bewerten
nur 3 Annos Handlung positiv; ganz überwiegend wurde
Annos Machtstreben als entscheidendes Motiv gesehen
für diese „gewalttätige und somit unrechtmäßige
Aktion" (S.193).

Die Nachzeichnung der äußeren Vorgänge erfolgt in
enger Verbindung mit den Quellen. Eine besondere
Chance sieht .T. „in der Einbeziehung von hagiographi-
schen Texten, die in weiterem Umfang als bisher, qualitativ
wie quantitativ, in die Untersuchung aufgenommen
werden" (S.2). Hauptquelle für den Streit um das
Kloster Malmedy ist der „Triumphus S. Remacli", der
den Streit als eine „Ungerechtigkeit, die der König dem
hl. Remaclus angetan habe", betrachtet (S.67). Die turbulenten
Vorgänge, die 1071 zur Rückgabe des Klosters
führten, werden quellenmäßig genau untermauert (S.80
bis 94). J. lehnt die Meinung ab, der „Triumphus" sei
unglaubwürdig wegen der vielen Wunder, die er erzähle;
auch die anderen Quellen jener Ereignisse erzählen
Wunder. Eindeutig formuliert J.: „Die Tatsache, daß
sich in Lüttich ,Wunder' ereignet haben, kann grundsätzlich
nicht zur Kritik der Quelle herangezogen werden
" (S.98). Auch einige wichtige Kapitel der Vita Anno-
nis enthalten „Wunder, Visionen und religiöse Motivierungen
" (S. 127). Auch hier kommt J. zu dem Ergebnis
, daß diese Quelle „für die Rekonstruktion der Ereignisse
des reinen Ereignisablaufes als zuverlässig zu
betrachten" sei (S.133). Kim- Rolle spielt ein Brief des

Abtes Wolfhelm, der als „Brief des heiligen Nikolaus"
erscheint: „Der hl. Nikolaus wundert sich, daß Anno
sich gegen ihn hat aufhetzen lassen..." (S.146/47). Mit
Hecht sagt .1. dazu: „Daß der Und' sich selbst als
Schreiben des Klosterpatrons von Brauweilei ausgibt,
ist für mittelalterliche Verhältnisse nichts Ausgefallenes,
da der Patron als der eigentliche Besitzer des Klosters
und des Klostergutes angesehen wurde. Insofern kann
aus diesem Umstand keinesfalls ein Argument gegen die
Echtheit des Briefes vorgebracht werden..." (S.if7).
So wird in dem vorliegenden Band nicht nur über Machtpolitik
informiert; die gründliche Berücksichtigung der
Quellen führt wohl zwangsläufig dazu, daß auch die
Frömmigkeit des Mittelalters als wesentlicher Faktor
mehr als einmal sichtbar wird.

Kostock Gelt Hacndlcr

GoMmann, Elisabeth: Antiqui und Moderni im Mittelalter.
Eine geschichtliche Standoi Ibestimmung. München -Pftdei
born-Wien: W. Schöningh [1974]. 158 S. gr. 8° = Münchoner
Universitätsschriften, Kath.-Theol. Fakultät: Veröffentlichungen
des Grabmann-Institutes zur Erforschung der
mittelalterlichen Theologie und Philosophie, hrsg. v.
M. Schmaus, W. Dettloff u. R, Heinzmann, N.F. 23.

Das hier behandelte Thema ist erst 1972 Objekt einer
Mediävistentagung des Kölner Thomas-Institutes gewesen
, auf der auch die Autorin ein Referat hielt. Auch
ältere einschlägige Arbeiten existieren, wie vor allem die
Studien von M.D.Chenu und J. Spörl aus den Jahren
1928 und 1930 sowie gewichtiger die Dissertation von
W.Freund von 1957. Dieser in der Einleitung vorgestellten
Basisliteratur und insbesondere dem Buch von
Krcund, aber auch noch weiteren Spezialabhandlungen,
entnimmt die in Tokio schreibende Autorin fast alle ihre
Belege ohne neuerlichen Rekurs auf die Quellen und