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Ausgabe:

1976

Spalte:

956-957

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Just, Wolf-Dieter

Titel/Untertitel:

Religioese Sprache und analytische Philosophie 1976

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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zur hochkirchlichen Ausgestaltung des Anglikanismus. Mit
dieser theologicgeschichtüchen Realität selbst setzt sich der
Vf. wenig auseinander, obwohl er den „theologischen, kirchlichen
und stualspolitischen Umständen" entscheidende Wirkung
dafür einräumt, so daß bald die einen oder die anderen
„der innerreformatorischen oder reformatorisch-katho-
lischen Via-Media-Faktorcn" zum Zuge kamen. Diese mehrdeutige
Begrifflichkeit irritiert. Eindeutiger wird der Sachverhalt
dadurch beleuchtet, daß nämlich „noch ein weiteres,
wesentlich im platonisch-neuplatonischen gcistesgcschicht-
lichen Erbe der anglikanischen Kirche verwurzeltes ,Miltcl-
weg'-Bündel das Gesicht und (den) Charakter der Church
of England und ihrer Theologie seit der frühen Reformationsepoche
" (NB fast gegen Luther) bildete. Kein Wunder,
daß Newman und letztlieh auch Pusey „eine recht grundsätzliche
Kritik an Luther" üben, weil auch sie dieses geistige
Erbe der ,aurca medioeritas' geprägt hat, welches „seit
den Bemühungen der Oxford Platonists um eine harmonisierende
Synthese von platonisch-neuplatonischem und biblischem
Gedankengut in einem christlich-biblischen Humanismus
immer wieder aufs neue auf den harmonisierenden Ausgleich
zwischen Glaube und Vernunft, Theologie und (lei-
slcii- und Naturwissenschaften als der dem englisch-anglikanischen
Denken angemessene und spezifische Denk- und
Vorslellungsweise bedacht ist" (235).

Diese Bewertung und das im Titel und durchgehend im
Text ausgesprochene Urteil über Gestalt und Theologie der
Hochkirche als „Lehre der Kirche" passen nur zusammen,
wenn man eine erasmisehe Sicht von Kirchenreform zur Gellung
bringen möchte. Das eben wird auch mit dem nachstehenden
Urteil des Vfs. über die kirchlichen und ökumenischen
Implikationen der Bewegung nicht vermieden, wo
e« heißt: „So unbestreitbar positiv... der Einfluß und die
Auswirkungen der Oxford/traktarianischerj Bewegung bzw.
des Puseyismus generell für die Church of England nach
innen hin auf allen wichtigen Gebieten ihres Lebens in
dogmatisch-doktrinärer und pasloralscelsorgerlichcr Hinsicht,
in Fragen der kirchliehen Ordnung und der Gestaltung ihres
devotionalen Lehens, bis hin zu neuen, in ihrer inkar-
nationstheologisch-christologischen Theologie begründeten Impulsen
für den einzelnen Christen, die Kirche, ja die ganze
Nation waren, so fragwürdig mußten die Auswirkungen
ihrer theologischen und ckklosiologischen Prinzipien für die
Kirche von England nach außen hin im Blick auf ihre
zwischenkirchlieh-ökumenische Situation erscheinen." Denn
die „von ihnen vollzogene Umwandlung der originär anglikanischen
Via Media als der harmonisierenden ,aurea
medioeritas' zwischen ,reformalorischem' und ,katholischem'
Kirchcntum zu einem anglo-katholischen Via-Medialismus .. .
hatte nach Seiten der reformatorischen Kirchen hin eine
weitgehende Blindheit für ,katholische' Elemente" in ihnen.
(Löhe, Vilmar, Kliefoth, Rocholl, Grundtvig und II. Schartau
werden angeführt.) Doch die prinzipielle und faktische
..Leugnung des Kireliencharaklers der kontinentalen Rcfor-
malionskirchen und der auf sie zurückgehenden Dissentcrs
in England selbst" (267) wird theologisch nicht reflektiert,
sondern nur historisch und pragmatisch vom Vf. bewertet.
So kann, wie bereits M. Greschat zum ersten Band bemerkt,
von den realen Unterschieden zwischen anglikanischem und
reformaloiischcni Kirchcntum nur wenig in den Blick kommen
. Auch der Ausblick auf die Lambeth-Konfcrenzcn, die
im dritten Band untersucht werden sollen, tröstet nicht
darüber hinweg. Diese haben zwar historisch, geistlich und
organisatorisch die Isnlierungsgofahr und das Zerbrechen der
Church of England überwunden, aber was aoeh immer die
..komprehensive Zusamnieiischaii von Glaube und Wissen,
Offenbarung und Wissenschaft, Lehre und Lehen. Kirche
und Welt In das zwisehcnkirchlich-ökumenischc Gespräch
effektiv" einbringen mag (270), der weiterwirkende Gegensatz
von Erasmus und Luther muß theologisch bedacht
werden. x

Jena Morst Heintker

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Just, Wolf-Dieter: Religiöse Sprache und analytische Philosophie
. Sinn und Unsinn religiöser Aussagen. Stuttgart—
Bcrlin-Köln-Mainz: Kohlhammer [1075]. 171 S. 8°.
DM 22,-.

