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Ausgabe:

1976

Spalte:

93-104

Autor/Hrsg.:

Schenke, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

"Die Exegese über die Seele" 1976

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang i!)7(i Nr.2

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die unvermeidlich Bchematische Datierung der sprachlichen
und kirchlichen Entwicklung.

n) Zweifellos bestehen stilistische Unterschiede swj
sehen den älteren J.*»inlusbriolon einerseits und den (jc-
fangenschaftsbriefen sowie den Pastoralbriefen andererseits
, wenn auch die Wortstatistik nicht viel mehr Differenzen
zwischen diesen Gruppen als zwischen einzelnen
der älteren Briefe aufweisen kann. Aber für die Unmöglichkeit
einer gewissen Flexibilität im Sprachstil des
Apostels oder seines eventuellen Assistenten hat noch
keiner einen Beweis erbracht. Ehrlicherweise sollte man
den Anspruch des Paulus berücksichtigen, sich je nach
Bedarf den Juden, den Griechen oder den im Glauben
schwachen Menschen anpassen zu dürfen, so daß er für
alle Leute alles werden könne (IKor 9,19-23). In bezug
auf die oft als Deuteropaulinen oder Pseudepigraphen
bezeichneten Briefe an die Kolosser und Epheser sowie
an Timotheus und Titus ist weiter zu beachten, daß sie
mit Klpinasien verbunden und weitgehend im Redest il
verfaßt sind. Sie vertreten eine feierliche, barockschwere
Rhetorik und erinnern an den sog. Asianismus, der in
Ephesus eines seiner Schulzentren hatte. Könnten nicht
Paulus von Tarsus und seine literarischen Helfer einen
besonderen Briefstil angelegt haben, als sie mit Gemeinden
in Kolossae und Ephesus oder mit Kleinasiaten
wie Timotheus und Titus korrespondierten?

b) Die drei Pastoralbriefe richten sich eigentlich an
Gemeindeleiter, nicht wie die übrigen Paulusbriefe
überhaupt an Gemeindeglieder. Schon deshalb enthalten
H'e mehr Anweisungen über Funktionäre und Gemeindeleben
als die anderen Briefe. Das hat über das Alter der
I'astoral]iriefe gar nichts zu sagen. Kür die Geschwindigkeit
der Entwicklung fundamentaler Gemeindeämter
läßt sich auch kein Maßstab aufstellen. Hier kommt in der
Forschung oft eine apriorische Schematik zum Ausdruck
.

c) Auch zu den in den Pastoralbriefen verworfenen
Äußerungen der Irrlehre ist zu bemerken, daß kein Beweis
für ein spätes Datum vorliegt. In erster Linie werben
ein jüdischer Nomismus und Asketismus abgelehnt
(ITim 1,6-10; 4,1-5; Tit 1,10-16), der an die judaisti-
schen Strömungen in Galatien und Phrygien erinnert
(GW 3,10-18; 5,19-21; Kol 2,16-23). In zweiter Linie
Höhten sich die Briefe gegen eine arrogante Berufung auf

Erkenntnis und gegen eine schwärmerische Spirituali-
sierung der Auferstehung (ITim 6,20; 2Tim 2,18), die
.in die gtiostischen Tendenzen in Korinth erinnern
(I Koi 1,20; 15,12). Die genannten Erscheinungen treten
im Kol zusammen als eine judaistische, asketische und
gnostische Spekulation auf (Kol 2,8.16-23). Für die
Entstehung (lieser Geisteshaltung läßt sich kein termi-
nus a quo aufrechterhalten.

Umgekehrt ist für die Aufforderungen der Pastoralbriefe
zum Gebet für Kaiser und Obrigkeit (ITim 2,1-6;
Tit 3,1-8) ein terminus ante quem feststellbar. Denn nach
der neronischen Verfolgung 65 n.Chr. könnte ein solcher
Optimismus gegenüber dem Imperium einem christlichen
Verfasser nicht mehr am Herzen liegen.

' ir.K(i8ki'linieini, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen
Briefe* (1956), S.201-205.

2 Koskenniemi (A.l), S.91: ..Wenn wir wirkliche Privatisiere, nament-
lieh Papyrusbricfe, untersuchen, können wir eine weite Skala von der allcr-
frischesten Unmittelbarkeit Iii« hin zur denkbar steifsten Unpcrsfmlichkeit
Und PonnclliaftiKkeit wahrnehmen." Umgekehrt stellt Koskennleini fest,
ebd.: ,,Es kann von vornherein als sicher galten, dal! in einer rein firmierten
Kpistel, wenn sich darin eine starke, persönliche Lebendigkeit mit der Fiktion
eines intimen Verhältnisses zwischen den Korrespondenten verbindet,
viel mehl .Natürlichkeit und Frische zu finden sein kann als in einem rein
sachlichen und objektiven wirklichen llricf." Ein stilistisches Kriterium
(Billigt also nicht, um wirkliche und fiktive Briefe zu unterscheiden.

