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Ausgabe:

1976

Spalte:

925-927

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Suhl, Alfred

Titel/Untertitel:

Paulus und seine Briefe 1976

Rezensent:

Müller, Ulrich B.

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Briefe, P. Bony den Ephescrbrief, P. Dornier, A. Lemaire
die Pastoralbriefe, Ch. Perrot den Hebräer-, ß. Cothenet den
1. Petrus- und Jakobusbrief, J. Delorme das Markus-, S.
Legasse das Matlhäus-Evang., A. George die lukanischen
Schriften, X. Leon-Du f Our das Johannes-Evang. und die
Johannesbriefe, TS. Cothenet die Johannes-Apokalypse). Eindrucksvoll
wird herausgearbeitet, daß die Kirche durch das
Wort zum Dienst des Wortes aufgerufen ist, vor allem wird
hervorgehoben: „Eglise et ministere s'enracinent dans la
mission meme de Jesus" (Delorme). Selbstverständlich ist
die Fragestellung für die Untersuchung der neutestament-
lichen Schriften nicht immer im selben Maße fruchtbar. Besonders
interessant ist die Behandlung der paulinischen
Briefe mit ihrer erstaunlichen Freiheit der Gestaltung der
Gemeindedienste („. . il semble que Paul admettait le
ministere des femmes comme une chose normale" — Lemaire).

Im zweiten Teil kommen hauptsächlich Systematiker zu
Wort. Delorme faßt zunächst die neutestamentlichen Befunde
zusammen und versucht, die Entwicklungslinien aufzuzeigen
, die zur Institutionalisierung der Ämter führten.
Seine Darstellung und die systematischen Beiträge, die nach
dem Ertrag der neutestamentlichen Aussagen für die Gestaltung
der heutigen Kirche fragen, haben natürlicherweise
am meisten Mühe mit den paulinischen Briefen und entgehen
— trotz aller obwaltenden Vorsicht — nicht der Gefahr
, die späten Ausformungen der Ämter am Ende des
ersten und im zweiten Jahrhundert zum Ausgangspunkt der
Überlegungen zu machen, vor allem in der Frage der apostolischen
Sukzession und der Verwaltung des Herrenmahls.
Mit Hecht wird öfters betont, daß die Ämter und Dienste
des Neuen Testaments nicht einfach zu kopieren sind, soll
die Kirche ihrem Auftrag in ihrer Zeil gerecht werden.

Alle Beiträge rufen mit großem Ernst nach neuem Durchdenken
aller Probleme vom Neuen Testament und seinem
Kiichenversländnis her und nach einer entsprechenden
Praxis. Dabei wird nicht haltgemacht vor den heikelsten
Aufgaben, etwa einer Neudelinierung des Priestcramtes, der
Bolle der Gemeinde als Träger des Christusdienstes, des Zölibats
und der Beteiligung der Frauen an den kirchlichen
Ämlcrn. Das Buch ist ein fruchtbarer Beilrag auch zum
Gespräch zwischen den Konfessionen.

Ridimond, Va. Mathias Rissi

Suhl, Alfred: Paulus und seine Briefe. Ein Beitrag zur paulinischen
Chronologie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn [1975]. 380 S. 8° = Studien zum Neuen Testament
, hrsg. v. G. Klein, W. Marxsen u. W. Schräge, 11.
Kart. DM 68,-.

Das Buch des Vfs. stellt die überarbeitete Fassung einer
im Sommer 1968 bei der Evang. Theolog. Fakultät in Münster
eingereichten Habilitationsschrift dar. Ziel der Arbeit
ist es, „das genaue zeitliche Nacheinander der einzelnen
Briefsituationen im Leben des Paulus nachzuzeichnen, um so
die Vorarbeit für ein präziseres Verständnis der einzelnen
Briefe unlcr ihren tntsächlichen Gegebenheiten zu leisten"
(S. 339). Das Ergebnis seiner Bemühungen faßt der Vf.
zunächst in einer relativen Chronologie zusammen (S.
299—305), um abschließend eine absolute Chronologie zu
versuchen, die die Beziehungen zu feststehenden Daten der
Zeitgeschichte herstellt (S. 314—338). „Daß nur unterschiedliche
Grade von Wahrscheinlichkeit erreicht werden können,
VWtteht sich von selbst" (S. 13). Den hypothetischen Charakter
seiner Ergebnisse nimmt der Vf. also bewußt in Kauf.