Der Autor, der beachtenswert in den wistenschaftStheoretischen
Streit zwischen G. Ebeling und II. Albert eingegriffen
hat (ZEE 15, 1971, 1-19 und 18, 1974, 321-340) und
darum auch in dieser Zeitschrift schon mehrfach lobend erwähnt
wurde (ThLZ 99, 1974 Sp. 527 und 700), legt mit
diesem Buch das gekürzte und überarbeitete Ergebnis seiner
Heidelberger Dissertation (1973) vor. Ausgangspunkt seiner
Reflexionen sind die sensibel registrierten Störungen der
sprachlichen Kommunikation in Kirche und Theologie etwa
mit dem Hinweis darauf, daß man „nicht einmal mehr sinnvoll
miteinander streiten" kann (8). Er wird recht haben
mit der Voraussage, daß das sprachliche Kommunikationsproblem
„eine zentrale Stellung in den theologischen Auseinandersetzungen
der kommenden Jahre einnehmen" wird
(9). Das Problem wird klar umrissen: Ehe man an den
Glauben appellieren kann, muß man zunächst seinen Inhalt
bestimmen; ehe man aber diese Frage nach Wahrheit oder
Falschheit von sinnvollen Aussagen auf diesem Gebiet stellt,
muß man zuerst überhaupt einmal die Bedingungen für
sinnvolle Aussagen beschreiben (11 f. im Anschluß an A.
Harvcy ZThK 64, 1967, 329).

Um die Lösung solcher Problemzusammenhänge bemüht

sich die analytische Philosophie seit über fünfzig Jahren.
Der Autor befragt die Antworten, die im Verlaufe der Entwicklung
dieses Methodenbereiches seit deren Anfängen gegeben
wurden nach ihrer Relevanz für die die Theologie
bewegenden Probleme, indem er den vier Entwicklungs-
ctappen nachgeht: Der logische Atomismus (Religiöse Aussagen
und das Problem der Unsagbarkeit 15—27); der logische
Positivismus (Religiöse Sprache und das Problem der
Verifikation 28—52)" der kritische Rationalismus (Religiöse
Aussagen und das Problem der Falsifikation 52—87); die
Philosophie der normalen Sprache (Religiöse Aussage und
Funktinnsanalyse 87—134). Darstellung und Kritik wird in
Form von anreihenden Werkrezensionen gegeben.

Hilfreiche Herausforderungen kann der Vf. vor L. Wittgensteins
..Philosophischen Untersuchungen" kaum erkennen
(87—96). In J. L. Austins Theorie der Sprechakte wird von
ihm — ähnlich wie bei W. de Pater und A. Grahner-Ifaider
(vgl. meine Besprechungen ThLZ 99, 1974, 937-939 und
100, 1975, 532-534) - die bisher beste Hilfe für die
Sprachanalyse christlicher Rede gesehen (127—134 vgl. 137.
144f.). In der berechtigten Freude über den Aufweis und die
Analyse des illokutionären Aspekts der Sprache dürfte dabei
jedoch der lokulionäre Aspekt vor allem in seiner Vorgegebenheit
unterbewertet werden (vgl. die deutlichen Akzentverschiebungen
gegenüber Austin 132 und 134; welche andere
Lösung sich dagegen im Spannungsfeld der Beziehung
von Kerygma und Geschichte nach den Einsichten der VW
paulmischen Tradilionsgeschichte m. E. für eine Theologie
des Neuen Testamentes ergeben, deuten meine Aufsätze
ThLZ 100, 1975. 481-494 und „Die Christenlehre" 28, 1975,
129—131 und 225—228 an). So gelangt die Arbeit nicht über
das Postulat einer „sinnvolle(n) Kombination von hermenen-
tisehen und sprachanalytischen Methoden" (160) hinaus. An
diesem Punkte dürfte aber A. Grahner-Ilaider ..Semiotik

und Tl.....logic" (s. o.) das Gespräch schon einen Schritt

weiter geführt haben. Ein wesentlicher Grund für das unbefriedigende
Ergebcut durfte in der schon einleitend vollzogenen
Verkürzung des sprachphilosophischcn Bereichs um
den Aspekt der linguistischen Analyse liegen, die durchaus
nicht so unwesentlich ist, wie der AlltOf annimmt (14). Die
erheblichen Folgen dieser Ausblendung zeigen sich da, WO
dann über die Struktur von ..(.laubensaussagen" gehandelt
wird (68f., 144ff.). Verkannt wird auch die Tatsache, daß
Wittgenstein II mit seiner Grund forderang zu schauen und
•Bmichen statt zu denken und erraten doch wesentlich die

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 12