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1976

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Punkte machten das Römertum für mittelalterliche Chronisten
wichtig: „Die Tutsnche des Reiches, als politische und
dynastische Kontinuität gesehen, es sind weiter ganz allgemein
Stände und Institutionen, die man im alten Rom
heginnen ließ, es ist drittens Ursprung und Frühgeschichte
des eigenen Verhandes — Stamm, Territorium, die Stadl
in der man lebte —, die mit Rom verbunden waren; und
viertens waren es die Vorausdeutungen auf das Christentum
und Beziehungen zu ihm, die das Römische wertvoll machten
" (S. 22). Als Bindeglieder werden Euseb, Hieronymus,
Augustin, Orosius und Beda genannt. Eine Fülle von Material
bietet auch die 2. Arbeit „Askese und Laster in der
Anschauung des Mittelalters" (S. 24—107). Die Abwertung
des Wortes „Askese" wird bedauert, da es in der Antike
einen positiven Sinn hatte; es handelte sich um ein Training
. „Aus der asketischen Haltung der Stoa hat sich in
gerader Linie, doch mit der neuen theologischen Fundierung
, die frühchristliche entwickelt. . . überall tritt Askese in
erster Linie als aktive Betätigung und Übung in Erscheinung
" (S. 33). Das blieb auch weithin so im Mittelaller.
Negativ wird Luther eingeordnet: „Der Mensch kann sich
also nicht unter Mithilfe Gottes selbst läutern, kann nicht
durch zuchtvolle Arbeit eine höhere Stufe erreichen, sondern
Gott steigt zu ihm nieder, wenn er will, und gibt ihm
den Glauben, der nicht als menschliche Tat gilt, sondern
allein als Geschenk" (S. 61). Lutherzitate stammen aus älterer
Sekundärliteratur; die grundlegende Arbeit von B. Lobse
über Mönchtuin und Reformation (19C2) mit ihrem breiten
überblick auch über die Alte Kirche und das Mittelalter
wurde nicht nachgetragen, obwohl sonst in diesen Aufsatz
von 1948 neuste Literatur eingearbeitet wurde (S. 50, Anin.
120: bis 1973). Reiches Material wird zum Stichwort Lasterkampf
geboten, die Linie wird bis zur Heilsarmee gezogen
(S. 71). Zum Stichwort Laslerlehre geht F. näher auf Gregor
d. Gr. ein (S. 87ff.) sowie auf Adalbert von Bremen
(S. 97ff.). — Der Beitrag 3 „Zum Reliquienwesen des frühen
Mittelalters" (S. 108—144) wendet sich dem „Denken
jener Mittel- und Unterschichten" zu, die „in den schriftlichen
Quellen wenig zu Wort kommen" (S. 108). Die Echtheit
der Reliquien ist wenig wichtig, es kommt darauf an.
„zu wissen, wa3 sie für die Menschen der Vergangenheit
bedeuteten" (S. 110). Reliquien spielten eine Rolle im Rechtswesen
(Eidesleistung) sowie bei der Verteidigung einer
Stadt (S. 118ff.)! Es ging nicht nur um christliche Heilige:
Das Volk von Neapel verhinderte den Abtransport der Gebeine
Vergils (S. 125). Es bestehen Zusammenhänge mit
Jahrmärkten und Wallfahrten (S. 127ff.), wegen Reliquien
kam es zu Diebstählen und Fehden (S. 129ff.). F. spricht
von „Reliquienpolitik" (S. 137). So haben sieh Päpste stets
geweigert, irgendeine Teilreliquie von Petrus oder Paulus
abzugeben; man war nur bereit, Petrus-Schlüssel zu versenden
oder Tücher, die den Reliquien nahe gewesen waren
(S. 138ff.).

Beitrag 4 „Bemerkungen zur rezitativischen Prosa des
Hochmitlelalters" (S. 145—62) geht von einer These aus, die
der großherzoglich mecklenburgische Archivar und Bibliothekar
Gustav von Buchwald 1882 in Neustrelitz aufgestellt
hat, wonach die norddeutschen Urkunden des 12. Jhs. „rezitativisch
gesungen" worden seien (S. 145). Die These wurde
abgelehnt. Nun bringt F. Beispiele für „eine alte Technik
der öffentlichen Verlautbarung, die ebenfalls feste Tonge-
bung auf einem Grundton und um ihn gruppierte Intervallschritte
kennt" (S. 146). Im 7. Jh. war der Lektor „dem
Ausrufer gleichgesetzt worden" (S. 149), im 9. Jh. begegnet
die Gleichselzujig recitare — singen. So sollte man nicht
mehr über Buchwalds „seltsamen Einfall" lächeln (S. 150).
F. geht noch weiter dieser Kunstform nach, „die bisher
kaum gewürdigt wurde" (S. 153).