Zwei zeitgeschichtliche Daten sind die Grundpfeiler für
die absolute Chronologie, das Todesdatum des Agrippa
(März 44) und der Amtsantritt des Gallio in Korinth (51).
Dagegen erscheint es dem Vf. mißlich, die Pauluschronologie
mit dem Slalthallcrwechsel von Felix zu Fcstus zu
begründen und etwa von da aus eine Datierung der Ge-

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fangennahme des Apostels vorzunehmen. Diese ergibt sich
sicherer aufgrund der Angaben der Paulusbriefe selbst, wenn
man vom festen Datum der Gallio-Inschrift vorwärts rechnet
, nämlich für das Jahr 55 (S. 336). Als weitere Daten
erarbeitet der Vf. u. a.: Bekehrung im Jahre 30, Apostcl-
konzil im Winter 43/44, Zwischenfall in Antiochien Winterhalbjahr
47/48, Aufenthalt in Korinth von 49 bis Mitte 51.
Die Frühdatierung des Apostelkonzils (43/44, nicht 48 wie
bei J. Jeremias u. Ilaenchen) ergibt sich für den Vf. aufgrund
der Datierung der bei Jos ant XX 101 erwähnten
Hungersnot sowie der Übernahme der Argumentation H.
Brauns: sie sei geboten, „damit Kephas noch in Jerusalem
anwesend (Apg 12,17), der Zebedaide Johannes noch am
Leben befindlich (Mk 10,39) und beide daran teilnehmend
gedacht werden können (Gal 2,9)" (RGG3 I, 1693).

Die Erwägungen des Vfs. zur paulinischen Chronologie
erscheinen durchweg diskutabel. Sie bringen in ihrem Ergebnis
keine absoluten Neuigkeiten (vgl. etwa F. Halm, Das
Verständnis der Mission im NT, 1963, S. 74ff.). Der Vt.
unternimmt es aber nicht nur, eine bloße Chronologie des
Paulus und seiner Briefe zu erarbeiten — in dieser Hinsicht
verraten Titel und Untertitel des Buches zu wenig über den
wahren Inhalt —, er versucht zudem eine Rekonstruktion
der ganzen Geschichte und des Lebens des Apostels (vgl.
die Formulierung S. 282). Da es ihm um die Erhellung aller
in den Briefen genannten Einzelsituationen geht, will der
Vf. des öfteren mehr erfahren, als diese mit einiger Sicherheit
erkennen lassen. Der geradezu kriminalistische Scharfsinn
fördert manche Einsichten zutage, über deren historische
Wahrscheinlichkeit allerdings Zweifel bestehen bleiben
. Dies ist an einigen Beispielen zu zeigen.

Der Anlaß des sog. Apostelkonzils ist nicht aus Gal 2,2
zu entnehmen. Dort wird nur ein Nebenumstand des Besuches
hochgespielt, der eigentliche Anlaß sei aber ein anderer
(S. 51). Weil es in dem autobiographischen Bückblick
Gal lf. um die Verteidigung gegen den Vorwurf der
Abtrünnigkeit von Jerusalem gehe, bleibe der eigentliche
Anlaß verborgen (S. 63). Dieser bestand in der Uberbrin-
gung einer Unterstützung der antioehenischen Gemeinde für
Jerusalem, die wegen der zu erwartenden Hungersnot aufgrund
der Mißernte 43/44 veranstaltet wurde (S. 57—6.3).
Diese an sich nicht neue Hypothese bleibt auch nach den
Untersuchungen des Vfs. mit zu vielen Risiken behaftet.
Eine große Schwierigkeit liegt z. B. darin, daß er gegen die
Darstellung der einzigen Primärquelle, Gal 2,lff., seine
Rekonstruktion der Ereignisse aufbauen muß (ganz zu
schweigen von Apg 15). Die Erklärung des Vfs., das Argumentationsziel
in Gal 2 führe zum Verschweigen des eigentlichen
Anlasses, leuchtet deshalb schwer ein, da die Nennung
der Kollekten Übergabe dem vom Vf. angenommenen
Argumentationsinteresse des Paulus gedient hätte: Dieser
hätte mit dem Hinweis auf die Kollekte an Jerusalem den
Vorwurf der Ablrünnigkcit von Jerusalem widerlegen können
. Die Bemerkung, Paulus brauche den eigentlichen
Zweck des Jerusalembesuchs den galatischen Lesern nicht
zu nennen, da dieser ohnehin bekannt war und in ihrem
Blickfeld stand, weil die galatische Auseinandersetzung ihren
Grund in einem ganz ähnlichen Ereignis hatte, nämlich
einer erneute n Kollekte an Jerusalem, ist der Versuch, eine
Hypothese durch eine weitere zu unterstützen (S. 63). Denn
die Rekonstruktion der galatischen Schwierigkeiten, die siel)
nach Meinung des Vfs. im Zusammenhang der dortigen
Kollekte ergeben, hat ebenfalls hypothetischen Charakter
(S. 15-20).

Für die Rekonstruktion der Ereignisse in Ephcsus (von
Ende 52 bis Herbst 54), wohin der Phltn, der Gal, die
Philipperkorrespondenz sowie ein Teil der Briefe nach Korinth
gehören, ist grundlegend die literarkritische Aufteilung
des Phil (in zwei ursprüngliche Briefe) sowie der Kor-
Briefe, die im Fall des IKor zur Erkenntnis zweier, im
Fall des 2Kor zu vier Briefen führt, wobei 2 Kor 8 als Teil
des Versöhnungsbriefes erscheint. Bei der genauen zeitlichen

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 12