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Ausgabe:

1976

Spalte:

943-945

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Trüdinger, Karl

Titel/Untertitel:

Luthers Briefe und Gutachten an weltliche Obrigkeiten zur Durchführung der Reformation 1976

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 12

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andere Werke nur ungenügend und eu passant in verstreuten
Fußnoten Informiert wird. Nicht berücksichtigt ist ein
Passus in der anonymen Flugschrift ,Voa der rechten Erhebung
Bennonis ein Sendbrief' (1524), der nach A. Götze
mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Chronistentätigkcil
Vögelis zu beziehen ist (0. Giemen, Flugschriften 1 195—202).

Im Beilagcnbund (II/l) findet man neben einer eingehenden
Untersuchung zu Hugo v. Ilohenlandenberg, Bischof
von Konstanz, bis zum Beginn der Reformation (du-
bei wertvolle Mitteilungen zu Klerikerbildung und bischöflichen
Beformversuchen im Bistum Konstanz) sowie den
drei Verträgen zwischen Bischof bzw. Domkapitel und der
Stadt von 1498 und 1511 wichtige, meist bisher unge-
drucktc Aktenstücke zur Reformation in Konstanz. Theologisch
interessant sind besonders der Konstanzer Reformationsratschlag
für den Ulmer Städletag 1524, das Gutachten
Wanners für Kaufbeuren von 1525 (Bilder- und Abend-
mahlsfrage), die Konstanzer Ehe- und Taufordnung nach dem
Ratsbericht an Ulm von 1529, die Ratsermalinung an die
Zünfte vom Nov. 1531 als ein klassisches Dokument städtischer
Theologie und Ambr. Blarers Lied ,Von allen Vollsäufern
' mit der für die Konstanzer Theologie typischen
Formulierung: „...mit Beiß seim (sc. Gottes) willn anhangen
, so wurt ir gnad erlangen."

In dem umfangreichen Anmerkungsband (11/2) zur Vögcli-
Chronik, zu Personen, Schriften und historischen Ereignis-
NB, gewährt der Editor einer breiteren Öffentlichkeit Einblick
in eine reiche Fülle von Areliivmatcrial, insbesondere aus den
Ralsbüchern, Missiven, Befonnationsakten und Kirchensachen
des Konstanzer Stadtarchivs, womit er die Aussagen
Jörg Vögelis belegt, erläutert oder korrigiert — eine notwendige
Arbeit, da keine gedruckten Akten zur Reformation
in Konstanz (anders als in Zürich, Bern und Basel)
existieren. Hervorgehoben seien die großen Anmerkungen
von mehr als sechs Seiten zu Joh. v. Botzheim und dem
Konstanzer llumanistenkreis (Anm. 38), dem Konstanzer
Prediglmandat von 1524 (322), der Stellung von Konstanz
im Bauernkrieg (543), der Bilderfrage in Konstanz und der
Haltung des Rates zur Frage des Domschatzes (981), der
Zuchtordnung von Konstanz und ihren Vorlagen (980), der
Vorgeschichte des Burgrechtsvertrages zwischen Konstanz
und Zürich/Bern (1021) und der deshalb 1528 veröffentlichten
Rechtfertigungsschrift der Stadt (1028).

Die Benutzung der Edition wird schließlich durch ein
frühneuhoclideulsches Glossar (am Ende von I), ein Quellen
- und Literaturverzeichnis und ein ausführliches Orts-.
Personen- und Sachregister (am Ende von H/2) erleichtert.
Alles in allem imponiert der Reichtum des auf 1500 Seiten
aufbereiteten Stoffes, auch wenn Mängel im Detail nicht zu
tibersehen sind. Zu danken ist dem Editor dafür, daß er
der Forschung die Anregung zu einer verstärkten Berücksichtigung
des bedeutenden Stadtschreibers, Chronisten
und Laientheologen Jörg Vögeli gegeben hat.

Tübingen Berndt Hamm

Trüdinger, Karl: Luthers Briefe und Gutachten an weltliche
Obrigkeiten zur Durchführung der Reformation. Münster:
Aschendorff [1975]. VIII, 156 S. 8° = Reformationsgeschichtliche
Studien und Texte. In Verb, mit R. Bäumer,
T. Freudcnberger, K. Ganzer, K. Repgen und E.-W. Zee-
den hrsg. von E. Iserloh, 111. Kart. DM 36,—.

Dieses Buch aus der bekannten reformationsgeschichtlich
sehr instruktiven Reihe des Verlages Aschendorff zeigt die
Wittenberger Reformation in Aktion! Die Arbeit, eine Tübinger
Dissertation aus dem Jahre 1974, geht auf eine Anregung
von Ernst-Walter Zeeden zurück, der ein Jahrzehnt
davor bereits thematisch Einschlägiges veröffentlicht hatte
(Saeculum 15. 1964, S. 132-152, s. hier S. 150).

