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Ausgabe:

1976

Spalte:

931-932

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hübner, Reinhard M.

Titel/Untertitel:

Die Einheit des Leibes Christi bei Gregor von Nyssa 1976

Rezensent:

Winkelmann, Friedhelm

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Schwank, Benedikt: Das Theater von Sepphoris und die
Jugendjahre Jesu (Erbe und Auftrag 52, 1976 S. 199-206).

Steck, Odil Hannes: Formgeschichtliche Bemerkungen zur
Darstellung des Dnmaskusgeschchens in der Apostelgeschichte
(ZNW 67, 1976 S. 20-28).

Stenger, Werner: „Der Geist ist es, der lebendig macht, das
Fleisch nutzt nichts" (Joh 6,63) (TThZ 85, 1976 S. 116- 122).

Wilckens, Ulrich: Christologie und Anthropologie im Zusammenhang
der paulinischen Hechtfertigungslehre (ZNW
67, 197G S. 64-82).

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Hühner, Reinhard M.: Die Einheil des Leibes Christi bei
Gregor von Nyssa. Untersuchungen zum Ursprung
der 'physischen' Erlösungslehre. Leiden: Brill 1974. XII,
377 S. gr. 8° = Philosophia Patrum. Interpretations of
Patristic Texts, ed. by J. H. Waszink and J. C. M. van
Winden, II, Lw. hfl. 78,-.

Eine solide und gelungene Arbeit, die ein wichtiges theologisch
-philosophisches Problem der Spätantikc behandelt!
Gefördert wurde diese Bonner katholisch-theologische Dissertation
von Karl Baus und den Althistorikern Johannes
Straub und Hatto H. Schmidt. Vf. hatte schon 1969 auf
einem internationalen Kolloquium in Chevetogne einen Teilaspekt
vorgetragen1 und von den dort versammelten Spezialisten
der Gregor-Forschung Anregungen erhalten, die offensichtlich
in der vorliegenden Druckfassung Verarbeitung gefunden
haben.

Gregors theologische Theorien werden besonders von der
platonisch-metaphysischen Ideologie aus interpretiert. Hühner
geht nun den Fragen nach, ob den Vorstellungen der
Einheit der Menschennatur und der Einheit des Leibes
Christi die platonische Ideenlehre zugrunde liege und ob die
Vorstellung der universalen Erlösung der Menschheit von
Gregor in physischem Sinne verstanden sei. Die Antworten
werden durch Textanalysen und Eruierung des historischen
und theologischen Hintergrundes der Aussagen Gregors gefunden
. Zuzustimmen ist der Auffassung, daß die ekklesio-
logischen Vorstellungen Gregors gleichblieben, daß die betreffenden
Texte also ohne Rücksicht auf die Chronologie
ausgewertet werden können, daß es jedoch notwendig ist,
genau auf die Tendenzen der einzelnen Schriften zu achten.
Quellen und Sekundärliteratur hat Hübner in breitem Umfang
benutzt. Bei den Editionen (S. 336 ff.) wird nicht
immer die neueste Ausgabe zugrunde gelegt. Dazu ist jetzt
M. Geerard, Clavis Patrum Graecorum II, Turnhout 1974,
zu vergleichen. Gute Register erschließen den Band.

S. 3—25 skizziert Hühner den Forschungsstand. Dabei
scheint mir der Uberblick über die katholische Forschung
seit den dreißiger Jahren besonders gelungen zu sein. Der
polemische Ansatz ist die Deutung der Bitschl-Schule, die
von A. Harnack „in der für den Schulgebrauch nötigen
WTeise vergröbert und simplifiziert" worden sei (S. 7). Auf
S. 1 redet Vf. von den „berühmt-berüchtigten Seiten 166—167
des zweiten Bandes" der Dogmengeschichte. Mit Harnack
wird hier etwas zu leichtfertig umgegangen. Wenn z. B.
schon die erste Auflage des Grundrisses der Dogmen-
geschichle vom Jahre 1889 zitiert wird (S. 8), sollte doch
zumindest vermerkt werden, daß Harnack in späteren Auflagen
diese Passage — wie auch in der Dogmengeschichtc —
geändert hat. Vf. nimmt Anregungen von F. Loofs und K.
Holl auf, die „die Gotteslehre Gregors im Gegensatz zum
realistisch-platonischen Gattungsbegriff der Menschheit als
das Fundament der Apokatastasis erklärt" hatten (S. 8)
und findet sie bestätigt: „Das Prinzip der Apokatastasis ist,
wie F. Loofs und K. Holl klar gesehen haben, die Güte
Gottes, nicht die Einheit der Menschennatur (S. 63). Das
Problem, das Hübner bei Gregor von Nyssa und seinen
theologischen Vätern untersucht, ist also nicht nur irgend-

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eine spezielle Frage, sondern führt ins Zentrum der Erlösungslehre
, der Ekklesiologie, des theologischen Menschen-
verständnisses der Spätantike und gibt darüber hinaus einen
Schlüssel zum Verständnis späterer theologischer Entwicklungen
der orthodoxen Kirchen.

