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Ausgabe:

1976

Spalte:

121-123

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Räisänen, Heikki

Titel/Untertitel:

Die Parabeltheorie im Markusevangelium 1976

Rezensent:

Kuhn, Hans Wolfgang

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Theologische Literaturzeilung 101. Jahrgang 1976 Nr. 2

122

Rättfinen, ILcikki: Die Parabelthcorie im Markusevangeliuin.

Helsinki 1971! (Verkäufer: Brill, Leiden). 137 S. 8° = Schriften
der Finnischen Exegetischen Gesellschaft, 26.

Wieder scheint das Thema des sog. Messiasgeheim-
nisses im MkEv dran zu sein, wird doch in der Regel das
jedenfalls vormarkinische Logion in 4,11 f. (als sog.
Parabeltheorie im MkEv bekannt) für einen Aspekt des
„Messiasgeheimnisses" dieses Evangeliunis gehalten.
Schon William Wredes geniale Untersuchung von 1901
(s. H. Conzelmanns Anzeige des Nachdrucks in ThLZ 91,
1966 Sp.754f.) stellte die „Parabeltheorie" in diesen Zusammenhang
. Räisänen stößt sich, wie viele Exegeten
des MkEv, an den wirklichen und scheinbaren Widersprüchen
dieser Geheimnistheorie im Kontext des
Evangeliums. Der Vf. meint, die Unausgeglichenheiten
dadurch mindern zu können, daßerdie „Parabcltheorie",
die in ihrer Schroffheit - wie überzeugend nachgewiesen
wird - nicht durch entsprechende Deutungen des 'ir«
und des (ufyint in 4,12 abgeschwächt werden dürfe
(S. 11-18), aus dem sog. Messiasgeheimnis und der
markinischen Theologie ausklammert, um sie dann nicht
vom Evangelisten, wie weithin angenommen wird, sondern
bereits auf einer früheren Traditionsstufe (so z.B.
auch E.Schweizer, ZNW 5G, 1965, 5f. und im NTD
z. St.) in ihren jetzigen Kontext hineingestellt sein zu
lassen. Mk soll auf diese Weise von ihr entlastet werden,
obgleich er immerhin die Verse hat stehenlassen (S.32:
..Der Evangelist hätte dann den Zusammenhang übernommen
, ohne auf unseren Vers besonderes Gewicht
zu legen" und S. 122 muß auch noch die Pietät gegenüber
Ilerrenworten herhalten).

Die in vier größere Abschnitte gegliederte Untersuchung
arbeitet zunächst das Problem heraus, und
zwar die Frage, „ob die, Parabeltheorie wirklich einer
durchgehenden Tendenz des Evangeliums" entspreche
(S.25), wie es Opinio communis sei. Teil II (S.27- 47)
ist der wichtigste Abschnitt des Buches, weil er die
eigentliche These der Untersuchung begründen will, daß
nämlich die Parabeltheorie eher dem übrigen Evangelium
widerspreche als daß sie in ihm einen Anhalt habe;
das zeigten das sonstige Vorkonnnen von Gleichnissen
im MkEv (s. hes. 12,12) wie auch das Verhältnis Jesu
zum Volk und zu den Jüngern. In «lern umfangreichsten
Abschnitt, Teil III (S.48-113), wird dann anhand einer
„redaktionskritischen Analyse" von Kap. 4,1-34 die
Folgerung daraus gezogen, daß die Parabeltheorie schon
vor Mk in ihrem jetzigen Kontext gestanden haben
müsse, genauer daß etwa Mk 4,l*.3b-9 10a.b*.ll-13a.
14-20.33f. einen vonnarkinischen Zusammenhang darstellten
, in dem wiederum drei (!) Traditionsstufen
unterschieden werden könnten (zuletzt seien vor Markus
etwa V.lOa, in V.lOb der Plural tä< na^ttßoiitt statt
des Singulars, V.llf.34, also vor allem die l'arabeltheo-
fie, hinzugekommen). Obgleich der Vf. der Frage der
verschiedenen Einführungswendungen in Mk 4 (*oi
i'fayt>> rcdtoff xai IXtytV, xni 'kiyu airoif) expressis ver-
bis wenig Gewicht beimißt, verwendet er um seiner
These willen viel Mühe und Platz darauf (S. 89-109),
darzulegen, daß diese „Einführungsformeln" als Kriterien
für die Unterscheidung verschiedener Schichten
in Mk 4 nicht in Krage kämen (vor allem in Auseinandersetzung
mit Joach. Jeremias, W.Marxsen und dem Rezensenten
). Schließlich werden in einem zusammenfassenden
Schlußkapitel (S. 114-127) drei traditionsgeschichtlich
zu unterscheidende Gleichnisauffassungen
in Mk 1 herausgestellt, eine „ältere missionarische Auflassung
", die neben der Deutung des Sämanngleich-
nisses auch V.33 enthielt, ferner die „separatistische
Auffassung" der Parabeltheorie und schließlich die des
Evangelisten (u.a. Relativierung der Parabeltheorie

durch 4,13). - Außer dem Literaturverzeichnis enthält
das Buch nur ein „Autorenregister (in Auswahl)".