Der Vf. ordnet seinen Stoff überaus geschickt und bietet
ihn auch im Darstellungsduktus sehr gefällig an. WTenn man

mit dem vorliegenden Buch auch den Begriff der Statistik
verbindet, so ist das alles andere als der Ausweis für eine
langweilige Bestandsaufnahme. Sicherlich wird vieles Bekannte
gesammelt und konzentriert, aber in dieser Summie-
rung doch wiederum neu eindrücklich gemacht bzw. mit
kräftigen Akzenten versehen, die Luthers reformatorische
Praxis aus seiner weitverzweigten Korrespondenz heraus be
legen. Auch wenn Luther nicht zu den intensivsten Briefschreibern
unter den Reformatoren zählte und gezählt werden
wollte — wie leicht aus den eigenen Voten gezeigt werden
kann —, so gehört seine gutachterliche Tätigkeit in
Briefform doch zu den charakteristischsten Symptomen seines
Reformation*werket überhaupt. Diese Tatsache ist gerade
deshalb so bezeichnend, weil Luther in Eigenaktivität
selten, aber um so häufiger und nachhaltiger auf die ITut
von Anfragen hin votierte, die vornehmlich von seilen weltlicher
Obrigkeiten an ihn gelangten.

Trüdinger begrenzt seine Aufgabenstellung angesichts des
im ganzen doch immensen Briefwechsels Luthers auf wohltuende
Weise, obwohl er die Funktion der gesamten Korrespondenz
des Reformators Im ersten Kapitel zunächst
übersichtlich beschreibt. Kr gibt Auskunft über Zahl, Adressaten
und Chronologie der Briefe, schränkt dann aber schon
ein (Kapitel II) hinsichtlich der Fmpfängergruppe auf weltliche
Obrigkeiten. Eine Analyse der ganzen Korrespondenz
Luthers mit dem methodischen Ansatz des Vfs. hätte die
Konturen verwischt oder das Unternehmen auf ein vielbändiges
Werk anschwellen lassen.

Luther reiste im Verlauf der Reformation relativ wenig.
Trüdinger weist nun die erstaunliehen Wirkungen der
schriftlichen Gutachter- und Weisungstätigkeit des Reformators
nach. Sein geschriebenes Wort galt viel und entschied
in zahlreichen Fällen die Situation. Er „approbierte"
(S. 104) oder verwarf (S. 108) Kirchenordnungen, obwohl
er „eine Bevormundung anderer Kirchen" durch Wittenben:
ablehnte (a. a. O.) und die durch ihn inaugurierte Reformationspraxis
keinesfalls als unbedingt einzuhaltendes Muster
für andere Territorien ansah. Im ganzen beweist auch die
Befragung der einschlägigen Korrespondenz, daß Luther
nicht der große Mann einer Durchführung der Reformation
war, sondern dieses unerläßlich notwendige praktische Unternehmen
Geeigneteren — etwa Bugenhagen — überlieLi.
Viele Anzeichen sprechen dafür, daß der Reformator nicht
nur die Vielzahl der Anfragen, sondern auch den Charakter
der zu entscheidenden Details oft als Last oder gar als Qual
empfand. Trotz dieser Zurückhaltung galt Luther bei vielen
Territorialfürsten weiter Teile Mittel- und Norddeulsch-
lands (S. 143) auch in Sachen der Organisation als nicht
mehr hinterfragte Autorität.

Der Vf. bringt die Themengruppen klar und mit treffenden
Belegen im erfreulich umfänglichen Anmerkungsapparat
zu Gesicht. Brieflich äußerte sich Luther häufig in Zusammenhang
der Vermittlung reformatorischer Prediger. Hierbei
mußten selbstverständlich jeweils die zuständigen weltlichen
Obrigkeiten, der Stand der reformatorischen Entwicklung
in den einzelnen Territorien und die Persönlichkeit
der Vorzuschlagenden bedacht werden. Luther blieb
auch von detaillierten Fürspracheansuchen und Stipendienvermittlungen
nicht verschont (cf. S. 6, Anm. 7). Durch die
Tatsache, daß das reformatorische Kirehenwesen in den
zwanziger Jahren noch weithin ungeordnet war, dazu die
alten kirchenleitenden Autoritäten für die Schlichtung von
Kontroversen ausfielen, waren die Reformatoren — besonders
aber Luther selbst — mit über- und untergebühr-
lichen Korrespondenzen befrachtet.

Zu den bereits genannten Verhandlungsgegenständen traten
im Laufe der Jahre: die wirtschaftliche Lage der Prediger
, die Art und Weise reformatorischen Vorgehens (z. B.
Abschaffung der Messe), die Verwendung des zum Teil
säkularisierten Kirchengutes, das Visitationswesen zur Festigung
der landeskirchlichen Reformation, die Regelung der
Gotlcsdienslfragen, die Predigt des Evangeliums in zu-