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Ausgabe:

1976

Spalte:

135-137

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Paulinus Pellaeus, Poème d'action de grâces et prière 1976

Rezensent:

Treu, Kurt

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135

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 2

136

Paulin de Pella: „Poeme d'action de grfiees" et ,,1'rierc".

Introduction, texte (;rifcique, truduotion, notes et index par
C.Moussy. Pari«: Bd. du Cerf 1974. 232 S. 8° = Sources
Clvretionniffl, dir. 0. Mondesort, 209,

Paulinus von Pella ist keiner von den großen Dichtern.
In den Lexika und Handbüchern steht er im Schatten
des bedeutenderen Paulinus von Nola - RGG3 übergeht
ihn ganz. Mignes Patrologie übersah ihn, erst der
3. Supplementband trug ihn 1966 nach. Dabei ist sein
autobiographisches „Dankgebet" von menschlichein
Reiz und kulturhistorischem Interesse, so unbeholfen die
616 Hexameter auch sein mögen. Für das Gallien der
Völkerwanderungszeit ist Paulinus eine beachtliche
Quelle, für die Belagerung seiner Heimatstadt Bazas
durch Goten und Alanen im Jahre II I gar die einzige.
Wie es der gaHorömisehe Grandseigneur fertigbringt,
durch persönliche Beziehungen die Alanen auf seine
Seite zu bringen und sie als Verteidiger auf die Mauern
zu postieren, das ist charakteristisch für die verwirrenden
Zustande der Zeit.

In dem Beinamen „von Pella" spiegelt sich die Unstetheit
eines Lebenslaufs - nur so ist er zu rechtfertigen,
nicht durch die ersten neun Lebensmonate, die der
Säugling in Pella verbrachte, weil sein Vater Gouverneur
von Makedonien war. Die Familie ging mit, als der Vater
377-78 Prokonsul der Provinz Africa war, und kehrte
371) ins heimatliche Gallien zurück, im Konsulatsjahr
des Großvaters, wie Paulinus nicht ohne Stolz vermerkt.
Dieser Großvater, der Dichter Ausonius, war Erzieher
des Kaisers Gratian gewesen, unter dem dann die ganze
Familie zu Lohen Posten kam, der Sohn Hesperius eben
so wie der Schwiegersohn Thalassius. Nur durch Kombination
von Indizien ergibt es sich, daß Thalassius der
Vater Paulins sein muß. Paulinus hat diesen Vater geliebt
, doch nennt er ihn ebensowenig bei Namen wie
Frau und Kindel-. Verwunderlich ist das nicht. Konkrete
Details passen weder in den Stil der Dichtung noch zur
Tendenz der Darstellung, geht es dem Autor doch er-
klärtermaßen nur darum, die sich in seinem Leben manifestierende
göttliche Führung zu preisen, nicht seine
Person dem Publikum vorzuführen.

Paulinus ist also ein typischer Vertreter der grund-
besitzenden Aristokratie Galliens, mag auch seine Schulbildung
, in der Homer vor Vergil kam, auf Lehrer wei-
sen, die aus dem Osten mitgekommen sein mögen1.
Später, als die Goten seine Güter verwüsten, weil er es
versäumt hat, sich einen gotischen „Treuhänder" zu
nehmen, da plant er wohl, auf die östlichen Güter seiner
Frau umzusiedeln, aber dazu kommt es nicht. Typisch
ist das Leben des jungen Aristokraten zwischen Pferden,
Hunden, Ballspiel und Falkenbeize (ein frühes Zeugnis
für diesen Sport). Üblich ist der Umgang mit den jungen
Sklavinnen des Hauses (zwar culpa, doch nicht crimen),
üblich die reiche Heirat mit Zwanzig. Doch dann kommen
die Schicksalsschläge, Verlust lies Vermögens, Tod
der Angehörigen, Bekehrung von häretischen Ansichten,
zurückgezogenes, halb mönchisches Leben, mit 83 Jahren
, also 459, der Rückblick, trotz «allem voll Dankbarkeit
.