Beitrag 5 berichtet von „Riesenbibeln in Österreich und
Mathilde von Tuszien" (S. 163—86). Jene Bibeln haben
Formate von 47 mal 62 cm oder 64 mal 48 cm; sie werden
in Linz, Graz, München u. a. in Fragmenten aufbewahrt.

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Ihre Entstehung wird in Oberitalien in der Zeil der clunya-
zensischen Reform angesetzt. Mathilde von Tuszien hat „als
zielstrebige Parteigängerin Gregors VII. ihren Platz in der
Geschichte gefunden". F. hält es für „nicht unwahrscheinlich
, daß sie schon vorher durch eine Politik fürstlicher
Geschenke die gule Sache fördern wollte, auch jenseits der
Alpen" (S. 182). Vier Tafeln mit Beschreibungen (S. 183-86)
illustrieren das Thema. — Der 6. Aufsatz „Biographisches
zu den Beziehungen zwischen Österreich und Frankreich im
Mittelaller" (S. 187—217) stellt an den Anfang die Missionare
Eustatius aus Burgund und Amandus aus Aquitanien;
ihnen folgte „das fluktuierende geistliche Leben der karo-
lingischen Rcichskultur" (S. 190); möglicherweise war der
Held des Rolandsliedcs mit einem Kapellan Rodland in
Linz Identisch. Arn von Salzburg war zeitweise in Frankreich
. Die Kreuzzüge brachten vermehrte Beziehungen, da
die Donau zu einem Pilgerweg ins Heilige Land wurde.
(S. 195). Die Zistersienser sowie der neue Geist der Schul-
Wissenschaft schlugen weitere Brücken (S. 201). Im 13. Jh.
beginnen dynastische Verbindungen, vor 1400 kommen die
Beziehungen auf der Ebene der Universitäten hinzu (S. ü 1 Off.).
Der Aufsatz über „Magister Petrus von Wien" (S. 218—38)
führt in die Mitte des 12. Jhs. Jener Petrus war ein Anhänger
des Gilbert Porretanus, freilich „gewiß nicht einer
der Radikalsten" (S. 220). Es bestanden Beziehungen nach
Konstantinopel. Eine Klage des Gerhoh von Reichersberg
dürfte dem Wiener Magister gegolten haben (S. 299). Ein
Anhang bietet Quellen zur Geschichte des Magisters Petrus
(S. 230—38: Für die weitere Arbeit grundlegende 27 Nummern
).

Der Aufsatz 8 „Akkon, Zypern und das Lösegeld für
Richard Lüwenherz" (S. 239—58) geht auf eine düslere
Episode ein: Die Gefangennahme des englischen Königs
durch den Herzog von Österreich auf dem Rückweg vorn
Kreuzzug 1192. Die Vorgänge werden ganz vom Staudpunkt
des Österreichers aus gesehen; seine Gründe waren
berechtigt, er gewann durch diesen Handstreich an Geltung.
Trotz mancher Bedenken läuft die Arbeit von F. darauf
hinaus, daß damals „der österreichische Horizont nicht bloß
über den Semmcring hinaus erweitert wurde, sondern nunmehr
von England bis Zypern und Akkon reichte" (S. 258).
Der Aufsatz „Reich und Dynastie im politischen Denken
Maximilians I." (S. 259—69) führt zu dem Ergebnis, daß
man damals (und auch zu anderen Zeiten) kaum zwischen
Reich und Dynastie zu unterscheiden wußte. In das 19. Jh.
führt der letzte Beilrag „Die Fälschungen Georg Zapperts"
(S. 270—95). Dieser Wiener Historiker erregte durch seine
Funde aus dem Mittelalter Aufsehen; erst später merkte
man, daß mindestens ein Teil der Funde Fälschungen waren
. F. spricht von einem „geradezu magischen Spürsinn,
stets das zu finden, was... interessieren mußte" (S. 279).
F. hält es für möglich, Zappert sei „ganz einfach ein Kind
geblieben, dem als Spiel galt, was in der 'Gelehrtenrepublik
' mit höchstem Ernst und ohne Sinn für hübsche Erfindungen
betrieben wird" (S. 295).

Dieses freundlich-verstehende Schlußurteil über einen Wiener
Sonderling ist wohl typisch für F., der sich in fernliegende
Bräuche und Denkweisen hineindenken kann, so
daß seine immense Kenntnis mittelalterlicher Quellen von
einem positiven Antrieb her so vielfältig fruchtbar werden
konnte.

Rostock Gert Haendler

Arviles, James A.: Conslantinople and the Coronation of
Charles (The Greck Theological Review 20, 1975 S. 53—70).

Beckmann, Jan P.: Der ideenlheoretische Grundsatz bei
Thomas von Aquin, Joh. Duns Scotus und Wilhelm von
Ockham (Franziskanische Studien 57, 1975 S. 366—377).

Blanchettc, Oliva: Philosophy and Theology in Aquinas: Ou
Being a Disziple in our Day (Science et esprit 28, 1976
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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 12