Hübner geht von einer Interpretation der Schrift Gregors
über 1 Kor 15,28 In illud: Tunc et ipse filius (bei
Hübner Quando tibi subiecerit genannt) aus (S. 27—66) und
kann für diese Wahl überzeugende Argumente anführen.
Scharfsinnig werden hier zwei von ihrer Herkunft her
unterschiedliche theologische Prinzipien aufgedeckt, um deren
Verbindung sich Gregor bemüht. Es handelt sich zum
einen um die Vorstellung der Einheit der Mensehennatur
im Sinne einer physischen Erlösung, zum anderen um die
Vorstellung der Einheit des Leibes Christi im origeniltischen
Sinne der göttlichen Güte. Hühner untersucht S. 95—167
die zuerst genannte Vorstellung, deutet sie als ein zeitbedingtes
hermeneutisches Prinzip anlidokelischer Polemik,
bemüht sich S. 148IT. um den Nachweis der Interpretation
mit Hilfe stoischer Modelle, lehnt auf Grund einer Analyse
von De opificio hominis (S. 67—94) die Thesen Harnacks,
Lubaes u. a. des platonischen Einflusses ah und zeigt
S. 168—203, daß Gregor keine physische Erlösung verlritt.
S. 204—231 wird der origenistische Ansatz verfolgt mit dem
Ergebnis (S. 226-230), daß er für Gregor entscheidend ist,
daß für ihn also letztlich die Gottheit Christi das Inter-
prclationsprinzip ist. Diese Sätze könnten zu stark den Eindruck
der Eindeutigkeit erwecken. Hühner läßt durchaus
die Spannung zwischen beiden Prinzipien und die nicht
überzeugenden Verknüpfungsversuche Gregors sichtbar werden
. Er legt das Material sauber vor, so daß sich der Leser
auf dieser Grundlage durchaus eine eigene Meinung bilden
kann.

Unterbaut werden diese Ergebnisse in einem zweiten Teil
(S. 232—324) durch eine Untersuchung von Begriffen und
Strukturen aus der vorhergehenden theologischen Literatur,
die Gregor verwendet (Irenaios, Hippolyt, die homiletische
Passaliteratur des 3. Jh., Alexander von Alexandrien, insbesondere
Athanasios und Markell, der für Gregor eine besondere
Rolle spielt). Dieser Teil ist nicht so abgesichert und
ausgewogen und bietet eine Reihe von Angriffspunkten.
Denn manches ist hier in der Forschung kontrovers. Das
gilt schon für die Frage der Authentizität und der Datierung
einzelner Schriften. Außerdem sind seit dem Erscheinen der
Dissertation neue Forschungen veröffentlicht worden.

Hühners entscheidende Ergebnisse liegen im ersten Teil
seiner Untersuchung. Es war schon angedeutet, daß sich
hier bei einzelnen Deutungen Abweichungen ergeben. Das
gilt m. E. vor allem für den Abschnitt S. 204—231. Man
könnte auch bemängeln, daß die Auseinandersetzung mit
anderen wissenschaftlichen Meinungen manchmal zu selbstbewußt
geführt wird. Man könnte Vorbehalte gegen die Bemühung
Hühners geltend machen, diesen theologischen Problemen
für die heutige Zeit mehr abzugewinnen als nur
einen Zugang zum Verständnis einzelner Züge der orthodoxen
Theologie. Durch solche Monita werden aber weder
die eigentlichen Ergebnisse noch die angewendete Methode
berührt. Sie brauchen deshalb hier nicht im einzelnen ausgeführt
zu werden. Mit seiner Dissertation hat sich Hübner
gut in die Gregor-Forschung eingeführt.

Beclin Friedhelm Winkelmann

1 Gregor von Nyssa und Markell von Ankyra, in: M. Harl, Ecriture
et culture philosophique dans la pensee de Gregoire de Nysse, Leiden
1971, 199-229.

Alcain, Jose Antonio, S. I.: Cautiverio y redencion del
hombre en Origenes. Bilbao: Universidad de Deusto;
Bilbao: Mensajero 1973. 328 S. 8° = Publicaciones de la
Universidad de Deusto. Teologia Deusto, 4.

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 12