Der Text liest sich nicht schwer, und was die langen
Sätze und die Eigenheiten des Spätlateins an Hemmnissen
in den Weg legen, darüber hilft die genaue, z.T.
paraphrasierende französische Prosaübersetzung mit
ihren orientierenden Zwischentiteln ebenso hinweg wie
die ausführlichen Anmerkungen zu Sprache, Stil und
Inhalt. Daß der historische Hintergrund nicht in einem
Gesamtbild, sondern ratenweise im Anschluß an den
Text geboten wird, irritiert etwas, rechtfertigt sich aber
aus dem Charakter des laufenden Kommentars. Das
knappe Register und die eingehenden Querverweise erlauben
es, von jeder Stelle aus die Verbindungslinien

aufzusuchen. C.Moussy ist durch begriffsgescliichtliche
Studien bekannt geworden12. Seine einfühlsamen sprachlichen
Erläuterungen sind ebenso ein Vorzug des Koni
mentars wie die Zusammenstellung der literarischen Reminiszenzen
, die von Vergil bis zu den christlichen
Mustern reichen. Was aus direkter Lektüre stammt, was
als Wendung im Ohr war, wird im Einzelfall nicht immer
zu entscheiden sein. Zumindest die Anklänge, an Auso
nius sind gewiß nicht Zufall. Wenn M. zu v.8 auf Ovid
verweist, wäre zu V.6 adspiransque ... coepta der Eingang
der Metamorphosen anzuführen gewesen: eoeptis
... adspirate meis. Das Deus omnipotens in v. 4 wirkt wie
eine Korrektur des „Götter" bei Ovid. Aber die Anfüh
rang von Parallelen ist natürlich weitgehend eine Ermessensfrage
.

Für den Text konnte sieh M. auf die kritische Ausgabe
von W.Brandes stützen, der 1888 die kleineren christlichen
Dichter im 16.Band des Wiener Kirchenväterkorpus
herausgab. Wo M. von ihm abweicht, begründet
er seine Entscheidung näher. Es sind ein Dutzend Stellen,
darunter auch solche, an denen Brandes bereits die
Alternative im Apparat vermerkte. Die Überlieferung ist
nicht kompliziert. Der erste Editor, M. de la Bigne, hatte
1579 nur eine einzige Pariser Handschrift, die später verlorenging
. Brandes zog als erster die einzige heute noch
existierende Handschrift heran, den Bernensis aus dem
9. Jahrhundert. Mit Gewinn benützte M. die Ausgabe des
alten Zwickauer Ratsschulrektors Christian Daum3 mit
den weitläufigen Anmerkungen des Leipziger Privat-
gelehrten Caspar v. Barth (1681). Es ist interessant, zu
sehen, wie oft die Konjekturen dieser Polyhistoren von
der Berner Handschrift später bestätigt worden sind4.

Die Einleitung uinreil.it gut orientierend Leben und
Werk des Paulinus und nimmt, gestützt auf die Literatur
, zu den umstrittenen Fragen Stellung. Die Abhängigkeit
von Augustins Konfessionen wird mit Cour-
eelle hoch eingeschätzt. Als die Häresie, der Paul in an
gehangen habe, wird erneut der Pelagianismus vermutet,
ohne daß M. verkennt, daß es dafür keine zwingenden
Argumente gibt. Das nach der Bekehrung erhaltene Sakrament
ist das Abendmahl, nicht die Taufe (so zuletzt
w ieder Jones-Martindale-Morris, The I'rosopographv of
the Later Roman Empire I, Cambridge 1971, 677f.j.

Als Anhang gibt M. das kurze Gebet von 19 Hexametern
, das unter dem Namen des Paulinus von Nola
überliefert ist und von P. Courcelle 1947 unserem Autor
zugeschrieben wurde. Diese Bitten eines jungen Aristokraten
um ein Leben ohne Luxus und ohne Sorgen klingen
an an das Bild, das der Greis im Rückblick von seiner
Jugend zeichnet. Manche Passagen im Altersgedichf
lassen sich als Zurücknahme jugendlicher Gedanken ver-
stehen. Wäre das kurze Stück gewichtiger, sähe man es
gern an den Anfang gestellt, wie es der Zeitfolge entspricht
.

Während des Drucks erschien die Konkordanz zu
Paulinus von P.Tordeur (Sammlung Latomus 126,
Brüssel 1973). M. hat sich deswegen mit einem kurzen
Stichwortverzeichnis begnügt. Für den Index rei metri-
cae ist weiterhin Brandes zu konsultieren, da das von
Tordeur vorbereitete Repertorium nicht mit abgedruckt
worden ist.

neriin Kurl, Treu

1 Das Gedicht zeigt eine gewisse Vorliebe Tür gricc hischc Lehnwörter,
angefangen vom Titel Kucharicticos bis zum vorher nicht Im Lateinischen
tielegten amathia v.66. Doch betont Moussy mit [{echt, daß griechische
Kntlehnungen im späten Latein verbreitet sind. Als Gegenstück ist daran
zu erinnern, daü das Griechische dieser Zeit zahlreiche lateinische Lehnwörter
aufgenommen hat.

2 Gratia et sa fatnille, Paris 1966; Rccherches sur toitpO) *t verbs
grec« signifieant nourrir, Paris 196t).