3 Koskenniemi (A.l), S. 147: „Man hat allen Grund anzunehmen, dalj bei
dem Apostel diese Ausdrücke auf den allgemeinen stilistischen Gepflogenheiten
, die ihm bekannt waren, beruhen, wodurch sicli diese Sitte als ge-
mc in griechisch erweisen würde." Die paulinischen liriefe ergänzen also das
Material, das sonst hauptsächlich durch Papyri aus Ägypten erhalten ist.

• Geht man automatisch von der I ncchtheit der Pastoialbiiete aus, entstellt
der oben angedeutete Zirkelschlul.1. Diesen begeht N.itrox, Zu den
IHiisönlichen Notizen der Pastoralbriefe: lilbl. Zeitschr. 18 (1969), S.70-1)4.
Kr spielt die biographischen Angaben der Pastoralbricfe als Literaturtricks
herunter und beruft sich dabei auf Koskenniemi (A.l), ohne die von diesem
Philologen festgestellte Wechselwirkung zwischen volkstümlichen und literarischen
Briefprodukten zu beachten (oben Anm.2-3).

5 Auf diesen Zusammenhang wurde der Verf. durch eine Korrespondenz
mit Hfschof Dr. J.A.T. Robinson aufmerksam gemacht.

• ll.Morgenthaler, Statistik (1958), S.I04.

7 U.Heicke, The Historical Sctting of Colossians: Review and Kxposilor
70 (1973), S.429-438.

8 H.Machlum, Die Vollmacht des Timotheus nach den Pastoralbriefen
(19(19), S.53 67.

• B.Kcicke, Caesarea, Home, and the C'aptivity Kpistles: Apostolic
History and the (tospel, BIMiejü and Historical Basayl pres. to I' V. Braoe
(1970), S.275-286.

10 Reieke (A.7), 8.437: der«. (A.9), 8.279-282.

11 Reieke (A.7), 8.432.

12 Reicke (A.7), S.436I.

„Die Exegese über die Seele"

Die aechate Schrift uns Nag-Haniu:adi-(!odex II

Eingeleitet und Ml—U> vom lierliner Arbeitskreis für koptiHch-gnostische Schriften*

Im Mandschriffenfund von Nag Hammadi findet eich gang der literarischen Entstehung und schließlich nach

n,it der sechsten Schrift, aus Codex 17, die den Titel trägt der religionsgeschichtliehen Einordnung von ExAn auf-

'ö 4 Exegese (sc. der Heiligen Schriften) über die wirft.

Seele" (abgekürzt ExAn1; p. 127,18-137,262), u.E. Dieses Problem hat bereits einige Eösungsversuche
einer der interessantesten koptist h-gnostischen Texte herausgefordert. W.O. Robinson jr.3 hält den exegetischen
'dierhaupt. Anteil des Textes für eine redaktionelle Einschaltung,
Diener Text bietet eine in relativ künstlicher mythi- und zwar in eine vorgegebene, neupythagoreische Ele-
Keher Terminologie gefaßte gnostische Seelenlehre, deren mente enthaltende Erzählung, die er durch Abzug der
^'tarakter, zum einen durch das ins Auge springende Zitate sowie der exegetischen Kommentare zu zitierten
■Nebeneinander von realistischer und symbolischer Dar- Passagen (p. 130,20-27; 133,20-28) erhält. Zwar stammt
Stellung - von drastischer Mvthologie' und Allegorie -, nach Robinson ein Teil der Paränese (p. 135,4-15.21-22.
*u,>i anderen jedoch durch den Wechsel von mytho- 25-29) aus der Hand des Verfassers der Erzählung, doch
logischer Erzählung und Zitaten aus dem AT und NT rechnet er den zweiten Teil (p. 136,16-27) zu den redak-
s°wie aus Homer bestimmt merkwürdig schillernd ist. tionellen Einschöben, die nicht alle aus der Hand ein und
. Diese komplizierte Struktur unserer Schrift stellt das desselben Redaktors stammen müßten. Unter Anwenden
(|er Forschung bietende Hauptproblem dar, das so- dung der literarkritischen Methode kommt Robinson
tort die Frage mich dem Verhältnis der einzelnen Form- somit zu dem Ergebnis, daß der Text einen komplexen
""d Snchelenientc zueinander und somit nach dem Vor- liferargeschichtlichen Prozeß durchlaufen habe; d. Ii. von