Die dem Forschungsstand gegenüber sehr kritische
Arbeit hat ihr hauptsächliches Verdienst darin - und das
entspricht auch dem zentralen Anliegen des Buches
ausführlich darzulegen, daß Mk4,llf. (und d.h. nicht
nur die Verstockungsaussage) keinesfalls „ohne weiteres
" (S.126) der markinischen Redaktion bzw. dem
„Messiasgeheinmis" integriert werden könne, worauf vor
allem schon Schweizer, a.a.O. hingewiesen hat. Sehr
deutlich wird in diesem Zusammenhang auch, daß die
überwiegend positive Zeichnung der Volksmenge (häufig
ö/'/.og) im Evangelium (wie eine Überprüfung der Stellen
zeigen könnte, gerade auch durch den Evangelisten
selbst) nicht von der Parabeltheorie" her zu begreifen
ist (eine ausreichende Untersuchung über den «y/U«
bzw. die Volksmenge überhaupt fehlt trotz der Flut
redaktionsgeschichtlicher Arbeiten zum MkEv m.W.
immer noch; s. aber jüngst den bei Räisänen noch nicht,
berücksichtigten Aufsatz von P. S.Minear in der FS
Cullmann, 1972, 79-89: „Audience Criticism and Markau
Ecclesiology").

Ein gravierender Mangel der Arbeit besteht darin, daß
der Vf. das MkEv m.E. oft zu „oberflächlich" deutet,
so daß nicht alle von ihm genannten Gegensätze zwischen
der „Parabeltheorie" und dem sonstigen Evangelium
zu Recht behauptet werden. Folgendes ist dafür
vor allem anzuführen: 1. Die Verneinung des «fefV
und avri&tft der „Außenstehenden" in 4,12, eines „Erkennens
" im spezifisch atl.-jüdischen Sinn (Jes 6,9f),
das zu Umkehr und Vergebung führen würde, sollte
nicht immer wieder als Gegensatz z.B. zum alltäglichen,
misoten'ologisehcn yinlmxin' (i.S. von ..merken") der
Gegner Jesu in 12,12 verstanden werden (zu S.28f); die
jüdischen Autoritäten erweisen sich hier vielmehr als
jene, die verstockt, sind und gemäß 4,12 gerade nicht
..erkennen". 2. i in I.II hcil.il auch für den

Evangelisten • trotz des Kontextes mehrerer Gleichnisse
nicht einfach nur ..Gleichnis"; vielmehr schwingt
der insbesondere in Weisheit liehen Texten begegnende
atl. -jüdische Sinn rätselhafter Rede deut lich mit, so dfl l.(
1,11 ''. nicht nur mit Jesu Gleich niBrede außerhalb von
Käp.4 zu vergleichen ist (zu 8.20.34f.). 3. Darf man
trotz der gewissen Parallelität zwischen l.IOf und 1,31
„die Außenstehenden" in 4,11 einfach mit dem üyhii
im MkEv (im Kontext 4,1 f.) identifizieren, um dann die
Unvereinbarkeit festzustellen (zu S.7.331T.)? Das Verhältnis
der „Außenstehenden" zum tf/Aoj im MkEv
dürfte geradezu mit der Schlüssel für die Erklärung der
sog. Parabeltheorie sein.

Unbefriedigend bleibt ferner, daß kaum der Versuch
gemacht wird, die auch nacli des Vf.s Meinung (S.5) an
zentraler Stelle in Mk 4 stehenden Verse 10-12 auf ihre
Funktion im ganzen des Evangeliums hin zu befragen -
übrigens eine typische Mangelerscheinung unserer immer
noch nur „-geschichtlich" orientierten Exegese (die Bemerkungen
des Vf.s auf S.120ff„ bes. 121 f. sind unzureichend
und nähern sich sogar einer Zurücknahme der
Hauptthese des Buches).

Bei den literarkritischen Folgerungen für Mk 4 wird
ein charakteristischer Fehler der älteren Literarkritik
gemacht. Es wird ein ungefüges (vormarkinisches) Gebilde
rekonstruiert, das man sich in der Praxis (der frühchristlichen
Gemeinden) kaum vorstellen kann: Ein
Gleichnis mit Parabeltheorie und mit Gleichnisdeutung
und mit allgemeinem Abschluß über Jesu Gleichnisrede.
Selzen die Einfügung der sog. l'arabeltheorie und vor
allem der Schlußverse 33f. jwMrizWnttqitßbkots V.33)
nicht eher schon mehrere Gleichnisse voraus (nach
Meinung des Vf.s hat wohl erst Mk V. 21-25 und |!|
V.26-32 hinzugefügt)?